Der Appell des Medizinischen Fakultätentages der Bundesrepublik Deutschland (MFT) war dramatisch. In einer an die Medien verschickte Erklärung forderte man, „die öffentlichen Mittel für das Medizinstudium in Lübeck zu erhalten“. Zwischen WM und Bundespräsident hätten man das womöglich direkter formulieren sollen: Die seit 2003 ohnehin ausgelagerte Uniklinik soll nun ganz verkauft und das Medizinstudium an der Universität Lübeck eingestellt werden.
Zwischen WM und Bundespräsident hätte man das womöglich direkter formulieren sollen: Die seit 2003 ohnehin ausgelagerte Uniklinik soll nun ganz verkauft und das Medizinstudium an der Universität Lübeck eingestellt werden.
Tatsächlich droht Tausenden von abgehenden Ärzten, Medizintechnik-Professionals und Bioinformatikern das wissenschaftliche Aus in Lübeck. Denn die Pläne der Haushaltsstrukturkommission des Landes Schleswig-Holstein sehen bei der Ärzteausbildung jährlich über 25 Millionen Euro Einsparpotenzial. "Hiermit wird nicht nur die Universität Lübeck insgesamt gefährdet. Ihre Absolventen sichern die medizinische Versorgung und den wirtschaftlichen Aufschwung der Region", protestiert nun der MFT, und nimmt die Berliner Politik gleich mit ins Visier: "Bundesbildungsministerin Schavan müsste die Uni Lübeck retten - auch wenn es eigentlich Ländersache ist."
Die Chancen stehen schlecht, wie Rüdiger Labahn, Sprecher der Uni Lübeck, gegenüber DocCheck erklärt. Denn auf den ersten Blick haben die Einrichtungen wenig miteinander zu tun: "Die Uniklinik wurde von der Universität 2001 verselbstständigt und 2003 mit dem ebenfalls verselbstständigten Uniklinikum Kiel zum Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) fusioniert", sagt Labahn. Tatsächlich geht es bei den aktuellen Sparplänen der schleswig-holsteinischen Landesregierung formal betrachtet um die Privatisierung des UKSH.
Erfolgsstory für die Katz'
Der Teufel steckt im Detail, wie Labahn zu erklären weiß: "Hiervon ist die beabsichtigte Beendigung des Medizinstudiums an der Universität Lübeck getrennt zu sehen - obwohl es möglicherweise durchaus Zusammenhänge der beiden Bestrebungen gibt. Für die Universität, die mit allen ihren Studiengängen zentral auf die Medizin bezogen ist, würde dies die Abwicklung bedeuten." Das Ende der einen hätte so zwangsläufig Folgen auch für die andere Institution, wie die Analyse der bisherigen Projekte attestiert. Zudem würden etliche Millionen Euro in den Sand gesetzt. So wurden im Oktober 2007 aus Mitteln des Bundes und der Länder fünf Millionen Euro für die Graduiertenschule "Informatik in Medizin und Lebenswissenschaften" an der Universität Lübeck und 35 Millionen Euro für das Exzellenzcluster zur Entzündungsforschung ("Inflammation at Interfaces") an den Universitäten Lübeck und Kiel und am Forschungszentrum Borstel bewilligt. Auch die von der Uni Lübeck initiierte Gründung einer gemeinsamen Forschergruppe zur Stammzellforschung bekam im November 2007 50 Millionen Euro zugesprochen – ebenfalls Schnee von gestern.
Damit nicht genug. Aus der mathematischen Forschergruppe SAFIR (Solutions and Algorithms for Image Registration) geht die zweite Fraunhofer-Gruppe an der Universität Lübeck hervor. Sie wird - noch - zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen betrieben und wurde im April 2010 vom Finanzausschuss des schleswig-holsteinischen Landtages bewilligt. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. "Das Land verkennt offensichtlich die hohe wirtschaftliche Bedeutung der Universität zu Lübeck", sagt Labahn. Denn die Universität mit dem Uniklinikum SH, Campus Lübeck, stellen mit rund 5.000 Beschäftigten die meisten Arbeitsplätze in der Region zur Verfügung. Rechnet man die Fraunhofer-Initiativen hinzu, erhöht sich die Zahl der Arbeitsplätze um weitere 300. Zudem ist die Lübeck die wichtigste Universität des Landes Schleswig-Holstein für den Bereich Medizintechnik, der immerhin einen Anteil von 30 Prozent am Gewerbesteueraufkommen ausmacht.
Schon ab dem Wintersemester 2010/2011 soll es nach den vorläufigen Plänen in Lübeck kein Medizinstudium mehr geben. "Mit dem Beschluss, den Medizinstudiengang an der Universität zu Lübeck zu schließen, hat die Landesregierung von Schleswig-Holstein faktisch die Schließung der gesamten Universität eingeläutet", kritisiert auch die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI), denn: "Ohne die Medizin sind auch die in der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelten Informatik-Bereiche nicht überlebensfähig."
