Pro Jahr werden eine viertel Million Menschen wegen eines Suizidversuches in eine Klinik eingewiesen. Ein großer Teil von ihnen war in den Monaten vor dem Ereignis in ärztlicher Behandlung. Wie kann also der Arzt bei der Prävention kommunikativ behilflich sein und welche anderen "schweren Fälle" gibt es im Arzt-Patienten-Gespräch?
Oft ist es der Hausarzt, der den Patienten in einer präsuizidalen Phase erlebt. Schlafstörungen, finanzielle Probleme, psychische Erkrankungen oder die Diagnose einer nicht heilbaren Erkrankung entlocken dem Patienten die Ankündigung eines geplanten Freitodes. Häufig wird vermutet, dass der Patient "es gar nicht ernst gemeint hat". Eine Chance, ernst genommen zu werden, haben meist nur Patienten, die einen schweren Suizidversuch unternehmen.
Ambivalenz nutzen!
Die erste Hürde ist das Erkennen und Beurteilen der Suizidalität. Dies sind Voraussetzungen einer möglichen Verhütung des Selbstmords. Der suizidalen Handlung geht, abgesehen von Kurzschlusshandlungen, in der Regel eine präsuizidale Entwicklung voraus, die in drei Stadien verläuft: Erwägung – Ambivalenz – Entschluss. Besonders im Stadium der Ambivalenz entwickelt sich ein Kampf zwischen selbsterhaltenden und selbstzerstörerischen Kräften. In dieser Phase kann es zu direkten oder indirekten Suizidankündigungen kommen, auf die der Arzt entsprechend reagieren muss.
Auch bei Verdacht Konfrontation suchen
Besteht der Verdacht, dass ein Patient an Suizid denkt, ohne dies jedoch auszusprechen, sollte der Arzt dies direkt thematisieren. Das enge Verhältnis zum langjährigen Hausarzt kann trügerisch sein. Die lange Bekanntschaft mit einem Patienten kann zu fehlerträchtigen Illusionen führen. Zur Abschätzung der echten Suizidgefahr sollte geklärt werden, ob der Patient zu einer Risikogruppe gehört: depressive Patienten, Alkoholiker, Medikamenten- und Drogenabhängige, Alte und Vereinsamte, Personen, die durch Suizidankündigungen oder -drohung aufgefallen sind oder die schon einen Suizidversuch durchgemacht haben.
Müssen und dürfen sind tabu
Der Versuch, einen Depressiven zu trösten, ist meist ohne Wirkung. Dies gilt auch für oberflächliche Aufmunterungsversuche wie "Spannen Sie mal richtig aus". Vermeiden solte man auch die Worte „muss“ und „dürfen“. Der Depressive hat stets das Gefühl „zu müssen“ oder „nicht zu dürfen“. Er muss arbeiten, agieren, atmen. Sein ganzes Leben ist ein Muss. Sagt man ihm jetzt, dass er sich zusammenreißen muss, oder keine Tabletten schlucken darf, kann dies der Schlüsselreiz zur Suizidrealisation sein.
Im Gespräch mit Suizidpatienten ist es besonders wichtig, alle abwertenden Formulierungen und kritischen Äußerungen zum Selbstmordversuch zu vermeiden. Dies sollte auch den Angehörigen klargemacht werden. Ziel ist neben der Aufarbeitung der Problematik die Stärkung des gestörten Selbstwertgefühls. So zum Beispiel durch die Vermittlung des Gefühls, dass man den Patienten ohne Vorbehalte akzeptiert und seine Handlungsweise versteht. Es ist falsch, ihm das Vorhaben auszureden oder zu bagatellisieren. Vielmehr ist es hilfreich, die subjektive Erlebensweise des Suizidanten ernst zu nehmen.
(nach W. PÖLDINGER)
Angst macht taub
Neben Suizidenten sind auch Angstpatienten für den Arzt eine kommunikative Herausforderung. Der Puls schlägt bis zum Hals, Schweiß steht auf der Stirn, der Magen ist zugeschnürt, die Gedanken fahren Karussell. Angst – dieses Gefühl ist eng mit der „Tätigkeit“ Patient verbunden. Die Angst, die dem Arzt begegnen kann, hat viele Gesichter. "Angst ist ein unangenehmer emotionaler Zustand mit zumeist physiologischen Begleiterscheinungen, hervorgegangen aus einem Gefühl der Bedrohung, entweder konkret oder nicht objektivierbar." So definiert der Psychiater Prof. Volker Faust Angst.
