Warum hilft Sport, gesund zu bleiben? Warum vertrage ich Essen nicht, das anderen so schmeckt? Und warum schlägt das Krebsmedikament bei mir nicht an? Wo Genetiker keine Antwort haben, kommt die Metabolomik ins Spiel, die Analyse des Stoffwechsels.
Es kann doch nicht nur am Essen liegen. Oft sind es die eifersüchtigen Blicke der Geschwister, die Diät nach Diät ausprobieren und doch mehr Probleme mit ihrem Gewicht haben, als die Tochter, die riesige Essensportionen verschlingen kann, ohne dick zu werden. „Trotz fast identischem Genom - 99,9 Prozent - sehen wir ja jeweils ganz anders aus und diese Unterschiede spiegeln sich wohl auch im Stoffwechsel wider.“ Hannelore Daniel von der Technischen Universität München hat sich einem jungen Fachgebiet zugewandt: Der Metabolomik.
Umfassende Stoffwechselanalyse
Wie die anderen „-omik“ Disziplinen, Genomik oder Proteomik, zielen Metabolomiker darauf ab, möglichst alle Vorgänge im Körper zu erfassen. Neben der Erbsubstanz und den Proteinen sind es dabei die Metaboliten, die stellvertretend für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Stoffwechsel einzelner Menschen stehen. Metaboliten sind Bausteine von Makromolekülen, Energieträger, Zwischenprodukte verschiedenster biochemischer Prozesse. Zu ihnen zählen auch Hormone oder regulatorische Faktoren im Körper.
Mit welchen Werkzeugen arbeiten die Wissenschafter? Eines der wichtigsten Instrumente in der Metabolomik ist das Massenspektrometer. Meist nach vorheriger chromatographischer Auftrennung der Probe lassen sich so bekannte oder bisher nicht identifizierte Moleküle qualitativ oder quantitativ erfassen. Dementsprechend unterscheidet der Fachmann auch zwischen „targeted“ und „non-targeted Metabolomics“. Neue Methoden erlauben den Forschern, tausend Proben pro Woche zu analysieren und ermöglichen auch die Mengenbestimmung von hunderten von Lipiden, Zuckermolekülen oder Aminosäuren. Mit geringerem Durchsatz, aber größerer Auflösung können die Detektoren dagegen den Katalog wichtiger Faktoren im Stoffwechsel immer mehr erweitern.
Sportler: Effiziente Fettverbrennung
Vor kurzem erschien in der Biomedizinischen Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“ ein Artikel einer Forschergruppe aus der Harvard University und zwei großen Kliniken aus Boston. Ihre Studien könnten eine wichtige Antwort auf die Frage geben: Was ist am Sport so gesund für Körper und Geist? Anstatt eines großen Blutbilds bestimmten Robert Gerszten und seine Kollegen über 200 Metabolite von rund 90 Sportlern und Nicht-Sportlern vor und nach einem zehnminütigen Lauf- oder Ergometertraining. Bei 21 Faktoren änderten sich die Werte deutlich. Aber nicht nur das: Die aufgenommenen Bilder des Stoffwechsels erlaubten es auch, fitte von weniger fitten Probanden zu unterscheiden.
So stieg etwa der Pegel von Glycerin im Blut bei den Sportlern um das Doppelte, bei weniger Geübten nur um etwa 60-70 Prozent. Eine Gruppe von Läufern, die zuvor am Boston-Marathon teilgenommen hatten brachte es sogar auf 1128 Prozent bei diesem Abbauprodukt der Fettverbrennung. Bei ihnen ist auch der Spiegel an Aminosäuren im Kreislauf sehr niedrig. Daraus schließen die Forscher, dass die Ausdauersportler während des Laufs diese Eiweißbestandteile abbauen, um den Glukosespiegel stabil zu halten.
Therapieansatz für das Metabolische Syndrom?
Auch Metaboliten, die Physiologen bisher nicht in Verbindung mit Sport gebracht hatten, tauchten in der Analyse auf. So etwa Niacinamid. Das Vitamin-Derivat fördert den Insulinausstoß und beeinflusst damit die Zuckerregulation. Eine Kombination von fünf der gemessenen Metaboliten gaben die Forscher zu einer Muskelzell-Kultur. Sie erreichten damit eine Steigerung des Regulationsfaktors „nur77“. Das Gen spielt eine wichtige Rolle beim Zucker- und Fettabbau. Die eingesetzten Metaboliten wirken dabei nur im Zusammenspiel, nicht jedoch einzeln. Der Effekt lässt sich auch im Tierversuch überprüfen. 30 Minuten Mäuse-Laufrad steigert die Expression des Faktors um das Fünffache. Vielleicht, so spekulieren die Metabolomik-Experten, könnte eine solche Metabolit-Kombination in Zukunft einen Weg zur Behandlung des Metabolischen Syndroms bei Menschen weisen, die nicht zu sportlichen Ausdauerleistungen fähig sind. Eine weitere Anwendung, so Robert Gerszten, wäre etwa die Entwicklung von speziellen Sportler-Getränken, die für den Ersatz abgebauter Metaboliten sorgen.
Auch in Deutschland arbeiten Institute fleissig daran, das Kleinkind „Metabolomik“ großzuziehen. München organisierte vor einigen Wochen der ersten internationalen Kongress in Deutschland zu diesem Thema „Metabolomics & More – The Impact of Metabolomics on the Life Sciences“ mit über 400 Teilnehmern. Das Helmholtz-Zentrum München und die Technische Universität haben sich zusammengeschlossen, um selber auch eine große Studie (HuMet) zu diesem Thema zu unternehmen: 15 junge Männer mit ähnlichem BMI erhielten nach einer längeren Fastenphase eine standardisierte Flüssignahrung. Nach einem kurzzeitigen Anstieg des Blutzuckers zeigten die Geräte große Differenzen beim Abfall des Pegels auf Normalniveau. Mit Hilfe der Metabolitenanalyse möchten die Forscher der „Munich Functional Metabolomics Initiative“ die Hintergründe dieser individuellen Unterschiede ergründen. Mit etwas Glück könnten sie in eine verbesserte personalisierte Therapie für Stoffwechselleiden münden.
In Berlin forscht Carsten Denkert mit EU-Förderung nach neuen Biomarkern bei Brustkrebs, in Regensburg sucht Gerd Schmitz nach Veränderungen im Fettstoffwechsel bei Gefäß- und Stoffwechselstörungen. „Wir müssen die Methoden aber weiter entwickeln, um der Komplexität unseres Stoffwechsels gerecht zu werden. Heute befinden wir uns auf dem Entwicklungsstand der Digitalkamera in den 80er Jahren“, sagt Thomas Hofmann von der Münchner TU und Mitarbeiter der Metabolomics-Initiative. „Wir müssen die Auflösung unserer analytischen Kamera erhöhen, um ein möglichst scharfes Bild aller Stoffwechselprodukte zu erhalten.“