Inwieweit niedrige Testosteronwerte auf Altershypogonadismus hindeuten, darüber existieren kontroverse Ansichten und wenig wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Neue Studien lassen Zweifel aufkommen, ob die Behandlung mit Testosteron das Allheilmittel ist.
Unabhängig von den Kontroversen lässt sich mit den Wechseljahren des Mannes gutes Geld verdienen. Antriebsschwäche, Konzentrationsprobleme, nachlassende Leistungskraft, Depression, Erektionsstörungen, etc. – die als typisch dargestellten Beschwerden einer im Alter eintretenden Unterfunktion der Keimdrüsen – werden seit Jahren unter dem medizinischen Begriff "PADAM" (partial androgen deficiency in the aging male) mit Testosteronspritzen, -pillen oder -pflastern behandelt. Auf Wechseljahre und darauf abgestellte Therapien hat die Frau seitdem kein Alleinrecht mehr. Andropause, Klimakterium virile oder Midlife crisis müsse Mann nicht hinnehmen, heißt es in den einschlägigen Gesundheitsmagazinen. Aber ist die Therapie mit Testosteron wirklich sinnvoll? Endokrinologen warnen davor, das Hormon unkritisch und ohne fachliche Diagnostik anzuwenden.
Niedriger Testosteronwert kein Indiz für Hypogonadismus
Um Licht ins Dunkel zu bringen, haben Andrologie-Forscher um Professor Frederick Wu an der Manchester-Universität in einer groß angelegten Studie die Zusammenhänge zwischen Wechseljahr-Symptomen und Testosteronmangel genauer untersucht. Die Forscher befragten rund 3.300 Männer zwischen 40 und 79 Jahren nach ihren Beschwerden und setzten diese mit dem jeweiligen Testosteronspiegel in Relation. Die Auswertung, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, zeigte, dass lediglich drei Sexual-Symptome einen Hinweis auf Hypogonadismus verbunden mit einem niedrigem Testosteronspiegel gaben: seltene morgendliche Erektion, geringes Sexualverlangen und Erektionsstörungen.
Der Unterschied zwischen Männern ohne und Männern mit betreffenden Sexual-Symptomen sei minimal gewesen, so Wu. Erektionsstörungen wären auch bei Männern mit erhöhtem Testosteron-Wert festgestellt worden. Niedrige Hormonwerte als Hinweis auf eine Unterfunktion der Keimdrüsen wurden nur bei zwei Prozent der älteren Probanden festgestellt. Das hieße, dass es keine direkten Assoziationen zwischen Testosteronmangel und nachlassender Muskelkraft bzw. Leistungsfähigkeit, Antriebsstörungen, Konzentrationsschwäche, Übergewicht oder Erektionsstörungen gibt. Salopp gesagt sind die Wechseljahre des Mannes wohl eher eine Mogelpackung.
Und was ist die Konsequenz aus diesem Ergebnis? "In der Vergangenheit hat es eine ganze Reihe von Studien gegeben, in denen zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Fettstoffwechselerkrankungen und Testosteronmangel untersucht wurde. Die Ergebnisse waren zumeist widersprüchlich", sagt Professor Dr. Christof Schöfl, Leiter der Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik Erlangen. "Eine Studie, wie die von den Forschern um Wu, hat es bisher nicht gegeben. Das Ergebnis ist daher sehr wichtig. Aber noch größere Aufmerksamkeit unter den Kollegen wird die ebenfalls kürzlich vorgestellte Studie aus Boston auf sich ziehen".
Kardiovaskuläres Risiko bei chronischen Erkrankungen
Die klinische Studie der Boston University mit älteren Männern, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt waren, ergab, dass Testosterontherapien auch bedrohliche Nebenwirkungen haben können. Die Endokrinologen hatten einer Gruppe ein Placebo-Gel und der anderen ein Testosteron-Gel zur Anwendung über sechs Monate verordnet. Sie stellten fest, dass die Applikation des Testosteron-Gels bei den Männern, die zusätzlich unter chronischen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht litten, mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden war. "Das Ergebnis macht die Entscheidung nicht leichter", so der Endokrinologe Schöfl, "wenn andere Studien wiederum günstige Effekte einer Testosteron-Substitution nahelegen".
Zusammenhänge lassen Ursache offen
Das Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin an der Universität Greifswald beispielsweise hatte dieses Jahr in einer Studie, an der auch Schöfl beteiligt war, herausgefunden, dass es einen relevanten Zusammenhang zwischen niedrigen Testosteronkonzentrationen und früher Sterblichkeit bei Männern gibt. Aber daraus lasse sich nicht schließen, ob niedrige Testosteronwerte die Ursache für die frühe Mortalität sind. Die Forscher hatten auch nachgewiesen, dass Männer mit niedrigem Testosteronspiegel häufiger an Fettleibigkeit, Leberverfettung, Bluthochdruck oder Diabetes erkranken. "So lange die Ursachen nicht bekannt sind, bleibt die große Frage, ob es etwas bringt, wenn man diese Männer mit Testosteron behandelt", so Schöfl. Als zweite Unsicherheitskomponente komme hinzu, dass die Messungen des Testosteronwertes nicht zuverlässig sind. Fazit des Endokrinologen: "Gewisse Assoziationen zu Testosteronmangel dürfen nicht dazu führen, Testosteron kritiklos zu verschreiben. Die Behandlung muss von Fall zu Fall entschieden werden und regelmäßig kontrolliert werden. Sinnvoll ist in jedem Fall, bei absehbaren Risikofaktoren den Lebensstil umzustellen, das heißt, ausreichend Bewegung, ausgewogene Ernährung und wenig Alkohol."