Monate dauert es, bis ein Impfstoff gegen Viren am Computer entwickelt, in Hühnereiern bebrütet und als ungefährliches Vakzin ausgeliefert wird. Schneller und genauso gut lässt sich das Immunsystem ohne Eiweiß in der Spritze stimulieren: Mit nackten DNA-Ringen.
Gewappnet gegen die Grippe. Nicht durch die jährliche Impfung, sondern durch nur eine Impfung in siebzig Jahren. Es war kein revolutionärer neuer Impfstoff, den Chih-Jen Wei und seine Kollegen vom amerikanischen National Institute of Health Ende August in „Science“ veröffentlichten. Es war auch kein neues Adjuvans, sondern nur eine neuartige Kombination von Immunisierung und Auffrischung mit unterschiedlichen Vakzinen. Das Wichtigste daran: Für die erste Stimulierung des Immunsystems verwendeten die Forscher weder ein isoliertes Antigen noch ein synthetisches Peptid, sondern DNA aus einer stabilen, wenig mutierten Region des viralen Hämagglutinin-Gens. Der „Boost“ mit einem gewöhnlichen Grippeimpfstoff aus einem der vergangenen Jahre verlieh den Frettchen, Mäusen und Affen eine Abwehrkraft gegen Viren aus dem Jahr 1934 genauso wie gegen jene aus dem Jahr 2007.
Plasmid gegen Adenovirus
Immer wieder fällt der Name „DNA-Vakzine“ im Zusammenhang mit neuartigen viel versprechenden Impfstoffen. Dabei galten die kleinen Nukleinsäure-Elemente, eingebaut in ein ringförmiges Plasmid-Molekül vor zehn Jahren als Auslaufmodell. Forscher erhofften sich von zwei neu entwickelten Vakzinen gegen HIV den großen Durchbruch. Ein Adenovirus-Vektor mit einem Stückchen HIV-DNA brachte die Zelle dazu, retrovirales Protein zu produzieren und führte damit zu einer messbaren Immunantwort. Doch die nackte Plasmid-DNA enttäuschte. Deren Immunantwort war kaum messbar.
Einige Jahre später zahlte es sich aber aus, dass die Plasmid-Entwickler die Flinte nicht ins Korn warfen: 2007 testeten rund 3000 Teilnehmer in der „STEP-Studie“ AdHu5, das Vakzin mit dem viralen Vektor. Das Resultat: Nicht besser als ein Placebo. Den „DNA-Drugs“ scheint dagegen die Zukunft zu gehören. „Wenn sie einmal ausgereift sind, können DNA-basierende Vakzine und Therapien zur Erfolgsstory werden - bei Krankheiten, für die es jetzt noch keine effektive Behandlung gibt“, schreibt David Weiner, Professor für Pathologie und Medicine an der Universität von Pennsylvania in einem Artikel für den „Scientific American“.
Ungekühlt lange haltbar
Die unverpackte DNA sorgt inzwischen in ersten klinischen Studien für eine effektive T-Zell-Antwort gegen Tumoren, die durch Papillom- oder Hepatitis-C-Viren induziert werden. Neuentwickelte Impfstoffe gegen Vogelgrippe setzen auf eine gemeinsame Sequenz von jährlicher Wintergruppe und den bekannten H5N1-Stämmen. Im Mai 2009 entwickelte die Firma Vical aus Kalifornien einen experimentellen Schweinegrippen-Impfstoff auf DNA-Grundlage innerhalb von zwei Wochen. Schon in der Phase II klinischer Studien ist inzwischen ein Impfstoff gegen den AIDS-Virus angelangt, bei dem die Plasmid-DNA die Erst-Stimulation übernimmt, die Auffrischung dann ein Adenovirus mit dem betreffenden DNA-Codestück.
Im Vergleich mit den konventionellen Seren in der Spritze kann die neue Technologie punkten: Der Impfstoff ist bei Raumtemperatur stabil und übersteht damit auch lange Transporte ohne großen Aufwand. Weil das Plasmid für den Körper kein Fremdkörper ist, stößt es die Abwehr auch nicht ab. Dagegen reagiert im Idealfall das produzierte Protein stark mit dem Immunsystem - je nach Bedarf vor allem mit B-Zellen und deren Antikörpern oder mit T-Zellen.
