Woran erkennt man Ärzte? Sie tragen ein Stethoskop. Aber warum eigentlich? Für viele ist das Gerät unersetzlich. Es gibt aber auch Mediziner, die es für eine veraltete Keimschleuder halten. Für den Einsatz des Stethoskops spricht vieles – für seine Entsorgung allerdings auch.
Seit 1961 gibt es das klassische Stethoskop aus einem Doppelkopf-Bruststück mit Trichter und Membran, sein Vorgängermodell wurde vor mehr als 200 Jahren entwickelt. Und im Jahr 2018 verwenden Ärzte das Gerät immer noch. Bei allem technologischen Fortschritt in der Medizin – ist das Stethoskop nicht ein wenig überholt? Wir haben Ärzte gefragt, ob sie an dem Diagnosewerkzeug hängen und mit Experten über alternative Untersuchungsmöglichkeiten gesprochen. Stethoskop von René Laënnec © Science Museum London / Science and Society Picture Library
Ein Stethoskop ist praktisch. Jeder Arzt kann es sich um den Hals hängen, um es jederzeit einzusetzen. Aber ist es wirklich nötig, dieses Abhörgerät die ganze Zeit mit sich zu tragen oder handelt es sich um eine von Medizinern liebgewonnene Routine, die man hinterfragen sollte? Dass dieses Gerät auch zur Keimschleuder werden kann, daran denken beispielsweise viel zu wenige. Unsere Hände sind der Übertragungsweg von Keimen, auch Stethoskope scheinen eine große Rolle zu spielen, berichtet Yves Longtin vom Universitätshospital Genf. Mit seinen Kollegen führte er vor Jahren eine Studie durch, die damals heiß diskutiert wurde. Untersucht wurden 71 Patienten. Von einem von drei Ärzten wurden die Personen mit sterilen Handschuhen und einem vorab sterlilisierten Stethoskop untersucht. Danach wurden zwei Teile des Stethoskops (der Schlauch und die Membran) und vier Bereiche der Hände des Arztes auf Bakterien hin untersucht. Die Membran war stärker kontaminiert als alle Bereiche der Hand, mit Ausnahme der Fingerspitzen. Das betraf sowohl normale als auch multiresistente Erreger. Longtins Stichprobe ist klein; er macht keine detaillierten Aussagen zu Erregern. Trotzdem sollten seine Ergebnisse als Warnung verstanden werden.
Die Botschaft ist bei Jürgen L. Holleck von der Yale University School of Medicine, New Haven, angekommen. Er hat Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Stethoskop-Hygiene entwickelt. Dabei kommen Alkoholtupfer, Alkoholgele oder Desinfektionstücher zum Einsatz. Gleichzeitig informierte Holleck Kliniker über die Bedeutung seiner Maßnahmen. Ziel ist, Stethoskope in Hygienepläne zu integrieren. Ergebnisse aus bakteriologischem Blickwinkel gibt es noch nicht. Das war Rieke-Marie Hackbarth zu wenig. „Mir fiel ein, was mein Kinderarzt gesagt hat: Stethoskope sind die reinsten Keimschleudern“, sagt die Schülerin. Sie entwickelte im Rahmen von „Jugend forscht“ ein Stethoskop, das sich selbst desinfiziert. Beendet ein Arzt das Abhören und löst Finger oder Daumen vom vorderen Teil des Stethoskops, wird ein Signal an den integrierten Mikrochip übertragen. Dieser aktiviert eine Pumpe, und geringe Mengen an Desinfektionsmittel sorgen für mehr Hygiene. Alles läuft im wahrsten Sinne des Wortes automatisch. Laut „Hamburger Abendblatt“ hat Hackbarth sogar schon einen industriellen Partner gefunden. Die Chancen stehen gut: Vielleicht gibt es das Stethoskop noch in 200 Jahren – wenn auch technisch verändert.
Doch es gibt auch Schwächen. Beim klassischen „Abhören“, der Auskultation, übertragen sich Schwingungen des Körpers auf eine Membran. Diagnosen sind subjektiv und hängen jedoch stark von der ärztlichen Erfahrung ab. Diese Nachteile machen elektronische Stethoskope wett. Sie erfassen Signale digital und filtern Störgeräusche heraus. Mit Auskulationssoftware gelingt es, pathologische Geräusche zu identifizieren. Mittlerweile gibt es Apps zur Analyse der Signale. Das Eko DUO Cardiac Monitoring Device hat sogar eine FDA-Freigabe erhalten. Es eignet sich sowohl für Mediziner als auch für Laien.
