Stalin, Roosevelt und Churchill: Wie diese berühmten Männer sterben Jahr für Jahr Millionen Menschen an den Folgen von Bluthochdruck. Deshalb wird fleißig weitergeforscht: Neue Studien sollen die Therapie für Hypertonie zukünftig verbessern.
Einen deutlichen Einfluss auf das Bluthochdruck-Risiko hat der Anteil des Körperfetts – erst kürzlich ergab die IASO-Studie, dass 75 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen in Deutschland zu viele Pfunde auf die Waage bringen. Viszerales Fett könne aufgrund der Stoffwechselaktivität als „Kraftwerk des Bösen“ betrachtet werden, unterstreicht Prof. Dr. Jürgen Scholze von der Charité Berlin. Hormone und andere Botenstoffe aktivieren nämlich das sympathische Nervensystem und sind an Entzündungsprozessen mit beteiligt. Um dies zu konkretisieren, werteten Forscher Daten einer Augsburger Bevölkerungsstudie aus. Das Ergebnis: „Personen mit Bluthochdruck, die Körpergewicht und insbesondere den Körperfett-Anteil reduzieren, haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Normalisierung ihres Blutdrucks“, so Prof. Dr. Heribert Schunkert von der Universität Lübeck. Dieser Befund unterstützt die Bedeutung der Primärprävention, die auch „Sünden“ wie Alkohol, Nikotin, Bewegungsmangel und Stress mit einbeziehen muss.
Neben dem Lebensstil sind genetische Einflussfaktoren nicht zu unterschätzen. Internationale Forscherteams identifizierten mittlerweile zahlreiche blutdruckrelevante Gene. Eine weitere Erkenntnis: „Zwillingsstudien zeigten, dass Kinder mit einem niedrigeren Geburtsgewicht ein höheres Risiko haben, im späteren Leben an der so genannten arteriellen Hypertonie zu erkranken“, weiß Prof. Dr. Gilbert Schönfelder von der Charité Berlin. Dies konnten die Forscher an Kindern der Kriegsgeneration beobachten. Deren Mütter litten oftmals unter extremem Hunger. Bei vielen Nachkommen stellte sich teilweise 60 Jahre später eine Hypertonie ein, begleitet von Altersdiabetes und Übergewicht. Laut Schönfelder gehen Forscher heute davon aus, dass Moleküle, die das Ablesen oder Nichtablesen genetischer Informationen steuern, hier eine entscheidende Rolle spielen.
Blutdruck: Wie hoch ist zu hoch?
Eine allgemeine Klassifizierung des Bluthochdrucks hat die WHO entwickelt: Von Hypertonie spricht man bei der Erhöhung des systolischen Drucks auf über 140 mmHg und des diastolischen Werts auf über 90 mmHg (Grad 1), auf über 160 bzw. 100 mmHg (Grad 2) und auf über 180 bzw. 110 mmHg (Grad 3). Oftmals bemerken dies Patienten erst anhand von Folgeerkrankungen des Herzens, der Niere oder der Blutgefäße. Aber auch das Gehirn kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Je nach Schweregrad des Bluthochdrucks steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, an. Und das Risiko vaskulärer Demenzen bzw. neurodegenerativer Leiden erhöht sich um neun Prozent pro zehn Millimeter systolischer Druckerhöhung.
… und wie niedrig ist richtig?
An der Frage, welcher Blutdruckwert einzustellen ist, schieden sich in der Vergangenheit die Geister. „Ziel einer antihypertensiven Therapie sollte ein Blutdruck unter 140/90 mmHg sein“, unterstreicht Prof. Dr. Roland E. Schmieder von der Universität Erlangen-Nürnberg. Für Risikopatienten wurden lange Zeit noch strengere Werte angeführt, etwa unter 130/80 mmHg. Ein etwas anderes Licht auf diese Zahlen werfen jetzt die Ergebnisse mehrerer Studien wie ADVANCE, UKPD und ACCORD. Das überraschende Ergebnis: Diabetiker profitieren hinsichtlich eines möglichen Herzinfarkts oder ihrer Mortalität nicht von der strengen Einstellung. Speziell bei Typ 2-Diabetikern wird jetzt als Therapieziel der Bereich 130-139 / 80-85 mmHg empfohlen. Eine stärkere Absenkung scheint für Risikopatienten bzw. für Menschen über 65 Jahren nicht ratsam zu sein. Es mehren sich sogar Hinweise, dass dieser Zielwert gesundheitliche Gefahren mit sich bringt.
Aus der Schatzkiste der Pharmazie
Durch die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Substanzen und Kombinationen kann heute ein Großteil der Patienten richtig eingestellt werden. Wird der Zielblutdruck nicht erreicht, so ist von Ärzten und Apothekern auch die Frage der Compliance zu erörtern – viele Hypertoniker fühlen sich gesund und sind vom Sinn einer langfristig angelegten Pharmakotherapie nicht überzeugt. Als Mittel der ersten Wahl gelten Diuretika. Sie reduzieren den Druck in den Gefäßen, indem die Wasserausscheidung begünstigt wird. Die pharmakologische Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems ist die zweite große therapeutische Säule. ACE-Hemmstoffe hemmen ein bestimmtes Eiweiß, das Angiotensin Converting Enzyme (ACE), das den Blutdruck steuert sowie den Elektrolyt-Haushalte reguliert.