Mit Tattoo und Stromstößen zur Immunität
Reine DNA als Vakzinmolekül ist aus dem Abseits heraus wieder mit im Spiel um neue Wege bei der Infektionsprävention. Dafür sorgen auch neue Strategien, um die Moleküle ins Zellinnere zu befördern. Gleich einer Kanone feuert eine „Gene Gun“ Metallpartikel mit den DNA-Plasmiden mit Gasdruck unter die Haut. Andere Techniken nutzen Nanopartikel, Liposomen oder „Tattooing“. Dabei befördert eine Schablone die DNA über viele Nadeln gleichzeitig ins Körperinnere. Sehr optimistisch sind die Forscher, dass Elektroporation die Effizienz der Expression stark steigern kann. Immerhin sagen Experten, dass die Zelle die Antigenproduktion damit um das 10 bis 1000fache steigert, wenn kurze Stromstöße nach der Injektion die Zellmembran öffnen und die DNA-Ringe ins Innere lassen.
In den letzten Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass DNA-Plasmide für den Menschen sicher sind. Die Gefahr einer Rekombination mit dem Erbgut besteht bei geeigneter Codonauswahl nicht. Auch die Gefahr von Nebenwirkungen - wie bei attenuierten Life-Vakzinen - ist deutlich geringer. Dagegen stimuliert das DNA-Molekül per se schon die Produktion von Typ-I-Interferonen, wichtigen Mitspielern bei einer Immunantwort. Ebenso fördern unmethylierte Sequenzmotive - CpG-Motive - die Erkennung von TLR-9, einem Hauptakteur des angeborenen Immunsystems. Mit Hilfe weiterer geeigneter Sequenzen im Plasmid lässt sich auch die Adjuvansfunktion schon in die DNA selbst mit einbauen.
Hilfe bei Asthma und transplantierten Organen
Bisher sind kaum DNA-Therapeutika und -Vakzine auf dem Markt, zumindest nicht im humanen Bereich. Im Veterinärbereich aber haben sich die DNA-Therapeutika etwa zur Verhinderung von Fehlgeburten bei trächtigen Säuen bereits bewährt. Klinische Studien bei Patienten in der Phase I und II bei frühkindlichen Herzproblemen oder x-chromosomaler Immundefizienz (SCID) haben die Erwartungen bis jetzt nicht enttäuscht.
Auch Pneumologen bauen auf DNA. So entwickelt die Schweizer Firma Cytos mithilfe eines kurzen DNA-Stücks aus dem TBC-Genom ein Immunstimulans, das die allergische Reaktion bei Asthmatikern deutlich vermindert und damit auch die Abhängigkeit von Kortikosteroiden. Gegen die überschießende Reaktion des Immunsystems richten sich auch DNA-Codes für Histokompatibilitätsmoleküle und T-Zell-Rezeptoren. Mit der beabsichtigten dauerhaften Toleranzinduktion müssten Chirurgen bei Transplantationen nicht mehr so wählerisch bei der Auswahl geeigneter Organe für eine Transplantation sein.
Probleme und Hindernisse? Prokaryotische DNA-Stücke bergen immer ein gewisses Risiko, sich mit gutartigen Kommensalen des Körpers zu vermischen und daraus neue Mikroben mit unerwünschten Fähigkeiten zu gebären. Antibiotika-Resistenz-Gene, die bisher bei der Konstruktion der gewünschten Plasmide notwendig waren, sollen möglichst bald verschwinden.
Selbstgebasteltes Erbgut aus dem Labor als Schutz gegen Infektionen, Krebs oder Autoimmunreaktionen - das hört sich nach entfernter gefährlicher Zukunftsvision an. Doch nicht zuletzt die heiße Diskussion um die Nebenwirkungen und Gefahren bei den schnell entwickelten Impfstoffen gegen die Schweinegrippe zeigt, dass die Zeit der Virenzucht in Hühnereiern ihrem Ende entgegen geht, wenn es sichere Alternativen dazu gibt.