Geraten Apotheken in wirtschaftliche Not, ist nicht immer alles verloren. Experten sehen ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung als Chance, um neu durchzustarten. Im besten Fall endet das Verfahren mit einem Aufhebungsbeschluss – und der Betrieb läuft weiter.
Thomas Kelz, Apothekeinhaber aus Bocholt, hat eine Insolvenz überstanden und konnte zumindest seine Hauptapotheke retten. Alles begann mit dem Wegzug von drei Ärzten nahe seiner Filiale. „Die erheblichen Umsatz- und Ertragsverluste führten dazu, dass fällige Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden konnten“, so Kelz. Er suchte Hilfe bei einer Anwaltskanzlei mit Schwerpunkt Insolvenzrecht .
Thomas Kelz © privat „Apotheker werden besonders oft aufgrund zu hoher Finanzierungen zahlungsunfähig“, weiß Nicole Scholze, Fachanwältin für Insolvenzrecht, die bereits eine Vielzahl von Pharmazeuten in der Krise beraten hat. Als Grund sieht sie nicht nur strukturelle Effekte wie der Schließung von Arztpraxen – auch die Nachwirkungen des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetzes) sind spürbar. Die Bundesregierung hat im Jahr 2004 gestaffelte Aufschläge auf Arzneimittel durch ein Kombimodell ersetzt. Gleichzeitig fiel die Preisbindung bei OTCs. Alles in allem ging es mit den Roherträgen steil bergab. „Das reicht im Zweifel nicht mehr aus, um alle Forderungen zu erfüllen“, sagt Scholze.
Nicole Scholze © AndresPartner Ihr Rat: „Droht die Zahlungsunfähigkeit, sollte man sich schnell Rat von einem restrukturierungserfahrenen Berater, am besten einem, der auch von den Gerichten als Insolvenzverwalter bestellt wird, holen.“ Ansonsten könne es zu Strafermittlungsverfahren und möglicherweise zum Verlust der Betriebserlaubnis kommen. Staatsanwälte sehen zum Beispiel Verstöße gegen Bilanzierungspflichten als Tatbestand. Gesunde Betriebe müssen ihre Steuererklärung regelmäßig bis zum 31. Dezember im Folgejahr abgeben. Gerät ein Unternehmen in die Krise, verkürzen sich diese Fristen regelmäßig auf drei Monate nach dem Ende des Geschäftsjahres oder sogar noch früher. „Leider gibt es im Markt zu viele Berater, die viel zu lange ohne belastbare Erfolgsaussicht versuchen, eine Apotheke außergerichtlich aus eigener Kraft zu sanieren“, kritisiert Scholze. Das koste Apotheker am Ende nur unnötig Zeit und Geld – und wäre vor allem vermeidbar.
Suchen Apothekenleiter Hilfe, führen Rechtsanwälte mit ihnen ein Erstgespräch. Bei zwei Gläubigern bestünden laut Nicole Scholze noch außergerichtliche Sanierungschancen. Ansonsten rät sie zum Insolvenzverfahren. Das Prozedere beginnt mit einem formalen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht. Richter beauftragen ihrerseits Sachverständige mit der Prüfung. Zu klären ist, ob tatsächlich Insolvenzgründe vorliegen. Die nächste Herausforderung ist apothekenrechtlicher Natur. Insolvenzverwalter im klassischen Sinne dürfen keine Betriebsstätte leiten. Deshalb bleibt nur die Eigenverwaltung durch den Inhaber. Das Gericht bestellt im besten Fall einen sogenannten Sachwalter, um den Chef zu überwachen. Betroffene haben oft die Möglichkeit, Wünsche zu äußern, damit eine Person mit Kenntnis vom Apothekenbetrieb eingesetzt wird. Läuft das Insolvenzverfahren, haben Gläubiger erst mal keine Möglichkeit, ihre Forderungen durchzusetzen. Außerdem finanziert die Bundesagentur für Arbeit über das Insolvenzgeld drei Monate lang alle Gehälter von Angestellten, was nennenswerte Liquiditätsvorteile schafft. „Mein Ziel ist, den Betrieb aufrechtzuerhalten und für und mit dem Inhaber zu sanieren“, sagt Scholze. Kelz: „Unser Konzept sah vor, die Punkt Apotheke am Ostwall weiterzuführen, aber die Filiale zu schließen, um die Kräfte auf eine Apotheke zu bündeln.“ Leistungswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Maßnahmen sollten die Ertragskraft wiederherstellen. Der Apotheker erinnert sich an zahlreiche Einzelmaßnahmen. Verträge wurden gekündigt, das Warenlager optimiert und bessere Konditionen ausgehandelt.
Von der Offizin geht es wieder zurück ins Gericht. Sobald das Insolvenzgutachten vorliegt und sobald feststeht, dass tatsächlich ein Insolvenzgrund vorliegt, wird ein offizielles Verfahren eröffnet. Alle Gläubiger erhalten Gelegenheit, ihre Forderungen anzumelden. Dem stehen Zahlen aus dem operativen Betrieb und Vermögenswerte des Inhabers gegenüber. Laut Scholze enden Insolvenzverfahren mit einer Liquidation, einem Verkauf oder eben einem Insolvenzplan. Im letzten, aber besten Fall, erhalten Gläubiger Vergleichsvorschläge, etwa eine Quote, welche Summe der Schuldner zurückzahlen kann. Hier sind Einmalzahlungen oder Raten möglich, je nach Situation oder nach Geschäftsbetrieb. Bei Kelz kam es zu Abgeltungen, aber auch zum Teilforderungsverzicht und zum Teilerlass von Forderungen. Die Rechtsanwältin versucht nach Möglichkeit, Raten auf zehn Jahre und – anders als bei klassischen Darlehen unverzinst – festzuschreiben. Stimmen einzelne Parteien dem Modell nicht zu, kann deren Stimme durch einen Beschluss vom Gericht ersetzt werden. Das Insolvenzverfahren endet mit einem Aufhebungsbeschluss. Dann ist der Apotheker wieder alleiniger Herr in der eigenen Apotheke und verdient wieder Geld für sich. Thomas Kelz hat es jedenfalls geschafft.
Für Christina Müller* aus München ging die Sache nicht gut aus. „Der frühere Leiter hatte einige Sonderumsätze wie Pflegedienste oder Heime“, erzählt sie DocCheck. „Erst später wurde mir klar, dass persönliche Kontakte im Spiel waren.“ Mit der neuen Inhaberin wollten einige Key Account-Kunden nicht mehr zusammenarbeiten. Große Umsatzeinbrüche waren die Folge, Müllers Finanzierungskonzept scheiterte. Nachdem sich kein Käufer fand, kam es zur Liquidation. *Name von der Redaktion geändert