Mitochondrien sind weit mehr als nur Energieproduzenten der Zelle. Sie sind auch das Alarmsystem für die Immunantwort. Mit dem Wissen um ihre Bedeutung bei systemischen Entzündungen, steigen auch die therapeutischen Möglichkeiten.
Eigentlich ist es das Paradebeispiel für eine gelungene Unternehmensfusion, das in jeder Eukaryontenzelle steckt. Alles fing mit einem vorsichtigen Abtasten an, als sich ein Proteobakterium in einer kernhaltigen Zelle einnistete. Die wiederum behielt die nützlichen Bestandteile zu Energiegewinnung des Gasts für sich und entledigte sich des Rests. Aus dem Eindringling wurde eine Organelle höherentwickelter Lebewesen, das Mitochondrium.
Noch immer haben die nach innen dicht gefalteten Partikel in der Zelle ein ausgeprägtes Eigenleben. Zum Beispiel eine eigene DNA (mtDNA). Mitochondrien sind mehr als nur Kraftwerke. Sie sind auch Waffenkammern, die bei äußeren Bedrohungen ihr Arsenal zur Verfügung stellen. Mit ihrer Hilfe startet die Zelle ihr Selbstmordprogramm, wenn kein anderer Ausweg mehr zur Verfügung steht. Sie spielen eine bedeutende Rolle bei Entzündungen und sie sind Ursache für Krankheiten immer dann, wenn die Zelle die Kontrolle über ihren Untertanen verliert.
Freigesetzte mtDNA sorgt für Zellalarm
Ein Artikel in Nature im Frühjahr dieses Jahres verdeutlicht, wie Mitochondrien den Verlauf einer Entzündung etwa bei einer Sepsis maßgeblich beeinflussen. Carl Hauser und sein Team aus Boston zeigten, dass Pateinten mit einem Trauma DNA aus Mitochondrien freisetzen. Auch andere typische Komponenten dieser Energie-Organellen wie etwa Peptide mit einem terminalen Formyl-Rest wirken auf das angeborene Immunsystem als „DAMP - Danger-Associated-Molecular-Pattern“, als Alarmsirene für den Körper. Die herbeigeholte Wachmannschaft besteht aus Neutrophilen Granulozyten, die weitere Entzündungsmediatoren auf die Reise schicken. Dazu gehört etwa auch Kollagenase, die dem Immunsystem den Zugang in periphere Gewebe ermöglicht.
Als die Forscher mitochondriale DNA intravenös in Ratten injizierten, reagierten die Nager schon kurz darauf mit Schädigungen in der Lunge, wie sie zuweilen auch bei einer Infektion auftreten. In den Ödemen finden sich große Mengen von Neutrophilen. Proinflammatorische Zytokine wie IL-6 oder TNF-alfa stammen aus dieser Quelle.
Auch ohne die Invasion von Mikroorganismen sieht der Arzt zuweilen eine systemische Entzündung, im Fachjargon SIRS genannt (= Systemic inflammatory Response Syndrome). Die Symptome ähneln oft sehr stark der Sepsis, die Zusammenhänge blieben jedoch bis vor kurzen unverstanden. Die Ähnlichkeit von mitochondrialen mit bakteriellen Antigenen könnte ein Schlüssel zur Aufklärung sein. Neutrophile besitzen TLR-9-Rezeptoren, in die sowohl Mitochondrien- wie auch Bakterien-DNA passt. Das Gleiche gilt für Formyl-Peptid-Rezeptoren des angeborenen Immunsystems. Auch für Bakterien ist der Ameisensäurerest an Peptiden typisch.
Die Signalketten für den programmierten Zelltod, die Apoptose, laufen bei den Mitochondrien zusammen. Bcl-2 ist einer der wichtigsten bisher bekannten Steuerungselemente der Apoptose und hemmt biochemische Prozesse an den Mitochondrien-Membranen.
Krebszellen entschärfen ihre eigene Waffenkammer
Für solche Aktivitäten interessieren sich auch immer mehr Krebsforscher. Wenn es gelänge, Tumorzellen rechtzeitig in die Apoptose zu treiben, wäre das ein probates Mittel gegen die ungesteuerte Massenvermehrung von Zellen. Krebsstammzellen, so weiß man inzwischen, sind arm an reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS). Solche entstehen mehr oder weniger automatisch bei der oxidativen Energieerzeugung, sind aber für die Zelle toxisch. Möglicherweise sichert sich die Tumorzelle gegen ihre eigene Zerstörung ab, indem sie ihr Alarmsystem ausschaltet und Gefahrgut-Transporte vermindert. Genau dort könnte nach Ansicht von Experten aber auch eine wirksame Tumorbekämpfung ansetzen.
Eigener Gencode schützt vor Radikalen
Gegen die Gefahren der toxischen Substanzen im Kraftwerk schützt sich die Zelle mit einem eigenen Mitochondrien-Gencode. Einige Basen-Tripletts kodieren dabei für andere Aminosäuren als im Zellkern. Forscher von der Universität Mainz entschlüsselten die Hintergründe dieser Unterschiede vor zwei Jahren. In den Proteinen der Mitochondrien kommt Methionin häufiger als anderswo vor. Die veränderten Peptide sind damit unempfindlicher gegen den ROS-Angriff „Das ist gerade in den Mitochondrien besonders wichtig, weil bei hohem Sauerstoffumsatz fast immer freie Radikale entstehen“, sagt der Leiter der Mainzer Arbeitsgruppe, Bernd Moosmann.
Defekte in der Mitochondrienfunktion verursachen rund 150 bisher bekannte Krankheiten. Die wichtigsten sind etwa Leber‘sche Hereditäte Optische Neuropathie, oft kombiniert mit Herzrhythmusstörungen, das Kearns-Sayre-Syndrom, eine Lähmung der Augenlider, aber auch Morbus Parkinson, Alzheimer und Epilepsie bringen Forscher in Zusammenhang mit Mitochondrien.
Ziele im Kampf gegen Parasiten und systemische Entzündung
Ergebnisse wie jene aus der Bostoner Arbeitsgruppe rücken Proteine und DNA der Mitochondrien immer mehr in den Blickwinkel der Medizin. Der renommierte amerikanische Onkologe Bert Vogelstein veröffentlichte in der gleichen Nature-Ausgabe wie Hauser seine Ergebnisse, nach denen in den Mitochondrien gesunder Zellen ein sehr heterogenes Gemisch von mitochondrialer DNA mit unterschiedlichen Mutationen vorliegt, das sich von Gewebe zu Gewebe unterscheidet.
Eukaryontische Human-Parasiten dürften sich in weitaus größerem Maß von der humanen mtDNA unterscheiden. Die veränderten Bestandteile der parasitischen Atmungskette sind damit ein potentielles Ziel für neue Chemotherapeutika. Ganz sicher noch mehr in den Blickpunkt rücken die Zellorganellen durch ihre Rolle bei systemischen Entzündungen bei Sepsis oder nach Traumen. Die hohe Mortalität dieser Krankheiten lässt noch viel Raum für innovative Therapien.