97% der deutschen Bevölkerung sind gegen Tetanus geimpft - trotzdem gibt es hierzulande jährlich 15 Fälle der Infektionskrankheit. Wie man diese seltenen Fälle erkennt und behandelt haben wir für Euch zusammengefasst.
Tetanus, auch Wundstarkrampf genannt, ist immer noch weltweit verbreitet. Schwerpunkte der Morbidität ergeben sich in Ländern mit feuchtwarmen Klima, niedrigen Hygienestandards und geringer Impfdeckung. Im Jahr 2002 starben geschätzt noch ca. 213.000 Menschen an Tetanus, einer Erkrankung die mit heutigen Präventiv-Möglichkeiten nahezu auszumerzen wäre.
Kasuistik I
"Ein 14-jähriger Junge wurde mit Kopfschmerzen, linksseitiger Ptosis, Parästhesie und Sehstörungen in die Kinderklinik der Charité Berlin eingewiesen. Die Anamnese ergab, dass er einen Tag nach dem Genuss von gegrilltem Hühnchen und drei Tage vor der stationären Aufnahme milden Durchfall hatte. Weiterhin hatte sich der Patient in der Woche davor eine kleine Schürfwunde am linken Knie auf dem Holzfußboden zugezogen, welche bei der Einlieferung im normalen Heilungszustand war. Am 2. Tag zeigte er Hypopnoe, Tachypnoe, beidseitige Ptosis, Dysarthrie, Dysphagie und eine schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten. Wegen der schlaffen Paralyse konnte am 3. Tag Botulismus als Erkrankung nicht ausgeschlossen werden, weshalb mit Butulinus Antitoxin behandelt wurde. Am 4. Tag zeigte der Patient eine deutliche Tetanus-Symptomatik inklusive Risus sardonicus und permanenten Rigors der Beine." Quelle: Robert-Koch-Institut: Epidemiologischen Bulletin Nr. 24/2008
So heißt es in einem Fallbericht des RKI aus dem Jahre 2008. Dass hinter der initialen Symptomatik eine fulminante Tetanusintoxikation steckt, ist auch aufgrund des als ausreichend eingeschätztem Impfstatus nicht zu erwarten. Dennoch zeigt dieser Fallbericht, dass trotz einer Impfdeckung von 97% der Bevölkerung immer noch bis zu 15 Fälle im Jahr in Deutschland diagnostiziert werden.
Das Tetanustoxin
Tetanus wird durch Clostridium tetani verursacht, ein obligat anaerobes gram-positives, sporenbildendes Stäbchenbakterium. Die Sporen kommen ubiquitär im Erdreich vor und sind sehr resistent gegen Desinfektion und Hitze. Optimale Wachstumsbedingungen hat das Stäbchen bei 37 Grad in anaerober Atmosphäre. Die vegetative Form von C. tetani produziert zwei Exotoxine: Das Tetanolysin und das Tetanospasmin, wobei letzteres die typischen Symptome hervorruft. Damit handelt es sich beim Tetanus weniger um eine Infektion, als um eine Intoxikation mit den genannten Toxinen.
Infektionsweg
Wichtigste Vorbedingung für eine Infektion ist eine Verletzung der Haut, wobei auch Bagatellverletzungen als Eintrittspforte möglich sind. Sofern die Wunden kaum bluten (anaerob) und zudem mit sporenhaltigen Fremdkörpern verunreinigt sind (Holzsplitter, Nägel, Erde) steigt die Gefahr einer lokalen Infektion mit Tetanusbakterien. Das Bakterium vermehrt sich lokal an der Eintrittspforte und produziert seine Exotoxine, welche mit einer Inkubationszeit von 3 Tagen bis 3 Wochen die klinischen Symptome auslösen.
Der molekulare Mechanismus
Das hochpotente Tetanospasmin bindet an Rezeptorganglioside der lokalen Neurone und wandert mit ca. 5mm pro Stunde Richtung Vorderhornzellen im ZNS. Dort spaltet es proteolytisch Synaptobrevine die an der Ausschüttung von inhibitorischen Transmittern wie GABA in den synaptischen Spalt beteiligt sind. Ähnlich einer Strychninintoxikation wird an den spinalen Motoneuronen die Signalübertragung der hemmenden Neurone blockiert, was eine massive Übererregung der alpha Neurone zur Folge hat und sich klinisch in tonisch klonischen Krämpfen äußert.
