Sie sind nur wenige Nanometer klein und seit den 1990ern bekannt - doch erst jetzt halten sogenannte Dendrimere Einzug ins Apothekengeschäft. Eine Übersichtsstudie zeigt: Die baumartigen Polymere befördern Wirkstoffe auf wundersame Weise zum Ziel.
Zwischen fünf und maximal zehn Nanometern beträgt der Durchmesser der winzigen Polymere, ihre Verkettungen begeisterten seit den 1990er Jahren in erster Linie Chemiker. Doch jetzt erobern die Winzlinge weite Bereiche der Pharmazie: Ob als Kondombeschichtung, Vaginalsalbe gegen HIV oder als Trägersubstanzen für Augentropfen - die Nanomoleküle verfügen über erstaunliche Eigenschaften.
So verkapselten Pharmakologen die gegen Krebs eingesetzten Wirkstoffe Adriamycin und Methotrexate mit einer aus PAMAM bestehenden Schutzhülle. Das Dendrimer sorgt für die dosierte Freigabe der Zytoxine – und vermag, wenn es beispielsweise mit sogenannten PEG5000 Oberflächengruppen modifiziert wird, die Wirkstofffreigabe noch besser zu steuern. Auf ähnliche Weise gelang Pharmazeuten die kontrollierte Freisetzung von Indomethacin, während Flurbiprofen erst dann mit PAMAM zum Ziel gelangt, wenn dieses bestimmte Aminogruppen als „Träger“ bereitstellt.
Was für chemisch versierte Apotheker zunächst lediglich nach Grundlagenforschung klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als neue Säule des Pharmageschäfts. Denn Produkte auf Dendrimerbasis haben sich bereits etabliert – nur nimmt bislang kaum jemand bewusst von ihnen Notiz. So bietet der Hersteller Starpharma mit Vivagel ein vaginal applizierbares Präparat zur HIV-Prävention an, Dade Behring hält den Kardiomarker Stratus CS in der Pipeline und Qiagen preist sein Produkt Superfect an. Im Kampf gegen den Krebs kommen wiederum Dendrimere wie STARBURST, Priostar oder Priofect zum Einsatz. „Alert ticket“ ist ein Dendrimer, das zur Anthrax-Detektion eingesetzt und vom US-Army Research Laboratory entwickelt wurde.
Damit nicht genug. Die Bioverfügbarkeit des Blutgerinnungshemmers Enoxaparin ließ sich um 40 Prozent erhöhen, sobald der Wirkstoff auf dem molekularen Rücken der PAMAM-Dendrimere „Huckepack“ zum Ziel befördert wurde. Astramol hingegen ist ein Produkt, das auf Polypropylenamin Dendrimere basiert. Die Begeisterung für die dendritischen Polymere hat freilich einen rein pragmatischen Grund. Anders als ähnliche Nanosubstanzen erwiesen sich Dendrimere in Langzeitbeobachtungen nämlich als nicht toxisch, kaum allergen - und trotzdem als biopermeabel. Gerade die nichtlineare Form der Dendrimere, so hat es den Anschein, unterbindet unliebsame Interaktionen mit den Zellen des Organismus. Vereinfacht ausgedrückt transportieren die Nanobäumchen die Wirkstoffe durch den Körper, ohne selbst in den therapeutischen Effekt einzugreifen. Risiken und Nebenwirkungen? Bislang unbekannt.
Nanokondome als Verkaufsschlager?
Über die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der kleinen Polymere berichtet daher auch der im vergangenen Jahr publizierte „Nano-DE Report“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Lediglich 12 Millionen US Dollar machte danach das Weltmarktvolumen der Moleküle im Jahr 2005 aus, 2010 werden Dendrimere 42 bereits Millionen in die Kassen der Hersteller spülen. „Es wird mit einem dynamischen Wachstum gerechnet, falls die Herstellungskosten von derzeit zwischen ca. 10 und einigen 100 $ pro Gramm weiter sinken und neue Produkte insbesondere im Pharmabereich zugelassen werden“, bewertet das BMBF die weitere Entwicklung.
Dass es so kommt, ist mehr als wahrscheinlich, wie die aktuelle Publikation im JITPS aufzeigt. Selbst Inhaltstoffe, die bisher als Hautsalben angewendet werden, gelangen mit Hilfe der Dendrimere besser und schneller zum Zielort, wie Versuche mit Ketoprofen und Diflunisal belegen: Rund drei Mal höher war die Permeation der Wirkstoffe in Kombination mit PAMAM der fünften Generation. Für Apotheker bieten die Nanomoleküle neben einer kommenden Generation neuer Medikamente womöglich den besonderen Marketing-Kick für Altbewährtes: Selbst Kondome mit Dendrimer-Beschichtung rücken in greifbare Nähe.