Pestizide können Verhaltensstörungen auslösen. Eine Studie dokumentiert einen Zusammenhang zwischen Organophosphaten und dem Hyperaktivitätssyndrom (ADHS).
Zappelphilipp kann nicht sitzen bleiben. Seine Konzentration ist gestört, seine Impulse unkontrolliert, er ist leicht abzulenken und unruhig: Zappelphilipp leidet an einem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, auch ADHS genannt. Damit ist er keineswegs alleine: Statistiken zufolge leiden 2-10 Prozent aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen an ADHS. Bei Schulkindern zeigt die Erkrankung eine hohe Prävalenz. Sie liegt bei 3-7,5 Prozent. Jungen sind fünfmal häufiger betroffen, als Mädchen. Die Symptome der ADHS können in unterschiedlichen Altersstufen unterschiedlich ausgeprägt sein und bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Warum manche Menschen an ADHS leiden und manche nicht, ist noch nicht eindeutig erklärt. Eine genetische Disposition ist für die Entstehung der Erkrankung sehr wahrscheinlich, Nahrungsmittelallergien werden diskutiert und seit kurzem sind Pestizidrückstände in unseren Lebensmitteln als mögliche Auslöser im Gespräch.
Essen als Gefahr
Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 Österreich machte vor einer Weile in einer groß angelegten Presseaktion auf eine aktuelle amerikanische Studie aufmerksam: „Pestizide können die Ursache für Verhaltensstörungen bei Jugendlichen sein, dafür gibt es nun neue wissenschaftliche Erkenntnisse“, erklärt Daniela Hoffmann, Pestizidexpertin der Organisation. Den Zusammenhang zwischen Pestiziden, so genannten Organophosphaten, und dem vermehrten Auftreten von ADHS dokumentiert diese Arbeit, die kürzlich in der Amerikanischen Fachzeitschrift Pediatrics veröffentlicht wurde. ADHS bei Kindern und Jugendlichen wird auf eine Störung der Nervenreizleitung zurückgeführt, die durch Organophosphate hervorgerufen werden kann. Maryse F. Bouchard vom Department of Environmental Health and Epidemiology der Harvard University Boston untersuchte in ihrem Forschungsprojekt den Urin von 1139 Kindern und Jugendlichen im Alter von 8-15 Jahren auf messbare Pestizidrückstände und das Auftreten von ADHS. Die Ergebnisse ihrer Arbeit lassen aufhorchen: Die Wahrscheinlichkeit an ADHS zu leiden, war bei Kindern, die höhere Pestizidwerte im Urin aufwiesen, signifikant höher.
Nervengift nachgewiesen
Auf 119 Kinder trafen die Diagnosekriterien für ADHD zu. Für Kinder mit einer höheren Konzentration von Dimethyl-Alkylphosphat (DMAP) im Urin, fand sich eine höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit. Alkylphosphate sind grundsätzlich giftig. Zu ihrer Guppe zählen etliche chemische Kampfstoffe, wie Tabun und Sarin, sowie Insektizide auf Phosphoraäureestherbasis. Sie werden über Lebensmittel oder durch die Verwendung von Pestiziden im Hausgebrauch aufgenommen. Organophosphate ist ein Cholinesteraseinhibitor. Damit blockiert er den Abbau des Neurotransmittes Acetylcholin mit allen daraus resultierenden vegetativen Konsequenzen. Lag bei Kindern der DMAP-Metabolit Dimethyl-Thiophosphat über dem gemessenen Durchschnittswert, war die Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Erkrankung doppelt so hoch. Aufgrund dieser Daten kommen die Autoren zum Schluss, dass eine Exposition mit Organophosphaten zur Entstehung einer ADHS beitragen kann.
Trotz Gefahr in Verwendung
„Viele der in Österreich verwendeten Pestizide basieren auf diesen Wirkstoffen, die das menschliche Nervensystem massiv schädigen können“, warnt Hoffmann. „Lebensmittel sind häufig damit kontaminiert, denn Wirkstoffe auf Organophosphatbasis, wie zum Beispiel das Pestizid Chlorpyrifos, werden in der konventionellen Landwirtschaft in großen Mengen verwendet. Zudem ist der Wirkstoff extrem persistent, das bedeutet, er wird in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut.“ Diese Pestizide werden immer noch flächendeckend eingesetzt, obwohl bereits eine Reihe wissenschaftlicher Studien auch eine negative Wirkung auf die Entwicklung von Ungeborenen und Kleinkindern dokumentiert haben. GLOBAL 2000 fordert als Konsequenz ein Verbot von Chlorpyrifos und allen Pestiziden auf Organophosphatbasis.