Klinische Manifestation
Das klinische Bild erklärt sich aus dem molekularen Pathomechanismus. Die "generalisierte Form" beginnt afebril oder subfebril mit tonischen Spasmen. Charakteristisch ist das fixierte Lächeln (risus sardonicus), die Kieferklemme (Trismus), zudem Laryngospasmus und Dysphagie. Bei vollem Bewusstsein kommt es außerdem zu Spasmen der Flexoren und Extensoren der Wirbelsäule, die mitunter sehr schmerzhaft sind. Extremitätenbeteiligung ist eher unwahrscheinlich.
Die "neonatale Form" der Tetanus entwickelt sich bei Kindern, die von unzureichend immunisierten Müttern entbunden werden und bei denen eine hygienisch unzureichende Behandlung des Nabels erfolgt ist. Die Erkrankung tritt in der Regel in den ersten zwei Lebenswochen als generalisierte Form mit Rigidität, Trinkschwäche und Krämpfen auf.
Die "lokale Tetanuserkrankung" ist recht selten, hat eine gute Prognose, keine Systembeteiligung und hinterlässt in der Regel eine Teilimmunität.
Diagnostik
Die Diagnose eines Tetanus stellt sich anhand des klinischen Bildes, sie ist sehr unwahrscheinlich, wenn eine vollständige Immunisierung vorliegt (aber nicht unmöglich, wie die Kasuistik zeigt).
Therapie
Symptomatisch wichtig ist eine umfassende intensivmedizinische Betreuung, die der Erhaltung der Vitalfunktionen und Relaxation der Muskulatur dient. Lebensrettend ist das Freihalten der Atemwege bei drohendem Laryngospasmus. Kausal therapiert man mit Tetanus Immunglobulin (Tetagam – bis 10.000IE i.m.) um das Toxin abzufangen. Die Wunde muss chirurgisch gesäubert werden, ähnliches verfolgt eine kombinierte Therapie mit Metronidazol und Penicillin.
Prävention
Aktive Immunisierung erfolgt mit formalisierten Toxin (Toxoid) meist als Kombinationsimpfstoff mit Diphterie- und Pertussistoxoid. Die STIKO (Ständige Impfkommission) empfiehlt einen Impfbeginn nach Vollendung des 2. Lebensmonats bei Säuglingen. Ebenso wichtig ist aber auch generell die Auffrischung, gerade bei älteren Personen mit peripheren Durchblutungsstörungen (PAVK, Diabetes, chronisch venöse Insuffizienz etc.).
Kasuistik II
"Der Patient wurde mit Tetagam und Metronidazol therapiert. Zeitgleich wurde der Gehalt von anti-Tetanus-IgG im Patientenserum mit 2,11 IE/ml bestimmt, dass heißt der Patient besaß zum Zeitpunkt der Behandlung einen als aus reichend eingeschätzten Impfstatus. Nach einigen Tagen unter Behandlung verbesserte sich die Symptomatik zusehends; der Patient konnte nach 3½ Wochen in die Rehabilitation entlassen werden. Der Patient zeigte keine neurologischen Auffälligkeiten in der Nachsorgeuntersuchung nach 12 Monaten." Quelle: Robert-Koch-Institut: Epidemiologischen Bulletin Nr. 24/2008
Über die Ursache des Impfversagens kann hier leider nur spekuliert werden.
Fazit
In Deutschland ist die Tetanuserkrankung mit unter 15 Fällen im Jahr eine seltene Erscheinung. Die hohe Impfdeckung mit ca. 97% leistet dabei den wesentlichen Beitrag. Im Falle einer Erkrankung sorgt in der Regel die charakteristische Symptomatik für die korrekte Arbeitsdiagnose. Die Therapie ist effizient, bei frühzeitiger Diagnose ist eine restitutio ad integrum durchaus möglich. Trotz aller präventiver Maßnahmen darf eine Tetanuserkrankung nie kategorisch ausgeschlossen werden, da trotz messbarer und auch ausreichender Titer in seltenen Fällen eine generalisierte Form möglich ist, wie oben genannter RKI Fall aus dem Jahr 2008 zeigt.
Reihe: Infektionskrankheiten
Hier geht's zu den ersten 3 Teilen der Reihe: