Gicht ist eine verbreitete Stoffwechselstörung. Erstaunlich, dass sie in den Lehrbüchern ein Schattendasein fristet. 40 Jahre wurde kein neues Medikament gegen Gicht entwickelt. Die Neubewertung bewährter Therapien bringen frischen Wind in die Gichttherapie.
Viele Mythen ranken sich um Prophylaxe und Therapie. Purinarme Diäten sollen bei der Vorbeugung helfen. Purin ist aber nicht gleich Purin. Purinkörper tierischen Ursprungs steigern den Harnsäurespiegel. Pflanzliche Proteine verhalten sich neutral und solche aus Milchprodukten senken den Harnsäurewert sogar leicht. Auf Kaffee oder Tee zu verzichten ist somit unsinnig. Grillexzesse sollte der Gichtkranke hingegen meiden. Hier kommen nicht selten zahlreiche gichtfördernde Faktoren zusammen. Schweinefleisch, Bier und die Kopfschmerztablette am Tag danach. Bier steigert nachweislich den Harnsäuregehalt erheblich stärker als Wein. Auf den Wirkstoff Acetylsalicylsäure muss der Gichtpatient vollständig verzichten. Das Analgetikum hemmt den Abbau von Harnsäure und kann einen Gichtanfall auslösen.
Der Gichtpatient ist oft ein Nachtdienstpatient
Nicht selten kündigt sich ein akuter Gichtanfall nachts an. Selbst die Bettdecke wird als unerträglich empfunden. Fast immer ist zumindest beim ersten Anfall das Großzehgelenk betroffen. Der unerträgliche Schmerz ist die Folge einer immunologischen Reaktion und einer Leukozytenwanderung mit Phagozytose. Tophi sind lokale, meist schmerzfreie Ablagerungen von Natriumuratkristallen und können sich an Gelenken, Sehnen und Knorpelgewebe finden und diese deformieren.
Fasten, Feiern und Früchte
Wer als Gichtpatient Übergewicht hat, schleppt einen weiteren Risikofaktor mit sich rum. Vor einer Crashdiät sollte der Patient aber unbedingt gewarnt werden. Der Hunger bei einer Diät bringt den Patienten in eine acidotische Stoffwechsellage. Dieser geänderte pH-Wert vermindert den Abbau von Harnsäure. Warnen Sie Ihren Patienten unbedingt vor fruchtzuckerhaltigen Diätdrinks. Die Fruktose, versteckt auch als HFCS (Hygh-fructose-corn-syrup) deklariert, wird zu ADP umgebaut, das dann in Purin und Harnsäure zerfällt. Die Studiengruppe Choy et al. bewies, dass ein derartiges Süßgetränk das Risiko, Gicht zu bekommen, um 45 % steigert.
Hemmen oder Fördern?
Obwohl Gicht eine der verbreitetesten Erkrankungen ist, existiert in Deutschland keine medizinische Leitlinie. Die Urikosurika Benzbromaron und Probenecid bewirken durch eine Hemmung der Rückresorption der Harnsäure in der Niere eine vermehrte Ausscheidung dieser Substanz. Benzbromaron wird als Mittel der 2. Wahl eingesetzt, wenn der Patient Urikostatika nicht verträgt. Das Urikostatikum Allopurinol hemmt die Bildung der Harnsäure. Beim akuten Anfall sind Urikostatika Tabu. Sie können einen Gichtanfall verstärken, da durch das Konzentrationsgefälle zwischen Serum und Gewebe Harnsäure auskristallisiert.
Hautnah
Seit 40 Jahren ist Allopurinol das einzige Urikostatikum. Es ist gut wirksam, aber teilweise sehr schlecht verträglich. Die in der Literatur beschriebenen Therapieversager sind eher Therapieverweigerer. Bei Überdosierung von Allopurinol drohen Krankheitsbilder wie eine lebensbedrohliche Agranulozytose. Sehr häufig treten Hautreaktionen wie Juckreiz oder Ausschlag auf. Lyell-Syndrom und nekrotische Vaskulitis kennen nicht nur „Dr. House“-Fans sondern auch Allopurinolpatienten. Die Gefahr von Hautreaktionen steigt erheblich bei einer begleitenden Niereninsuffizienz. Auch weitere Medikamente, wie Calciumantagonisten und NSAR, steigern die Gefahr. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnte 2009 im Deutschen Ärzteblatt davor, das „Allopurinol die häufigste Ursache für Stevens-Johnson-Syndrom und Toxisch epidermale Nekrolyse in Europa und Israel ist“.
