Ein neues Vertriebskonzept beschäftigt die deutsche Apothekerschaft: An der Schnittstelle zwischen Offizin und Versandapotheke buhlt die Video-Box um Kunden. Sie bietet den direkten Draht zum Apotheker – auch wenn dieser gar nicht vor Ort ist. Das Interesse ist groß, die Begeisterung nicht überall.
Mit seinen über 20.000 Apotheken gilt Deutschland in Sachen pharmazeutischer Versorgung eigentlich als gut bedient. Dennoch gibt es vor allem auf dem Land Lücken im Apothekennetz. Und auch wenn die Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der ambulanten ärztlichen Versorgung derzeit drängender sind: Dass sich demographischer Wandel und Verstädterung auf Dauer nicht auf die Apothekendichte auswirken, erscheint ziemlich unwahrscheinlich.
Wie ein WC-Häuschen, nur anders.
Der Versandhandel war und ist eine Antwort auf dieses Problem. Für Menschen, die ihr Leben ohnehin am Rechner verbringen, ist er eine gute Alternative zum Gang in die Offizin. Was fehlt, ist die direkte Interaktion mit dem Apotheker. Und auch wenn es für „Netzbewohner“ merkwürdig klingt: Viele weniger computeraffine Menschen empfinden den internetbasierten Versandhandel – egal in welcher Branche - nach wie vor als umständlich. An dieser Stelle setzt die Videoapotheke an. Das Konzept hat in den letzten Monaten in Apothekerkreisen für einige Furore gesorgt, weil der Anbieter CoBox AG, der auch Videofilialen für Sparkassen im Programm hat, mit seiner CoBox Videoapotheke in den Markt eingetreten ist.
Die CoBox ist ein kleiner Beratungsraum mit Videokonferenztechnik und einem kleinen Sitzmöbel. Sie gehört einem Apotheker, der nicht notwendigerweise im selben Städtchen angesiedelt sein muss. Betritt ein Kunde die Box, nimmt er per Knopfdruck Kontakt mit dem Apotheker auf. Der meldet sich persönlich über die Videoleinwand, ein 52-Zoll-Monstrum. Das Bild ist nicht nur groß, sondern liegt auch in HD-Qualität vor. Der Apotheker kommt also ziemlich echt herüber. Am anderen Ende der Leitung steht dasselbe System, nur etwas kleiner und ohne Box. Der Apotheker sieht den Kunden und kann ihn von Angesicht zu Angesicht beraten. Der Rest ist Versandhandel: Der Kunde bezahlt per EC-Karte. Hat er ein Rezept dabei, legt er es auf einen Scanner, der es sofort an den Apotheker überträgt. Die Anlieferung erfolgt per Post oder durch das Apothekenpersonal. Kunde raus. Box zu. Fertig.
Wie bei einer Party: Auf die richtige Location kommt es an
Dass die Idee nicht unclever ist, liegt auf der Hand. Die Videoapotheke kann den Kreis potenzieller Kunden für eine Apotheke deutlich ausweiten, ohne dafür die persönliche Beratung zu opfern. Der Preis dafür ist ein nicht unerheblicher technischer Aufwand, der bezahlt werden will. Gegenüber DocCheck nannte die CoBox AG einen Preis von 2400 Euro für die Installation zuzüglich Leasinggebühren von 1600 Euro monatlich. Dazu kommen dann noch Datenübertragung und Wartung sowie technischer Support, sodass der Apotheker unterm Strich mit rund 2200 Euro monatlich rechnen sollte. Wer nicht leasen will, kann die Box auch für 80000 Euro netto kaufen. Ob sich das rechnet oder nicht ist im Wesentlichen eine Frage der zusätzlich an Land gezogenen Kunden. 12 bis 15 Kunden pro Tag bei einer 5-Tage-Woche seien nötig, damit sich die Investition rechne, so der Hersteller. Anders ausgedrückt: Der Standort der Box muss stimmen, sonst geht die Sache nach hinten los.
Ganz auf sich allein gestellt ist der Apotheker dabei nicht: „Interessierte Apotheker sollten sich bei der CoBox AG melden und ein Location-Scouting für Ihre Umgebung anfordern. Dieses fertigen wir gerne unverbindlich an und überprüfen so über eine Datenbank, ob sich ein geeigneter Standort in der jeweiligen Gegend befindet“, betont CoBox AG-Chef Ulrich Baudisch. Natürlich sollte sich der Apotheker auch selbst Gedanken über geeignete Standorte machen. Die bisher acht in Hessen bereits installierten Videoapotheken stehen in Ortschaften, in denen es keine Apotheke gibt, in Verwaltungsgebäuden mit 1000 und mehr Mitarbeitern ohne Apotheke in fußläufiger Entfernung, in Kliniken und in der Nähe von Ärztehäusern ohne benachbarte Apotheke.
Der Polit-Poker hat längst begonnen
Wie ein Dutzend andere Innovationen im Apothekensektor in den letzten zehn Jahren hat auch die Video-Box längst die Politik auf den Plan gerufen. Ist die Kiste wirklich der berühmte dritte Weg, der Offizin-Apotheke und Versandhandel elegant versöhnt? Handelt es sich nur um eine technisch aufgepeppte Pickup-Stelle? Oder gar um die Einführung der Apothekenkette durch die technische Hintertür? Die Ansichten darüber sind durchaus verschieden. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler ist angetan von dem Konzept. Er plant, die Video-Box in die Novelle der Apothekenbetriebsordnung aufzunehmen. Vorbild ist hier Hessen, wo die Box als Betriebsraum für den Versandhandel zugelassen ist.
Weil die Politik drängt, beschäftigen sich gerade auch die Verbände mit dem Thema. Bei der ABDA war man auf Nachfrage von DocCheck kurz angebunden: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Ihnen Ihre Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausführlich beantworten. Grundsätzlich lehnt die ABDA den Ersatz des persönlichen Kontaktes durch Audiovisionstechnik ab“, so eine Sprecherin. Beim Bundesverband der Versandapotheken BVDVA begrüßt man die Videoapotheke, stört sich aber daran, dass der Hersteller eine Obergrenze für die Entfernung zur Offizin vorschlägt.