Betablocker hingegen senken die Ruheherzfrequenz des Herzens. Sie binden an spezielle Rezeptoren und hemmen so die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin. Und Kalziumantagonisten reduzieren den Einstrom von Kalzium-Ionen in den Innenbereich von Muskelzellen. Dadurch wird vor allem die Kontraktilität der glatten Gefäßmuskeln herabgesetzt – die Blutgefäße weiten sich.
Mitte 2010 machte ein Bericht des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) Schlagzeilen: Unter der Therapie mit Diuretika und Betablockern erhöhte sich das Risiko, an Typ 2-Diabetes zu erkranken, signifikant. Angiotensin-Rezeptorantagonisten sowie ACE-Hemmer scheinen jedoch eine schützende Wirkung zu haben, eine Erkenntnis, die aufgrund der Auswertung von 34 medizinischen Publikationen gewonnen werden konnte. Randomisierte, kontrollierte Studien fehlen noch, um wichtige Fragen zur klinischen Relevanz und zur möglichen Umkehrbarkeit eines Typ 2-Diabetes, der unter dem Einfluss von Arzneimitteln entstanden ist, zu beantworten. Liegen bei Patienten allerdings Risikofaktoren wie Übergewicht, ein metabolisches Syndrom oder ein erhöhter Nüchternglucosewert vor, sollten Angiotensin-Rezeptorantagonisten oder ACE-Hemmer bevorzugt eingesetzt werden.
Sartane hingegen blockieren eine andere Angiotensin-Bindungsstelle. Einer Mitte 2010 veröffentlichten Metaanalyse zufolge scheint diese Wirkstoffklasse das Risiko, an Krebs zu erkranken, geringfügig zu erhöhen. Dabei nahmen die Forscher neun randomisierte Studien mit Patienten unter Sartan-Behandlung unter die Lupe. Angesichts der Datenlage sind allerdings weitere Untersuchungen erforderlich, um zu einer abschließenden Bewertung zu kommen. Experten gehen davon aus, dass sich vor allem die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) der Problematik annehmen wird. Aliskiren, seit August 2007 in Deutschland zugelassen, gehört zur Gruppe der Reninhemmer. Es bindet an das Eiweiß Renin und verhindert dadurch die Bildung des blutdruckaktiven Proteins Angiotensin II.
Neues aus der Pipeline
Antihypertonika zählen zu den umsatzstärksten Arzneimitteln. Und die Wissenschaft schläft nicht – neue Therapien sind in der Entwicklung. Durch eine Impfung versuchen beispielsweise Schweizer Wissenschaftler, der Hypertonie zu Leibe zu rücken. Dabei werden Antikörper gegen das blutdruckaktive Eiweiß Angiotensin II gebildet.
Einen anderen Weg haben Ärzte der Klinik für Nephrologie, Universitätsklinik Düsseldorf, eingeschlagen. Bei einem Patienten mit schwer kontrollierbarer Hypertonie verödeten sie die Nierennerven mit Hilfe eines Katheters und konnten so die gesteigerte Aktivität des sympathischen Nervensystems im Nierenbereich unterbinden.
In Homburg entdeckten Wissenschaftler wiedrum kürzlich einen Ionenkanal, der die Freisetzung von Adrenalin aus Nervenzellen steuert und damit den arteriellen Blutdruck reguliert. Die Hemmung dieses Kanals führt zu einem deutlich höheren Adrenalinspiegel. Gelänge es hingegen, den Ionenkanal zu aktivieren, hätte man viel versprechende neue Medikamente zur Senkung des Blutdrucks gewonnen.
Mit Darusentan befand sich ein viel versprechender Arzneistoff in der Pipeline. Die Substanz war für Patienten, die ihr Behandlungsziel mit mehreren blutdrucksenkenden Medikamenten nicht erreichen können, gedacht. Im Gegensatz zu den bekannten Hypertonika blockiert die Substanz Andockstellen für Endothelin, eine gefäßverengenden Substanz, die den Blutdruck erhöht. Ende 2009 teilte die Firma Gilead jedoch mit, dass ausschlaggebende Ziele der Phase III-Studie nicht erreicht wurden. Weitere Untersuchungen sollen aber nach Aussage von Norbert Bischofberger, Executive Vice President Research and Development, folgen.
Grund zur Hoffnung gibt jetzt der Chili-Inhaltsstoff Capsaicin: Chinesische Wissenschaftler wiesen dessen gefäßrelaxierende Wirkung nach – ein Indiz für dessen therapeutisches Potenzial bei Hypertonie. Der Forscher Dachun Yang ernährte im Tierversuch Ratten, die an einer chronischen Hypertonie litten, mit einer Capasicin-reichen Diät. Im Vergleich zur Standarddiät zeigten diese Tiere eine deutliche Absenkung des Blutdrucks. Jetzt sollen weitere Untersuchungen zeigen, inwieweit dieses viel versprechende Ergebnis auch auf den menschlichen Organismus übertragbar ist.