Ob Lippenbläschen oder Windpocken: Herpes-Viren sind omnipräsent. Zytomegalie-Viren verursachen in fast 90 Prozent der Fälle nahezu keine Beschwerden. Gefährdet sind aber werdende Mütter und Patienten mit einer Immunschwäche.
Etwa 70 Prozent der Erwachsenen kommen im Laufe ihres Lebens mit dem Zytomegalie-Virus (HZMV) in Berührung und bilden entsprechende Antikörper. Nach der Erstinfektion klagen sie gelegentlich über Kopf- und Gliederschmerzen, geschwollene Lymphknoten oder erhöhte Körpertemperatur – Symptome, die eher an einen grippalen Infekt erinnern.
„Solange unser Immunsystem intakt ist, sind die Viren harmlos“, weiß der Virologe Prof. Dr. Bodo Plachter von der Universität Mainz. Auch nach Abklingen der Beschwerden überdauert das Virus ein Leben lang im Körper. „Gefährlich wird es bei einer Immunschwäche, zum Beispiel, wenn nach einer Organtransplantation die Abstoßungsreaktionen unterdrückt werden müssen“. Morbus Crohn- oder Colitis ulcerosa-Patienten unter immunsuppressiver Therapie gehören damit ebenfalls zur Risikogruppe. Und HIV-Patienten sind vor allem dann gefährdet, wenn die Zahl der relevanten Helferzellen des Immunsystems stark verringert ist. In diesen Fällen kann es zu lebensbedrohlichen Entzündungen innerer Organe kommen. Präparate wie Foscarnet, Ganciclovir oder Valganciclovir halten jedoch das HZMV in Schach.
Neues gibt es aus der Prophylaxe zu berichten: Eine 100-tägige Gabe antiviraler Arzneistoffe war ursprünglich der Goldstandard. Studien haben jetzt ergeben, dass Patienten von einer Ausdehnung der Behandlungsdauer profitieren, um nicht doch noch an einer verspäteten Virusinfektion zu erkranken. Bei einer doppelt so langen präventiven Therapie mit oralem Valganciclovir konnte das Auftreten einer HZMV-Erkrankung nach einer Nierentransplantation innerhalb von zwölf Monaten um 56 Prozent verringert werden. „Die Ergebnisse belegen, dass die verlängerte Behandlung mit Valcyte eine Verbesserung bewirken kann“, so Dr. Atul Humar von der Universität von Alberta in Kanada. Alle Virustatika können bei werdenden Müttern aber nicht eingesetzt werden.
Ein Immunglobulin rettet Leben
Besonders in der Schwangerschaft drohen aber Gefahren durch das HZMV: Mit bis zu zwei Prozent gilt die Zytomegalie als die häufigste Infektion des ungeborenen Kindes – noch vor Röteln und vor der Toxoplasmose. Und bei etwa 40 Prozent der Infektionsfälle wird das Virus auf das ungeborene Kind übertragen. Besonders gefährdet sind vor allem werdende Mütter, die noch nie mit dem HMZV in Berührung gekommen sind – das ist immerhin die Hälfte aller Schwangeren. Ihnen kann vorbeugend geraten werden, nach Möglichkeit den Kontakt zu großen Kindergruppen zu vermeiden, sei es in Kindergärten, Kinderkrippen oder Säuglingsstationen. Denn hier ist das Virus mit großer Wahrscheinlichkeit früher oder später zu finden. Kommt es dennoch zu einer Infektion, erweisen sich die Folgen besonders zu Beginn der Schwangerschaft als gravierend: Organdefekte, spätere Entwicklungsstörungen und geistige Behinderung. Nach Angaben von Privatdozent Dr. Andreas Clad aus Freiburg werden allein in Deutschland jährlich etwa 600 bis 800 Kinder mit irreversiblen Schäden durch eine HZMV-Infektion geboren.
