Irreversibel? Eine Arbeitsgruppe aus Göttingen hat an Mäusen gezeigt, dass Gedächtnisschwächen im Alter mit Fehlern im Chromatingerüst der DNA zusammenhängen. Und sie lassen sich mit geeigneten Wirkstoffen beheben. Sollten sich die Ergebnisse an Menschen bestätigen, könnte man der Evolution vielleicht ein Schnippchen schlagen.
Wenn das stimmt, was deutsche und chinesische Forscher gefunden und vor kurzem veröffentlicht haben, beginnt der Abbau von Verkehrsverbindungen im Gehirn schon im zarten Alter von drei bis vier Jahren. Ab vierzig lässt dann unser Gedächtnis merkbar nach und mit 85 sind mehr als die Hälfte von Morbus Alzheimer betroffen. Woran liegt es, dass die Leitungen und Synapsen nicht mehr funktionieren? Die Übergänge von normalen Konzentrations- und Merkproblemen zur Demenz sind oft fließend. Die Rolle der charakteristischen Alzheimer-Plaques im ZNS ist noch längst nicht klar.
Neuro-Epigenetik bestimmt Gedächtnisleistung
Eine Arbeit von Forschern der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit dem Max-Delbrück-Zentrum in Berlin zeigt nun, dass die nachlassende Gedächtnisleistung auf die zunehmende Anzahl von Fehlern im Chromatingerüst der DNA zurückzuführen sein könnte. Schon vor einigen Jahren wiesen Experimente darauf hin, dass die Speicherung von Erfahrungen und Erinnerungen im Hippocampus und Frontalen Kortex wohl auf dem Umbau von Histonen und DNA beruht. Histone sind dabei die „Spulen“, auf denen der DNA-Faden ordentlich aufgewickelt wird. Modifikationen mit Methyl- Phosphor- und Acetylgruppen sorgen dafür, dass die Maschinerie zum Ablesen von Genen Zugang zum Code erhält. Der Hippocampus ist auch der Ort im Gedächtnis, an dem eine nachlassende Gedächtnisleistung zuerst sichtbar wird. Fehlen den Histonen die richtigen Acetylgruppen, kann die Zelle entsprechende Gene nicht mehr ablesen. Wichtige Funktionen beim Gedächtnis-Aufbau fallen dann aus - der Weg in die Demenz beginnt.
Das Team um Shahaf Peleg und Andre Fischer wählte für seine Untersuchungen Mäuse im Alter von drei, acht und sechzehn Monaten aus. Bei einer Lebensspanne von etwas über zwei Jahren waren die ältesten Versuchstiere also im frühen Seniorenalter. Ihr Gedächtnis tat sich schwerer, wenn es um das Lernen einer richtigen Reaktion auf bestimmte Reize ging. Die Defizite spiegelten sich im Nervensystem wider: Als die Forscher die Histonproteine im Hippocampus untersuchten, fanden sie, dass bei einem dieser Proteine (Histon H4) ein Aminosäurerest nicht mehr acetyliert wurde. Wenn aber das Zentrale Nervensystem besonders jene Gene nicht mehr aktivieren kann, die mit Lernen und Erinnerung zusammenhängen, sind aufwändige Umwege nötig. Die alten Nager sind begriffsstutzig.
Senilität ist reversibel
Bei weiteren Experimenten fand das Team aber heraus, dass sich dieser Prozess umkehren lässt. Blockierten sie das Enzym, das die Acetylreste wieder entfernt (= Histon-Deacetylase) ging es mit dem Gedächtnis der Mäuse wieder aufwärts. Die betreffenden Gene der Nervenzellen im Hippocampus waren dann wieder aktiv.
Ob der entsprechende Inhibitor auch Gedächtnisschwächen bei alten Menschen beseitigen kann, ist aber noch nicht sicher. Andere Untersuchungen zeigen, dass etwa bei alten Affen und Mäusen im Gehirn andere Gene als beim Menschen aktiv sind. Ebenso ist es eher unwahrscheinlich, dass ein einziger Aminosäurerest eines Chromatin-Proteins für die Degeneration unseres Gedächtnisses verantwortlich ist, wie David Sweatt von der Universität im amerikanischen Birmingham/Alabama in einem Begleitkommentar in Science kritisch anmerkt. Dass jedoch die Aktivität von Sirtuinen, den bekanntesten Histon-Deacetylasen, eng mit dem Alterungsprozess zusammenhängt, haben inzwischen etliche Experimente bewiesen.
Evolution: Ist Langlebigkeit sinnvoll?
Steuerungsvorgänge im alternden Gehirn haben nicht nur mit Degeneration zu tun. Das zeigen aktuell Forscher vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig zusammen mit Kollegen aus Shanghai in einem Artikel der Fachzeitschrift Genome Research. Sie untersuchten Regulationsproteine, DNA-Transkripte und Micro-RNA-Moleküle von Menschen und Rhesusaffen in verschiedenen Altersgruppen im präfrontalen Kortex. Ihre Resultate beweisen, dass etwa das Herunterfahren von aktiven Genen in Nervenzellen schon sehr früh anfängt, oft schon im Vorschulalter. Die Umbauprozesse im Gehirn, die bei der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen notwendig sind, setzen sich dementsprechend als normaler Altersprozess bis zum Greis hin fort und führen zum schleichenden Gedächtnisverlust. Nach der Fortpflanzungsphase, so meinen die Autoren um Philipp Khaitovich, sei wohl auch ein langes Leben nicht mehr als oberstes Ziel in der Evolution des Menschen vorgesehen.
EPITHERAPY: Mit DNA-Technologie gegen Alzheimer & Co
Dennoch könnten besonders die Ergebnisse der Chromatinuntersuchungen in einigen Jahren zu mehr Lebensqualität im Alter führen. In den nächsten zwanzig Jahren wird sich aller Voraussicht nach die Zahl der von der Alzheimer-Krankheit Betroffenen verdoppeln. Grund genug auch für die EU, sich mit Fördermitteln an deren Aufklärung zu beteiligen. Die Göttinger Arbeitsgruppe arbeitet mit Labors aus Spanien und Frankreich im Projekt EPITHERAPY (An epigenetic approach towards the recovery of neuronal network plasticity and cognitive function in neurodegenerative disease) zusammen. Die typischen Defekte bei der Histon-Acetylierung bei nachlassendem Gedächtnis könnten in Zukunft als Marker für eine beginnende Demenz dienen. Im Idealfall wären sie sogar das Angriffsziel von Substanzen, die als Zündkerzen ein ausgefallenes Neuro-Triebwerk im zentralen Nervensystem wieder zum Laufen bringen.