Der neue Arzneimittelreport der Gmündener Ersatzkasse, seit der Fusion „Barmer GEK-Report“, belegt endgültig, dass Antikörper, Small Molecules & Co zu den großen Kostentreibern im Gesundheitswesen geworden sind. Nur: Welche Konsequenzen sollte das haben?
Er ist eine Pflichtlektüre für die gesundheitspolitische Szene in Deutschland: Keine andere Quelle gibt regelmäßig so detaillierte Informationen darüber, was sich in Deutschlands Arzneimittelmarkt so tut als der Barmer GEK-Report, ehemals Arzneimittelreport der Gmündener Ersatzkasse. Die Version 2010 dieses Reports, die sich mit der Entwicklung der Arzneimittelausgaben im Jahr 2009 beschäftigt, liegt jetzt in einer Kurzversion und in der ausführlichen Komplettversion vor. Verfasst wurde das Papier wie gehabt von Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen.
Was man sich so üblicherweise als erstes ansieht bei den Barmer GEK-Reporten ist die Liste der zwanzig ausgabenstärksten Arzneimittel. Und das ist schon eindrucksvoll. Die Zeiten, in denen dort kostengünstige, aber vielverkaufte Blockbuster-Präparate für Volkskrankheiten auftauchten, sind definitiv vorbei. Auf Platz eins bis fünf finden sich ausschließlich Medikamente für die rheumatoide Arthritis und für multiple Sklerose, also für recht seltene Erkrankungen. Ganz vorne hat sich der Antikörper Adalimumab festgesetzt, der als Humira von Abbot vertrieben wird. Für ihn hat die Barmer GEK alleine knapp 63 Millionen Euro ausgegeben, 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Es folgt ein weiteres Biological, der rekombinante Rezeptor Etanercept, den Wyeth/Pfizer als Enbrel vertreibt. Ausgabensteigerung: 20 Prozent. Die drei MS-Präparate Rebif, Copaxone und Avonex legen auf den Plätzen drei bis fünf ebenfalls jeweils zwischen 12 und 24 Prozent zu. Das Krebsmittel Imatinib (Glivec) wächst um 17 Prozent. Das ist Platz acht. Was den relativen Zuwachs angeht, ist schließlich Olanzapin (Zyprexa) der große Gewinner: Ein sattes Plus von 252 Prozent reicht für Platz elf in der Hitparade.
Nun sind die Zahlen einer Einzelkasse naturgemäß nie völlig repräsentativ für den Rest der Welt. Aber so grob haut es schon hin. Glaeske präsentierte zum Vergleich Zahlen zum Industrieumsatz in Deutschland, die eine ähnliche Reihung erkennen lassen: Humira mit 310 Millionen Euro Jahresumsatz in Deutschland auf Rang 1. Es folgen Enbrel, Glivec, Symbicort (Platz sechs in der Barmer GEK-Liste), dann Spiriva, Rebif, Copaxone und so weiter. Dass kaum eines der umsatzstärksten Arzneimittel auch in der Liste der am häufigsten verordneten Arzneimittel auftaucht, verwundert angesichts der Spezialindikationen, um die es geht, nicht. Bei den Verordnungen dominieren die traditionellen Generika: Metamizol, Metoprolol, L-Thyroxin, Omeprazol und Simvastatin sind die Blockbuster auf Doktors Rezepten.
Sind wir wirklich so depressiv?
Wie in jedem Jahr stellt sich natürlich auch in diesem Jahr die Frage: Was tun mit diesen Daten? Sind Jahrestherapiekosten von 16000 bis 24000 Euro, wie das bei den beiden Rheuma-Präparaten an der Spitze der Ausgabenliste der Fall ist, zu rechtfertigen? Am Beispiel der Krebsmedikamente Glivec und Herceptin versuchte sich Glaeske an einer Einordnung, indem er die Preise in Deutschland mit denen anderswo verglich. Da gibt es zumindest Unterschiede. Glivec kostet in Großbritannien knapp 1800 Euro Herstellerabgabepreis, in Deutschland knapp 2700 Euro, jeweils ohne Mehrwertsteuer. Auch der Apothekenverkaufspreis für Herceptin ist in Deutschland mit gut 800 Euro fast doppelt so hoch wie in Großbritannien. Hier ist die Mehrwertsteuer dann enthalten. Beim Preis sieht Glaeske demnach noch Spielräume nach unten. Eine andere Stellschraube sind die Diagnosen. Den Barmer-GEK-Zahlen zufolge gab es bei jeder dritten Frau über 80 und bei immerhin jeder vierten zwischen 70 und 80 im Jahr 2009 mindestens eine Verordnung eines Antidepressivums. Muss das sein?
Unterschiedliche Meinungen zum Nutzen des AMNOG
Insgesamt bestehe der wichtigste Regelungsbedarf derzeit bei den Spezialpräparaten, so Glaeske. Das in der Verabschiedung befindliche Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) biete für diese Arzneimittelgruppe, die 2,5 Prozent der Verordnungen, aber 26 Prozent der Ausgaben verursache, derzeit keine überzeugende Regulierungsoption an, so Glaeske. Ganz unzufrieden sind die Krankenkassen mit dem Referentenentwurf des AMNOG freilich nicht. Barmer GEK-Vizechef Rolf-Ulrich Schlenker begrüßte, dass bei dem geplanten Schiedsverfahren zur Festlegung von Erstattungshöhen im Rahmen der Verträge mit der Pharmaindustrie die Abgabepreise in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen seien: „Die europäische Perspektive muss bereits vorher Maßstab für die direkten Verhandlungen zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und den Pharma-Unternehmen sein. Das wäre der Durchbruch für faire Preise und gute Verträge“, so Schlenker.