iPads zur White Coat Ceremony: dieser Luxus ist in den USA schon Realität. Das Geschenk kommt offenbar gut an, denn Elsevier stattet die iPads zusätzlich mit Lehrbüchern in digitaler Form aus. Können Studenten hierzulande davon träumen oder gibt es auch Kehrseiten der Entwicklung?
Die UC Irvine School of Medicine, Kalifornien, hat vor kurzem eine höchst interessante Pressemitteilung ausgesendet: ihren Erstsemester-Studenten wird bei der White Coat Ceremony ein iPad spendiert. Doch nicht nur das, es wurde auch gleich ein komplettes, auf dem iPad basiertes, Curriculum vorgestellt. Somit wird dort das Tablet aus dem Hause Apple essentieller Bestandteil der medizinischen Aus- und Fortbildung. Doch wie ist dieser Schritt zu bewerten? Wo liegen die Vorteile, wo die Nachteile, wenn nicht gar Gefahren dieser Entwicklung?
“We believe a digitally based curriculum is the future of medical education”, sagte Dr. Ralph V. Clayman, Rektor der UC Irvine School of Medicine. Bei dem iPad, das diese digitale Zukunft bringen soll, handelt es sich um die 16GB 3G Version des Geräts. Jeder einzelne Medizinstudent erhält es als Willkommens-Präsent im Rahmen der White Coat Ceremony, eine hauptsächlich in den USA übliche Zeremonie zu Beginn des Studiums. Damit bietet sich natürlich eine Fülle an Möglichkeiten, den Studiumsalltag von Medizinstudenten zu revolutionieren.
So möchte die Irvine School of Medicine vor Kleingruppen-Seminaren kurze Podcasts anbieten, die als Vorbereitung auf die kommenden Stoffinhalte dienen sollen. Der Buchverlag Elsevier sprang gleich mit auf das Boot und wird alle iPads mit vier Zugangsschlüsseln zu essentiellen Lehrbüchern des ersten Jahrganges bestücken. Handouts, Manuskripte, Vorlesungsunterlagen sowie Audio- und Videobibliotheken mit verschiedensten medizinischen Inhalten sollen den Studenten zur Verfügung gestellt werden.
Revolution des Lernens
Die Vorteile des iPads als Lerninstrument liegen auf der Hand: Die Bedienung ist höchst simpel und intuitiv. Seiten per Hand wegzuwischen, Texte mit einer einfachen Handbewegung zu vergrößern ist äußerst "funky" und baut eine völlig neue Verbindung zwischen Benutzer und Gerät auf. Lehrbücher und Vorlesungsunterlagen können kombiniert werden mit Videos, Weblinks, Bildern oder Podcasts. Man stelle sich zum Beispiel hochauflösende anatomische Abbildungen mit variablen Einblendungen vor, die per Hand stufenlos vergrößert werden können. Unterlagen können leicht markiert, bearbeitet und ausgetauscht werden. Per Suchfunktion kann man den ganzen Inhalt des iPads auf ein Stichwort hin durchforsten. Speziell für das Medizinstudium geeignete und an das iPad angepasste Apps können aus dem iTunes Store heruntergeladen werden. Solche Programme gibt es bereits für Smartphones. Ein Lernkarten Programm, bei dem man im Internet Flashcards anfertigen und mit anderen Benutzern austauschen und synchronisieren kann, hat sich aus eigener Erfahrung als sehr praktisch erwiesen.
Kiloschwere Bücher und Skripten, die in die Vorlesung mitgeschleppt werden müssen, sind für die Medizinstudenten aus Kalifornien nun wohl auch passé: Sie können nur mit einem 680 Gramm schweren iPad ausgestattet in die Vorlesung spazieren.
Auch die Bücher könnten in ihrer digitalen Form zu einer Revolution gelangen. Anstatt sich ärgern zu müssen, einen dicken Schmöker kurz vor dessen Neuauflage gekauft zu haben, können medizinische E-Books ständig über das Internet aktualisiert werden. Studenten hätten zudem die Möglichkeit, einen Titel nur für eine gewisse Zeitspanne zu "mieten". So müsste man sich nicht extra ein teures Buch für einen Kurs kaufen, der nur wenige Wochen dauert. Die Kostenersparnis wäre beträchtlich.
Sind die hohen Ziele praxistauglich?
Dies alles sind überzeugende Argumente für die Einbindung des iPads in den Universitätsalltag, jedoch sollte man auch die Kehrseite der Medaille betrachten.
Zunächst einmal stellt sich die Frage ob all die Vorhaben auch problemlos in die Praxis umgesetzt werden können. Es ist einiges an Engagement und Zeitaufwand von den Lehrenden nötig, um die digitalen Inhalte in entsprechender Qualität anbieten zu können. Zudem ist fraglich, ob alle Universitätsprofessoren überhaupt das technische Know-How besitzen, um selbst mit diesen modernen Gadgets umgehen zu können. Dies ist wohl vorauszusetzen, damit man deren technische Möglichkeiten richtig nutzen kann.
Auch folgendes Szenario zeigt ein weiteres Problem auf: Man stelle sich einen Hörsaal mit 700 Studenten und ebenso vielen iPads vor. Es findet eine langweilige Vorlesung zu einem nur begrenzt wichtigen Thema statt. Nun hält man ein Gerät mit direktem Internetzugang und zahlreichen installierten Spielen in der Hand. Wer würde nicht der Versuchung erliegen und schnell mal sein Facebook Profil auf Neuigkeiten checken oder gegen den Sitznachbarn eine Online-Partie zocken?
Zudem bleibt zu erwähnen, dass das "gute alte Buch" von vielen noch mehr geschätzt wird als e-Books. Mit der Qualität der Displays und der zunehmenden Digitalisierung in allen Bereichen unseres Lebens wird hier jedoch über kurz oder lang ein Umdenken stattfinden.
Zu guter letzt sei noch die Frage gestattet: Warum muss es überhaupt ein iPad sein? An vielen Universitäten ist es Standard, dass Studenten mit Netbooks ausgestattet werden. Diese sind vielleicht nicht ganz so mobil wie ein iPad, jedoch in vielen Dingen überlegen: Bessere Hardware, mehr Speicherplatz, eine physische Tastatur, eine große Anzahl verschiedener Hersteller mit günstigerem Zubehör als für Apples Gerät. Der einzig große Nachteil: Ein Netbook wird niemals den Coolness-Faktor eines iPads erreichen.
Fazit
Man sieht also: Diese Entwicklung an amerikanischen Universitäten bietet ausreichend Stoff für Diskussionen. Wie gut diese Idee tatsächlich ist, wird sich wohl erst in deren praktischer Umsetzung zeigen. Auf jeden Fall ist es wohl ein Blick in die Zukunft des Medizinstudiums auch an österreichischen und deutschen Universitäten.