Grazer Forscher machen mit einer „Papierpille“ auf sich aufmerksam: Sie bringen Medikamente auf essbares Spezialpapier auf. Damit rückt die individuell dosierte pharmakologische Behandlung für jeden einzelnen Patienten in greifbare Nähe.
LSD machte die „Pappen“ bekannt: Bunt bedrucktes saugfähiges Löschpapier oder dünne Pappe dient seit Jahrzehnten als Träger der halluzinogenen Droge. Sie werden gelutscht oder geschluckt. In den vergangenen Jahren kamen Re-Prints der Pappen als „Blotterart“ groß heraus und werden seither als Kunstobjekte hoch gehandelt. Nun bemüht sich die Wissenschaft diese Art der Darreichungsform von Wirkstoffen salonfähig zu machen: Im Kompetenzzentrum für Pharmaforschung in Graz arbeiten Wissenschafter an einer Papierpille. Wirkstoffe werden auf essbares Papier gedruckt. Mit Hilfe dieser „Pills on Paper“ soll die Dosierung individueller, sowie auch genauer und die Einnahme von Medikamenten für den Patienten einfacher werden.
Individuelle Dosierung möglich
Mit ihrer starren Zusammensetzung an Wirkstoffen werden herkömmliche Arzneimittel oft über- oder unterdosiert. Somit sind sie nicht für alle Patienten gleich gut geeignet. Das Kompetenzzentrum Research Center Pharmaceutical Engineering (RCPE) hat sich daher mit dem Projekt "Printable Medicine (PoP - Pills on Paper)“ auf individuelle pharmazeutische Behandlungsstrategien spezialisiert. Univ.-Prof. Dr. Johannes Khinast, Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer des RCPE hat mit seinem Team ein Verfahren entwickelt, das Arzneistoffe auf essbares Spezialpapier druckt. Es wird in eine Gelatinekapsel eingebracht und kann damit vom Patienten ohne Probleme oral eingenommen werden. Mit diesen „Pills on Paper“ sollen in Zukunft dem Patienten nicht mehr vorgefertigte Tabletten, sondern für seine Bedürfnisse Wirkstoffe und Dosis verschrieben werden. Denn ein wesentlicher Vorteil der neuen Verabreichungsform ist die Möglichkeit, Medikamente auf das Anforderungsprofil eines Patienten, seine Erkrankung, Alter, Geschlecht und Körpergröße, individuell abzustimmen.
Zeitverzögerte Wirkstoff-Abgabe
Der Patient erhält vom behandelnden Arzt ein Wirkstoffrezept, mit dem er in die Apotheke geht. „Dort kommt das Esspapier zum Einsatz“, erklärt Khinast. Mit Hilfe moderner präziser Drucktechnologie soll der Apotheker direkt und sofort maßgeschneiderte Medikamente für jede einzelne Person produzieren. Die "Pills on Paper" können jedoch nicht nur mehrere Medikamente in einer Kapsel enthalten, durch verschiedene Beschichtungen ist es zudem möglich, Wirkstoffe zeitverzögert oder über einen längeren Zeitraum abzugeben. Damit könnte das Bild des Patienten, der mehrmals täglich eine Vielzahl von Tabletten zu sich nehmen muss, der Vergangenheit angehören: Mit den „Pills on Paper“ soll die Medikamenteneinnahme nur mehr einmal täglich nötig sein.
Kosten- und Zeitersparnis
Neben einer Verbesserung der pharmakologischen Therapie könnten mit Hilfe der neuen Verabreichungsform auch die Compliance der Patienten erhöht werden. Weiters besteht ein Einsparungspotential bei Kosten- und Zeitaufwand für klinische Studien, Produktion und Medikamentenlogistik in den Spitälern. Einige hunderttausend Euro sind bereits in die Entwicklung der neuen Medikamentenform geflossen, bis zur Serienreife wird der Betrag in Millionenhöhe liegen. „Dann wartet allerdings ein riesiger Abnehmermarkt“, prophezeit Khinast. Der Wissenschaftler rechnet damit, dass der Prototyp in Krankenhäusern in fünf Jahren erprobt werden kann.
Bereits seit fünf Jahren arbeiten Experten der Karl-Franzens-Universität Graz und der Technischen Universität an dem Projekt zusammen. Mitte September wurde ihre Arbeit von der steirischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit einem Innovationspreis bedacht: Die Entwickler erhielten für ihre druckbare Medizin den diesjährigen "Fast Forward Award".