Damit sind die Möglichkeiten längst noch nicht ausgeschöpft. Forscher aus Erlangen, Nürnberg und Cottbus arbeiten im Experiment mit elektromagnetischen Wellen. „Dabei wird eine Radarwelle auf die Oberfläche eines Objekts gerichtet und reflektiert“, erklärt Christoph Will vom Lehrstuhl für technische Elektronik der Uni Erlangen-Nürnberg. Um den Hals hängen können Ärzte sich das Radarsystem zwar nicht, dafür werden hier aber auch keine Keime geschleudert. Alles läuft berührungslos: Bewegt sich das Objekt, sprich unser Brustkorb, ändert sich die Phase der reflektierten Welle. „Daraus errechnen wir dann die Stärke und die Frequenz der Bewegung, in unserem Falle des Brustkorbs“, erklärt Will. Erste Experimente mit Probanden verliefen vielversprechend. So erreichte das neue System beim ersten Herzton (S1) 83% Übereinstimmung mit dem Stethoskop und 92% mit dem EKG. Forscher erklären die Abweichungen damit, dass gleichzeitige Messungen nicht an der identischen Körperstelle möglich sind. Außerdem arbeiten Radarsysteme in der Fläche, während Stethoskope punktuell zum Einsatz kommen. Das Radarsystem im Test © FAU Erlangen-Nürnberg Alle Werte werden digital erfasst und hängen nicht von der Erfahrung des Anwenders ab. Experten sehen im Radarsystem aber weitere Vorteile. „Ein berührungsloses und somit belastungsfreies Erfassen von Vitalparametern wie Herztönen hat aber auch das Potenzial, die klinische Versorgung im Bereich der Palliativmedizin zu revolutionieren“, hofft Professor Dr. Christoph Ostgathe vom Uniklinikum Erlangen. „Zum Beispiel können Angehörige bei Beginn der Sterbephase deutlich schneller informieren, weil Änderungen des Gesundheitszustands vom Radar sofort erkannt werden.“
„Das Stethoskop hat immer noch eine große Bedeutung im hausärztlichen Alltag, ich brauche es täglich dutzendfach“, erzählt Dr. Frauke Gehring. Die Ärztin für Innere Medizin und Allgemeinmedizin mit Praxis in Arnsberg hört regelmäßig Atemgeräusche ab, um eine Bronchitis, Rippenfellentzündung, Asthma und Lungenentzündung zu diagnostizieren. Herztöne verraten Arrhythmien und Klappenfehler, wobei man zwischen undichten und verengten Klappen unterscheiden kann und auch, welche Klappe betroffen ist. Man hört auch Hinweise auf eine Herzbeutelentzündung oder verengte Halsschlagadern. Nicht zuletzt braucht sie ihr Stethoskop zum Messen des Blutdrucks. „Natürlich ist ein Stethoskop immer nur so gut wie der, der es nutzt, und man hört nicht alles“, gibt Gehring zu bedenken. Nicht jede Pneumonie lasse sich erkennen. Auch Ökonomie und die Gesundheit der Patienten spielen hier laut Gehring eine Rolle: „Wir können doch nicht täglich Dutzende von Patienten zum Röntgen der Lunge oder Herzecho schicken! Weder haben wir die Kapazitäten, noch wäre die Strahlenbelastung tolerierbar.“ Bildgebende Verfahren seien wichtig, aber nur als Ergänzung. „Das Stethoskop hat auf zwei verschiedene Weisen eine große Bedeutung für mich“, sagt Prof. Dr. Thomas Kühlein vom Uniklinikum Erlangen. Am häufigsten benutzt er das Gerät zum Abhören von Herz, Lunge und Bauch. Seine Hausarztpraxis befindet sich im sogenannten Niedrigprävalenzbereich, schwerwiegende Erkrankungen treten selten auf. „Das Ausschließen gefährlicher Erkrankungen gelingt im Niedrigprävalenzbereich sehr gut mit einfachen Untersuchungen wie dem Abhören mit dem Stethoskop, während feinfühligere Untersuchungsmethoden oft mehr falsch- als richtig-positive Befunde erzeugen.“ Seine Einschätzung: „Das Stethoskop hat keine Strahlung wie das Röntgen, Untersuchungen gehen schnell und tun nicht weh: ein ideales diagnostisches Mittel.“ „Auch heutzutage spielt das Stethoskop in der alltäglichen Arbeit eines Arztes eine wichtige Rolle“, bestätigt auch Alexander Stein, angestellter Arzt aus Dorsten. „Bei jedem Patienten erfolgt eine körperliche Untersuchung, mit dem Ziel, sich einen orientierenden Überblick über die Funktion einzelner Organe bzw. Organsysteme zu verschaffen.“ Es geht nicht nur um Lunge, Herz oder Darm. „Sehr häufig wird das Stethoskop im Rahmen der Blutdruckmessung eingesetzt.“ Er weiß: „Zur Orientierung ist und bleibt das Stethoskop ein hervorragendes und zugleich simples Instrument, bei verdächtigen Befunden werden sich jedoch weitere technische Untersuchungen anschließen.“