Sommer ist Reisezeit - und für viele Länder raten Ärzte zur Meningokokken-Impfung. Doch eine aktuelle Publikation im Fachblatt "Hygieneinspektor" zeigt auf: Nur die wenigsten Ärzte sind für die Wahl des richtigen Vakzins mit dem nötigen Know-how ausgestattet.
Vor dem Abflug nach Dubai erfolgt noch ein letzter Besuch beim Hausarzt. Eine Impfung hier, ein Vakzin da – und keine oder die falsche Injektion gegen Meningokokken. Das Szenario ist weder fiktiv, noch ein Einzelfall. "Eine Impfempfehlung für das Heimatland gewährleistet noch lange nicht notwendigerweise einen Schutz gegen Meningokokken-Infektionen im Ausland", berichten die Pharmaforscher Michael Bröker und seine Kollegen von Novartis Vaccines & Diagnostics in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Bundesverbandes der Hygieneinspektoren. Dass ausgerechnet die Pharmaindustrie auf das Manko in Deutschlands Arztpraxen hinweist, mag auch mit wirtschaftlichen Eigeninteressen zu tun haben. Einerseits. Andererseits zeigt die sieben Seiten lange Veröffentlichung auch: Ohne genaue Kenntnisse der immunologischen Finessen drohen Managern auf Reisen in den mittleren Osten, Touris auf dem Weg nach Afrika oder Austauschschülern in Südamerika herbe Risiken – und den Ärzten hierzulande hohe Schadenersatzforderungen der betroffenen Patienten.
Eine tückische Angelegenheit
Tatsächlich ist die Infektion, an der weltweit jährlich 500.000 Menschen leiden und die im gleichen Zeitraum mehr als 50.000 Todesfälle nach sich zieht, eine tückische Angelegenheit. Denn die Immunantwort richtet sich streng nach den Serogruppen des Vakzins, wie Bröker nun akribisch belegt. „Unter den 12 bekannten Meningokokken – Serogruppen rufen die 5 Serogruppen A, B, C, W-135 und Y die meisten Erkrankungen hervor“, erklärt der Wissenschaftler. Allein das wäre zwar komplex genug, ließe sich ab noch mit Hilfe von CME-Punkten vermitteln. Weitaus dramatischer ins hingegen ein ganz anderer Aspekt, wie Bröker schreibt: „Die Epidemiologie der Meningokokken ist dynamisch und unvorhersehbar – sowohl in ihrer geographischen Ausbreitung als auch in ihrem zeitlichen Auftreten“. Zudem beschleunigt der internationale Reiseverkehr die Verbreitung der Bazillen, Komplikationen inklusive.
So schien bis vor einigen Jahren klar, dass die Serogruppen A und C die meisten Epidemien auslöste – und vorwiegend in Afrika. Doch modernere und effektivere Varianten sorgen für erhebliche Probleme des Menschen: W-135 verdrängt, wenn auch nur als Serogruppe, sein Vorgängermodell und setzt Pilgern in Mekka, sonnenhungrigen Deutschen in der Türkei oder Entwicklungshelfern in West-Afrika zu. Wer diesen Sommer die USA bereisen wird, sollte wiederum mit dem Risiko einer Y-bedingten Infektion vorlieb nehmen, selten, aber immerhin auffallend ist in Niger wiederum die Serogruppe X.
Wie wenig Ärzte die Lage durchblicken können, zeigt exemplarisch ein Beispiel aus Florida. Von Dezember 2008 bis April 2009 erkrankten 14 Menschen durch die Serogruppe W-135, vier Patienten überlebten die Infektion nicht. Die Fallzahlen der Y-bedingten Infektionen schnellten wiederum seit Mitte der 1990er Jahre um 40 Prozent nach oben.
Low-Knowledge Praxis
Was in Florida gilt, hat in Asien keine Gültigkeit. Dort dominieren die Gruppen A und C seit nunmehr 25 Jahren, als die ersten Touristen aus Westeuropa in Nepal infolge der Tröpfcheninfektion verstarben. Das globale Wirrwarr spiegelt sich in den heimischen Impfempfehlungen hingegen kaum wieder. Lediglich für Reisende in den sogenannten Meningitisgürtel Afrikas sind tetravalente ACWY-Impfstoffe empfohlen „oder verpflichtend“, wie Bröker erläutert. Dennoch bergen die Vakzine ihre Tücken. So sind sie bei Kindern unter 2 Jahren praktisch wirkungslos, und rufen Bröker zufolge bei wiederholter Impfung sogar eine verminderte Immunantwort hervor. Trotzdem dürften viele Ärzte nach wie vor auf diese Vakzinklasse setzen, und sich dabei – ebenso wie ihre Patienten – in falsche Sicherheit wiegen. Selbst gesetzliche Krankenkassen vereinfachen die Low-Knowledge Praxis in den Praxen. „Die KKH übernimmt anhand der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts ab sofort sämtliche Kosten für Impfungen gegen Meningokokken“, teilte beispielsweise die KKH im Jahr 2007 mit – nur was genau sollen die Ärzte eigentlich impfen?
Folgten sie allein den Empfehlungen der STIKO, stünden ihre Patienten im Ausland auf verlorenem Posten. In ihren aktuellsten Empfehlungen differenziert sie zwar die verschiedenen Serogruppen, verweist im Bezug auf deren Vorkommen in den einzelnen Ländern allerdings auf WHO- und Länderhinweise. Auch die vom RKI betriebene Seite hilft lediglich national weiter.
Neuer Impfstoff, bessere Wirkung - aber keine Wunderwaffe
Reisen nach Nepal? Business-Meeting in Bahrain? Campen in California? Wer als Arzt auf die individuellen Belange seines Patienten eingehen möchte benötigt einen Atlas – und Informationen aus unserem Nachbarland Österreich. Dort nämlich hält das Österreichische Grüne Kreuz für Gesundheit (ÖGK) jene Informationen für Mediziner parat, die im Alltag weiterhelfen. Immerhin: Gegen Meningokokken stehen 2 Klassen von Impfstoffen zur Verfügung, die älteren Polysaccharid-Impfstoffe und die moderne Generation der Konjugat-Impfstoffe. Zudem ist seit April 2010 der erste europaweit zugelassene Vierfach-Konjugatimpfstoff verfügbar – auch in Deutschland.
"Im Gegensatz zu Polysaccharid-Impfstoffen sind Konjugat-Impfstoffe schon bei Säuglingen ab 2 Monaten hoch wirksam, bilden ein Immungedächtnis, haben eine längere Schutzdauer, können aufgefrischt werden und das passive Trägertum sanieren“, erklärt der an der Universitätskinderklinik Graz lehrende Professor Werner Zens, der zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Meningokokken in Europa zählt und Mitglied des Österreichischen Grünen Kreuzes für Gesundheit ist, die Vorteile der neuen Impfstoffgeneration. Der neue Vierfach-Impfstoff gegen Meningokokken ACWY habe zudem in direkten Vergleichsstudien gegenüber Polysaccharid-Impfstoffen deutlich bessere Antikörperspiegel erzielt. Besser schon, aber ein Wundermittel gegen die Bazillen ist auch das neue Vakzin ganz sicher nicht. Der Impfschutz im Heimatland, resümiert der Novartis-Vakzinforscher im Fachblatt „Hygieneinspektor“ trocken, sei „nicht unbedingt ausreichend für eine Auslandsreise“.