Maßnahmen, die die WHO gegen Rauchen empfiehlt, erweisen sich als wirksam. Dennoch zählt Deutschland zu den zehn Ländern mit den meisten Rauchern. Was kann gegen die „Epidemie des Rauchens“ getan werden? Fest steht: Ärzte können mit wenig Mitteln viel bewirken.
Eine höhere Besteuerung von Tabakprodukten, Schutz vor Tabakrauch durch rauchfreie Orte, Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen, ein Verbot von Tabakwerbung und ein Angebot von Behandlungsmaßnahmen, die Raucher beim Aufhören unterstützen sollen – mit diesen fünf grundlegenden Maßnahmen will das WHO-Rahmenübereinkommen zur Tabakkontrolle den Konsum von Tabak weltweit nachhaltig reduzieren. Nun ist ein Artikel in der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen, der zeigt, wie sich die Umsetzung der Maßnahmen in 126 Ländern auf die Raucherzahl zwischen 2005 und 2015 ausgewirkt hat. Das Forscherteam des International Tobacco Control Policy Evaluation Project (ITC Project) der kanadischen University of Waterloo kommt zu dem Ergebnis, dass die von der WHO empfohlenen Strategien zwischen 2007 und 2014 weltweit immer stärker umgesetzt werden. Gleichzeitig ist die Zahl der Raucher in den untersuchten Ländern von 24,7 Prozent auf 22,2 Prozent zurückgegangen. Dabei bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Einführung der Strategien und der Abnahme der Raucherzahl. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass die Maßnahmen effektiv sind. Nun soll darauf hingearbeitet werden, diese noch stringenter, nachhaltiger und in mehr Ländern umzusetzen, so die Autoren.
Trotz dieser Erfolge ist Rauchen weiterhin eine der Hauptursachen für Krankheiten und vorzeitigen Tod weltweit, wie eine weitere Untersuchung im „Lancet“ zeigt. Die Studie erfasste die Zahl der Raucher, die täglich zur Zigarette greifen, in 195 Ländern zwischen 1990 und 2015. Demnach rauchten 2015 weltweit 25 Prozent der Männer und 5,4 Prozent der Frauen – das sind insgesamt 933 Millionen Menschen. Gegenüber 1990 ist die Zahl der Raucher zwar um 28,4 Prozent bei Männern und 34,4 Prozent bei Frauen zurückgegangen. Doch das Bevölkerungswachstum hat dazu geführt, dass absolut gesehen mehr Menschen auf der Welt rauchen. Darüber hinaus gingen im Jahr 2015 insgesamt 11,5 Prozent der weltweiten Todesfälle auf Rauchen zurück – eine Steigerung von 4,7 Prozent gegenüber 2005. Auf der Skala der häufigsten Krankheitsursachen stieg Rauchen dabei von Platz 3 auf Platz 2 und nimmt weiterhin die zweithäufigste Todesursache ein. Die stärksten gesundheitlichen Einschränkungen gingen dabei auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und chronische Atemwegserkrankungen zurück. Schließlich ist zu bedenken, dass in der Studie Gelegenheitsraucher und alle, die rauchfreie Tabakprodukte und E-Zigaretten konsumieren, noch gar nicht berücksichtigt wurden.
Deutschland gehört zu den Ländern, die sowohl bei der Anzahl der Raucher als auch bei der Umsetzung der WHO-Maßnahmen, besonders schlecht abschneiden. So belegt Deutschland in der Liste der Länder mit den meisten Rauchern Platz 9 – auf den vordersten Plätzen liegen China, Indien und die USA. 25 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen in Deutschland rauchen täglich. Damit ist die Zahl der Raucher seit 1990 zwar leicht gesunken, aber weniger stark als im internationalen Durchschnitt. Hierzulande geht sogar jeder 7. Todesfall auf die Folgen des Rauchens zurück, berichtet die Deutsche Allianz für nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Auch auf der „Tabakkontrollskala 2016“ der Europäischen Krebsliga, die staatliche Maßnahmen zur Reduzierung des Tabakkonsums bewertet, nimmt Deutschland keinen guten Platz ein. Die Skala erfasst neben den von der WHO empfohlenen Maßnahmen auch die Aufklärung der Verbraucher über die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens, wobei diese nach ihrer Effektivität gewichtet werden. Unter den 35 untersuchten europäischen Ländern nimmt Deutschland den vorletzten Platz ein – nur noch gefolgt von Österreich. Auf den vordersten fünf Rängen lagen Großbritannien, Irland, Island, Frankreich und Norwegen. Kritisiert wird in dem Bericht, dass Deutschland seit 2010 keine neuen Maßnahmen zur Tabakkontrolle mehr eingeführt hat. Außerdem ist es das einzige Land der EU, das noch Plakatwerbung für Zigaretten erlaubt. Steuererhöhungen für Tabakprodukte fallen hierzulande moderat aus, und beim Nichtraucherschutz gibt es viele Ausnahmeregelungen – etwa die Möglichkeit, Gaststätten als Raucherkneipen zu deklarieren. Und während es in vielen anderen europäischen Ländern überhaupt keine Zigarettenautomaten gibt, stehen Zigaretten in Deutschland durch ein Netz von 350.000 Zigarettenautomaten zu jeder Zeit leicht zur Verfügung.