Wirkungsvollen Schutz des Ungeborenen und der werdenden Mutter bieten hoch dosierte Antikörper gegen das HZMV, so genannte Immunglobuline. Sie sind bereits seit 1982 zur Behandlung von Infektionen bei Transplantationspatienten zugelassen. Spezialisierte Firmen gewinnen die Präparate aus dem Blut von Patienten, die HZMV erfolgreich abwehren konnten. Und als Antikörper binden Immunglobuline bei der Therapie an die Zytomegalie-Viren und inaktivieren sie.
Zahlen belegen die Wirksamkeit eindrucksvoll: In einer Studie mit 181 schwangeren, HZMV-infizierten Frauen zeigten nur drei Prozent der Kinder aus der Therapiegruppe medizinisch relevante Anomalien, in der Kontrollgruppe waren es sage und schreibe 50 Prozent. Da Immunglobuline durch die Plazenta wandern, kann auch das ungeborene Kind therapiert werden. Neben der ursprünglichen Anwendung für Transplantationspatienten eröffnen sich für die Immunglobuline damit neue Einsatzgebiete.
Stillen innovativ
Kein Geheimnis: Babys sollten in den ersten Lebensmonaten gestillt werden, um ein funktionsfähiges Immunsystem zu entwickeln. Bei Müttern mit HZMV-Infektion war das problematisch, denn auch über die Muttermilch kann eine Infektion übertragen werden. Ihnen wurde geraten, auf das Stillen zu verzichten. Eine innovative Lösung hat jetzt die Firma Virex GmbH zusammen mit anderen Partnern entwickelt. Durch kurzzeitiges Erhitzen und rasches Abkühlen gelingt es nämlich, Muttermilch so zu behandeln, dass wichtige Eiweiße ihre Aktivität behalten, das HZMV aber thermisch inaktiviert wird.
Organtransplantation auf der sicheren Seite
Auch Transplantationspatienten profitieren, und zwar nicht nur zur HZMV-Prophylaxe: Werden sie vor dem geplanten Eingriff mit dem entsprechenden Immunglobulin behandelt, so kann die Entstehung von Lymphdrüsenkrebs wirkungsvoll unterbunden werden. Zu dieser Erkenntnis sind Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg gelangt. Sie werteten über 40.000 Daten der internationalen Collaborative Transplant Study aus. Zwar wird die maligne Erkrankung durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus ausgelöst, einen engen Verwandten des Zytomegalie-Virus. „In den Antikörper-Präparaten gegen das ZMV wurden von uns auch Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus festgestellt“, so Prof. Dr. Gerhard Opelz, der Ärztliche Direktor der Transplantationsimmunologie am Uniklinikum Heidelberg. Wahrscheinlich seien diese für die Verhinderung der Lymphom-Entstehung verantwortlich. Nach der OP muss in größeren Abständen das Immunglobulin allerdings erneut verabreicht werden, ansonsten erlischt der Schutz nach etwa einem Jahr.
Warten auf den Impfstoff
Trotz aller therapeutischen Optionen ist und bleibt eine Impfung der Goldstandard. Gute Nachrichten kommen dabei aus dem Children´s Hospital in Birmingham, Großbritannien: Die Arbeitsgruppe von Robert F. Pass stellte zusammen mit anderen Forschern viel versprechende Ergebnisse einer Phase-II-Studie vor, in der es mit einem gentechnisch hergestellten Oberflächeneiweiß gelungen war, die Bildung von Antikörpern gegen das HZMV auszulösen. Frauen im gebärfähigen Alter konnten damit zuverlässig vor einer Neuinfektion geschützt werden. Dementsprechend sank auch die Zahl der angeborenen Zytomegalie-Erkrankungen. Um diese Ergebnisse zu bestätigen, läuft in Abstimmung mit der europäischen Arzneimittelagentur EMEA eine große Studie. Und vor einigen Monaten berichtete Novartis Vaccines and Diagnostics, man habe sich die Exklusivlizenz für einen noch in der Entwicklungsphase befindlichen Impfstoff gegen das HMZV gesichert. „Wir halten diesen Impfstoffkandidaten zur Vorbeugung gegen Zytomegalievirusinfektionen für außerordentlich aussichtsreich", erklärte der CEO Dr. Andrin Oswald.