Nach einer Untersuchung hat ein Zahnarzt am meisten Angst vor der Angst des Patienten. Doch nicht nur vor dem dentalmedizinischen Kollegen fürchtet man sich. Auch viele Patienten, die zum Hausarzt in die Praxis kommen, verspüren Ängste. Welche Untersuchungen wird mein Arzt an mir vornehmen? Wird es weh tun? Haben sich meine Laborwerte immer noch nicht verbessert? Viele Patienten gehen mit einem großen Fragezeichen zu ihrem Arzt, sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Unbekanntes macht Angst. Weitere Gründe für Ängste können negative medizinische Erfahrungen, eine bevorstehende Klinikeinweisung aber auch das gigantische Potenzial an Technik sein. Angst ist ein Compliance-Killer. Deshalb sollte alles getan werden, damit der Kranke die Angst vor einer Untersuchung oder einer Therapie verliert. Ziel des gesamten Praxisteams muss es sein, sein Angstpotenzial zu senken. Eine ungünstige Bemerkung einer Helferin kann einen ruhigen in einen ängstlichen Patienten verwandeln. Wer imstande ist, sich in die Wirklichkeit eines Patienten einzufühlen, der zum ersten Mal zu Ihnen kommt, wird sich rasch ein plastisches Bild von dem Szenario seiner Ängste machen können.
Gesichter der Angst
Ob bei einem Patienten Angst vorliegt und wie schwer sie wirklich ist, kann schwierig zu erfassen sein. Wie viel von der Angst nach draußen dringt, wird auch von der Angstabwehr des Patienten bestimmt. Typische Abwehrformen sind Verdrängung, Verleugnung, Regression, Rationalisierung und Projektion. Damit der Arzt mit der Angst des Patienten richtig umgehen kann, muss er sie einordnen. Es ist ein Unterschied, ob der Arzt bzw. die Untersuchung der Auslöser ist, oder ob die Angst das Leben des Patienten bestimmt. Ängste können organisch bedingt sein, sich als Phobie darstellen sowie Neurosen oder Psychosen als Ursache haben.
Teddy als Anxiolytikum
Kinder sind wissbegierig und sehr aufnahmefähig. Deshalb sollte man dem kleinen Patienten vor, während und nach der Untersuchung alles erklären und alle Fragen in einer für Kinder verständlichen Sprache beantworten. Man kann auch versuchen, das Kind mit einem Plüschtier abzulenken, das es während der Untersuchung auf den Arm nimmt. Die Gefahr, dass es den Trösteteddy aber nicht wieder hergibt, ist groß. Ein Satz sollte gerade bei Kindern nicht rausrutschen: „Du musst keine Angst haben!“ Dann hat man verloren. Negierungen werden immer überhört, das Wort „Angst“ bleibt im Gedächtnis zurück.
Ob Mutter oder Vater bei der Behandlung dabei ist oder nicht, sollte das Kind selbst entscheiden dürfen. Während der Behandlung sollten keine verspäteten Erziehungsversuche durch die Eltern unternommen werden. Sie sollten nur, wenn unbedingt nötig, in den Behandlungsablauf eingreifen. Weder übertriebene Fürsorge noch ständige Ermahnungen sind in dieser Situation angebracht. Nach der Behandlung ist Loben wichtig, z.B. die Belohnung der Tapferkeit des kleinen Patienten mit einem Lolli o.ä..
Verbale und nonverbale Kommunikation sind wichtige Faktoren, Angst zu erzeugen oder zu lindern. Ein skeptischer Blick in die Krankenakte kann reichen, um bei einigen Patienten Ängste hervorzurufen. Unbedingt vermieden werden sollten Negierungen. Wenn man an alles denken darf, nur nicht an gelbe Frösche mit grünen Punkten, woran wird man denken? An gelbe Frösche mit grünen Punkten! „Das wird nicht wehr tun“. „Sie müssen keine Angst haben!“. „Das wird schon kein Krebs sein!“ Solche Killerphrasen sollte man vermeiden, stattdessen positiv sprechen. Statt „..keine Angst haben“ lieber „entspannen Sie sich!“. Auch das Zuhören bei den medizinischen Fachangestellten, wie oft diese Negierungen verwendet, macht Sinn. Praktisch ist ein Hinweis in der Akte des Patienten, ob er in die Rubrik „Angsthase“ gehört. So kann bereits das Praxisteam von Anfang an als Angstbremse wirken.
So bauen Sie Ängste beim Patienten ab