Uniklinik und Medizinstudium als Einheit aufgebrochen
Die einstige Symbiose zwischen medizinischer Ausbildung samt Forschung und dem Krankenhausbetrieb gerät seit Jahren ins Visier der Sparwilligen. So entbrannte schon 2004 ein Zank um die Universitätsklinik Benjamin Franklin (UKBF) in Steglitz. Die ebenso renommierte wie unter Forschern gefürchtete Unternehmensberatung McKinsey hatte dem Klinikbetreiber Vivantes vorgeschlagen, das UKFB in Steglitz zu übernehmen und in ein Krankenhaus zur Regelversorgung umzuwandeln. Daraus wurde nichts, erst die Fusion mit dem Virchow Klinikum und dem Campus Mitte der Charité verhinderten das Aus der Benjamin F. Uniklinik. Doch heute drückt ein Sanierungsbedarf von mehr als 600 Millionen Euro für den Gesamtsstandort Charité erneut die Stimmung am UKBF: Die Herauslösung aus der Charité und die Teilprivatisierung der Uniklinik sind wieder im Gespräch.
Berlin, Gießen, Marburg, Lübeck - endlose Liste der Unwägbarkeiten
Kein Einzelfall. Hessen musste 2005 durchleben, wie die Unikliniken Marburg und Gießen privatisiert wurden – aus Sicht vieler Medizinprofessoren von damals gerade von der Uniklinik Marburg war das ein Desaster. Nicht minder das Wirrwarr um das Medizinstudium an der Privatuniversität Witten/Herdecke. DocCheck wollte wissen, wieviele Unikliniken der Republik sich heute als existentiell gefährdet betrachten, und fragte über den vom BMBF mitfinanzierten Informationsdienst Wissenschaft sämtliche Einrichtungen in Deutschland an. Die Unsicherheit jedenfalls scheint groß zu sein - bis auf die Universität Lübeck gab es keinerlei Feedback.
Masse noch keine Klasse
Dass Universitäten und Kliniken angesichts von Billionen Bailouts für Banken und Staaten ausgerechnet aus Kostengründen hierzulande schließen sollen, lässt sich in der Tat gerade den Betroffenen kaum vermitteln. Auch die noch jüngst getätigten Investitionen geben der Angelegenheit einen faden Beigeschmack. Doch wie groß wäre das Desaster der Zusammenlegungen wirklich? Kaum ein anderes westliches Land verfügt über eine so hohe Uni-Dichte wie Deutschland. Allein in München gibt es für Mediziner die Uniklinik der Ludwig-Maximilians Universität und das Klinikum rechts der Isar als Universitätsklinikum der TU München. Köln wiederum glänzt ebenfalls durch eine Uniklinik – gleich nebenan wirbt Düsseldorf für sein eigenes Pendant. Wer sich da nicht entscheiden kann, geht nach Bonn, Essen oder Aachen, die alle innerhalb einer Stunde erreichbar sind. Hannover, Göttingen und Hamburg zählen ebenso zu den etablierten Uniklinik-Metropolen und liegen, je nach Betrachtungsweise, keine zwei Stunden voneinander entfernt. Auch die Lübecker könnten einen Blick nach Hamburg riskieren oder letztendlich Ausbildung bzw. Lebensunterhalt im 80 Kilometer entfernten Kiel bestreiten.
Was aber leisten die einzelnen Einrichtungen wirklich? Wer sich derartiger Fragen annimmt, kommt am Wissenschaftsrat (WR) der Bundesrepublik nicht vorbei. Die unabhängige Institution evaluiert in regelmäßigen Abständen Deutschland Universitätskliniken – und ist dafür bekannt, Tacheles zu reden, wie die Uni Mainz vergangenen Monat anhand eines WR-Papiers erfahren musste. Dass Deutschlands Unikliniken entgegen der eigenen Beteuerungen durchaus altbacken und ineffektiv agieren, zeigte das Papier am Beispiel Mainz auf. Und: "Die Lösungsvorschläge erscheinen jedoch in weiten Teilen noch nicht ausreichend ausgearbeitet und damit nicht überzeugend. Dies betrifft vor allem die Kostensenkung in der Krankenversorgung und die Bildung von geeigneten Departmentstrukturen. "Damit nicht genug: "Auch konnte in vielen Bereichen noch kein realer Fortschritt gegenüber dem Stand von 2008 erreicht werden. Vor diesem Hintergrund wirkt der Anspruch, bis 2015 in Forschung, Lehre und Krankenversorgung einen Platz unter den besten fünf Universitätsklinika in Deutschland zu erreichen, sehr ambitioniert." Wie aber wird man dann zu einer der besten Universitätskliniken - am besten mit Bestand? Und wie schafft Deutschland es trotz - zugegeben notwendigem Sparkurs - das nötige Niveau in der medizinischen Ausbildung zu finanzieren?
In den Sommersitzungen des Wissenschaftsrates vom 30. Juni bis zum 2. Juli 2010 hatten die Experten auch dafür einige Ideen und nahmen unter anderem die Gesamtlage der deutschen Hochschulmedizin ins Visier. Kooperationen der Universitäten mit Forschungseinrichtungen im In- und Ausland seien unabdingbar, um Deutschlands Klinikforschung voranzutreiben – in diesem Licht erschiene die Lübecker Schließung dann nicht mehr so dramatisch, wenn daraus eine neue Vernetzung der Kapazitäten erwachsen würde. Weniger stationär, mehr ambulant und international wettbewerbsfähig muss Deutschlands Hochschulmedizin werden, sagt der WR. Lübecks Ende als möglicher Neuanfang, könnte man weiterdenken.