Ein komplizierter Mechanismus legt fest, auf welcher Körperseite Organe während der Embryonalentwicklung angeordnet werden. Forscher haben nun ein wichtiges Puzzlestück entdeckt, welches dafür sorgt, dass dieser Prozess korrekt abläuft.
Ob Frosch oder Fisch, Mensch oder Maus: Von außen sehen Wirbeltiere auf der rechten Körperhälfte genauso aus wie auf der linken. Doch in ihrem Inneren setzt sich die Symmetrie nicht fort. Das Herz schlägt links, der Blinddarm entzündet sich rechts, auch die meisten anderen Organe sind nicht spiegelsymmetrisch angeordnet. Wie Organe ihren genauen Platz während der Embryonalentwicklung zugewiesen bekommen, untersuchen Prof. Martin Blum und seine Mitarbeiter von der Universität Hohenheim an Froschkaulquappen.
Ihnen ist es kürzlich gelungen, einen wichtigen Teil des Mechanismus zu identifizieren, der dafür sorgt, dass in den wenige Tage alten Tieren das Herz als erstes Organ asymmetrisch angelegt wird. Die Ergebnisse ihrer experimentellen Arbeit veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift Current Biology. Die aus mehreren Tausend Zellen bestehenden Froschembryonen eignen sich besonders gut, um die Ausbildung von Organen zu verfolgen: „Die Kaulquappen wachsen schnell und man kann durch die durchsichtige Haut gut die Vorgänge in ihrem Inneren beobachten“, sagt Blum, der Direktor des Instituts für Zoologie ist.
Wimpern erzeugen Flüssigkeitsstrom
Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen war vor einigen Jahren die Entdeckung, dass sich auf Zellen im Dach des sich entwickelnden Urdarms kleine Wimpern befinden. Diese so genannten Zilien, jede nur fünf Mikrometer lang, schlagen synchron im Kreis und erzeugen dabei einen nach links gerichteten Flüssigkeitsstrom innerhalb des Embryos. „Die Strömung bewirkt, dass das Signal-Molekül Nodal in der linken Körperhälfte aktiviert wird“, berichtet Blum. „Dadurch wird eine Signalkaskade angestoßen, die dazu führt, dass das Herz asymmetrisch angelegt wird, während auf der rechten Körperhälfte dieser Vorgang unterbleibt.“
In ihrer aktuellen Publikation beschreibt das Team um Blum ein Protein namens Coco, das die Aktivierung der Gene verhindert, solange keine Strömung vorhanden ist. Erst wenn diese einsetzt, kann Coco die Aktivatoren auf der linken Seite nicht mehr in Schach halten. Durch die ummittelbar einsetzende Reaktion auf den Flüssigkeitsstrom, so Blum, gebe das Repressor-Protein den genetischen Befehl, der für die Asymmetrie der Organe im Bauchraum verantwortlich sie.
Tapetenkleister schafft Chaos
Noch weiß der Zellbiologe nicht genau, wie es der Flüssigkeitsstrom schafft, die Produktion von Coco in der linken Körperhälfte zu hemmen. „Als nächstes wollen wir im Detail den Mechanismus erforschen, der den Repressor abstellt“, berichtet Blum. Klar sei aber, dass der durch die Zilien erzeugte Flüssigkeitsstrom eine zentrale Rolle bei der Ausbildung der Organe im Froschembryo spiele. Blum: „Wenn man mit winzigen Mengen an Tapetenkleister die auf dem Dach des Urdarms sitzenden Zilien verklebt und so in ihrer Funktion beeinträchtigt, wird der Flüssigkeitsstrom unterbrochen.“ Mit der Folge, dass sich die Organe im Froschembryo komplett durcheinander anordneten.
Die Beeinträchtigung der Zilien-Bewegung kann aber nicht nur bei Amphibien verhängnisvolle Auswirkungen haben: So lässt sich beim Menschen eine der häufigsten monogenetischen Erbkrankheiten auf einen Defekt in der Zilien-Funktion zurückführen: Beim bisher nicht heilbaren Zystennieren-Syndrom entstehen dadurch in beiden Nieren zahlreiche, sich ständig vergrößernde Zysten, mit der Folge, dass das Blut immer schlechter gereinigt wird. Meist kommt es im späten Erwachsenenalter zum endgültigen Versagen der Nieren, so dass nur noch die Dialyse oder eine Nierentransplantation den Betroffenen helfen kann.
Zilien als Sensor
Ursache für die dominante Form der Erkrankung sind fast immer Mutationen in den Genen PKD1 und PKD2. Die von beiden Genen kodierten Proteine Polycystin-1 und Polycystin-2 sind Bestandteil der Zilien; Polycystin-2 bildet einen Ionenkanal, der für Calcium-Ionen durchlässig ist. Die Zilien ragen in das Innere der Nierenkanälchen und messen dort wahrscheinlich die Stärke des Harnstroms oder die Konzentration eines bislang nicht identifizierten Moleküls.
Ist der Ionenkanal defekt, können die Zilien ihre Funktion nicht mehr in der gewohnten Form ausüben. „Vermutlich werden daraufhin Signale nicht mehr korrekt an die Zellen des Nierenkanälchens weitergegeben und die Kanälchen fangen an, sich auszudehnen“, erklärt Prof. Ralph Witzgall vom Lehrstuhl für Molekulare und Zelluläre Anatomie der Universität Regensburg. „Warum die oft beobachtete vermehrte Zellteilung zur Zystenbildung, aber nicht zur Entstehung eines soliden Tumors führt, ist bislang unverstanden.“
Mögliche Therapie?
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Protein mTOR eine Schlüsselrolle in diesem Prozess einnimmt. Hier setzt eine klinische Studie der Firma Novartis an, in der seit drei Jahren an 300 Patienten mit Zystennieren-Syndrom der Wirkstoff Everolismus getestet wird. Die Substanz, die in vielen Ländern zur Immunsuppression bei Transplantationen zugelassen ist, blockiert mTOR. Mit den endgültigen Ergebnissen ist in den kommenden Monaten zu rechnen. Dank dieser Studie und einer Reihe anderer Studien, die weitere Therapieansätze verfolgen, hoffen Witzgall und seine Kollegen, dass das Zystennieren-Syndrom zukünftig heilbar wird oder wenigstens das Nierenversagen sich herauszögern lässt.