Beim Erythema exsudativum multiforme (EEM) handelt es sich um eine vorübergehende, meist harmlose Hautreaktion von der nur einzelne Keratinozyten betroffen sind. Beim Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) liegt eine schwere Verlaufform des EEM vor. Bis zu 10 Prozent der Haut können sich ablösen. Die Sterblichkeitsrate liegt bei bis zu 5 Prozent. Bei der toxisch epidermalen Nekrolyse (TEN oder vormals Lyell-Syndrom) kann sich bis zu 30 Prozent der Haut lösen. Bis zu 30 Prozent der Betroffen überleben das nicht. Die seltenen, aber unter Umständen lebensbedrohlichen dermalen Arzneimittelreaktionen, macht das Suchen und Finden nach neuen Pharmaka extrem bedeutsam.
Febuxostat ist „hautfreundlich“
Im Jahr 2010 wurde das erste nicht-purunverwandte Urikostatikum Febuxostat zugelassen. Das Pharmakon hemmt sowohl die reduzierte als auch die oxidierte Form des Enzyms Xanthinoxidase. Dieses wandelt Hypoxanthin in Xanthin und dies wiederum in Harnsäure um. Ein bedeutsamer Vorteil ist, dass Febuxostat keine bedrohlichen Hautveränderungen auslöst. Die APEX-Studie (The Allopurinol and Placebo-Controlled Efficacy Study of Febuxostat) zeigte, dass 80 mg Febuxostat bei mehr Patienten einen Serumuratspiegel unter 6,0 mg/dl zu senken vermag als 300 mg Allopurinol (65% vs. 23 %). In der Nachfolgestudie FACT (Febuxostat Versus Allopurinol Control Trial in Subjects With Gout) wurde gezeigt, dass die Größe der Tophi unter Febuxostat über einen Zeitraum von einem Jahr um etwa 50 % schrumpften. Betrug der Harnsäurewert zwischen 4 und 5 mg/dl schrumpften die Uratablagerungen sogar um 84%.
Die durchgeführte FOCUS-Studie zeigte, dass bei den Patienten mit einer stabilen Erhaltungsbehandlung (mit Febuxostat 40 mg, 80 mg oder 120 mg) die anhaltende Verringerung der Serum-Harnsäure-Konzentration mit einer fast vollständigen Beendigung von Gichtanfällen in Verbindung gebracht wurde. Hinter dem Akronym verbirgt sich die Bezeichnung “Febuxostat Open-label Clinical trial of Urate-lowering“. Weitere Vorteile von Febuxostat im Vergleich zum Standard Allopurinol sind, dass die Dosis bei einer Niereninsuffizienz nicht reduziert werden muss und der Neuling kaum Arzneimittelinteraktionen auslöste. Viel Licht und wenig Schatten. Leberfunktionsstörungen treten unter beiden Pharmaka vergleichbar häufig auf. In der Febuxostat-Gruppe war die Anzahl kardialer Komplikationen etwas höher. Die Ereignisse waren jedoch nicht kausal auf das neue Gichtmittel zurückzuführen. Dennoch wird Patienten mit diagnostizierter, bekannter KHK oder dekompensierter Herzinsuffizienz die Behandlung mit Febuxostat nicht empfohlen. Da Allopurinol seit langer Zeit generisch ist, sind die Therapiekosten hier vergleichsweise gering. Für wen ist also das sichere, aber kostspieligere Gichtmittel sinnvoll? Bei eingeschränkter Niereninsuffizienz und/oder Polymedikation mit der Gefahr von Interaktionen, insbesondere Diuretika, Calciumantagonisten und AT1-Hemmer. Ein Muss ist Febuxostat für Patienten, die unter Allopurinol starke Hautreaktionen entwickelt haben.
Fortschritt hat seinen Preis. Dies wird auch für die weiteren Innovationen gelten, die sich in den Forschungspipelines befinden. Sei es nun die recombinante Uricase Pegloticase, das implantierbare Gen-Netzwerk UREX oder die Erforschung etablierter Pharmaka wie Anakinra, Losartan und Fenofibrat die als „Nebenwirkung“ den Harnsäuregehalt senken. Bis die zugelassen sind, kann man beruhigt einen purinhaltigen Kaffee trinken.