„Mit der demographischen Alterung der Bevölkerung rollt außerdem eine Welle tabakbedingter Todesfälle auf Deutschland zu, weil die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre, von denen vergleichsweise viele rauchen, jetzt in ein Alter kommen, in dem das Risiko für tabakbedingte Erkrankungen besonders hoch ist“, sagt Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Wie eine erfolgreiche Anti-Tabak-Strategie aussehen könnte, zeigt sich etwa am Beispiel Brasiliens oder Großbritanniens. In Brasilien, weltweit führend bei der Umsetzung der Tabakkontrollmaßnahmen, hat sich die Zahl der Raucher zwischen 1990 und 2015 halbiert – von 28,9 Prozent auf 12,6 Prozent bei Männern und von 18,6 auf 8,2 Prozent bei Frauen. In dem lateinamerikanischen Land wurde eine Kombination aus hohen Steuern auf Tabakprodukte, umfassenden Rauchverboten und Werbeverboten für Tabakprodukte eingeführt. In Großbritannien werden die WHO-Maßnahmen ebenfalls umfassend umgesetzt, insbesondere eine hohe Steuer auf Tabakwaren. Auch in Deutschland könne der negativen Entwicklung bei Krankheits- und Todesfällen durch Rauchen entgegengewirkt werden, wenn die Präventionsmaßnahmen der WHO konsequent umgesetzt würden, betont Katrin Schaller vom DKFZ. „Die wirksamste Maßnahme sind dabei deutliche, wiederholte Erhöhungen der Tabaksteuer. Effektiv sind auch umfassende Nichtraucherschutzgesetze, die keine Ausnahmeregelungen enthalten.“ Weitere sinnvolle Maßnahmen seien ein umfassendes Tabak-Werbeverbot, das Abschaffen von Zigarettenautomaten, ein Ausstellungsverbot von Zigaretten – etwa an der Kasse von Supermärkten – und einheitliche, unscheinbare Verpackungen, die Zigaretten weniger attraktiv machen würden.
Aber auch Ärzte und alle, die im medizinischen Bereich tätig sind, können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Raucher zum Aufhören zu motivieren und so die gesundheitlichen Folgen des Rauchens einzudämmen. So hat laut DKFZ bereits die Aufforderung durch Ärzte, Therapeuten oder Krankenpflegepersonal, auf das Rauchen zu verzichten, einen deutlichen Effekt auf die Motivation aufzuhören sowie auf die Abstinenzraten von Rauchern. „In jedem Fall sollten Ärzte die ‚drei A‘ beachten: Abfragen, Anraten und Aufzeigen“, erläutert Schaller. „Das heißt: Sie sollten jeden Patienten fragen, ob er raucht, ihm empfehlen aufzuhören – und ihm vor allem aufzeigen, wo er Hilfe finden kann.“ Sinnvolle Anlaufstellen, die Ärzte empfehlen können, sind Suchtberatungsstellen in der näheren Umgebung. Diese können wiederum Adressen für Entwöhnungskurse benennen. „Weiterhin können Ärzte das Rauchertelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder die Anbietersuche nach Beratungsstellen und Raucherentwöhnungsprogrammen empfehlen“, so Schaller. „Bei letzterer ist eine Suche nach Postleitzahlen möglich, und sie beschreibt Programme, deren Wirksamkeit belegt ist.“ Weiterhin können Ärzte Rauchern, bei denen Nikotinersatz-Produkte nicht erfolgreich sind, nach Aufklärung über mögliche Risiken das Antidepressivum Bupropion oder den Nicotinrezeptoragonisten Vareniclin anbieten. Beide sind in Deutschland für die Raucherentwöhnung zugelassen, können jedoch zu Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Schlafstörungen führen.
„Die meisten Raucher hören zwar auf, ohne auf Hilfsangebote zurückzugreifen“, berichtet Schaller. „Aber einige schaffen dies nicht und brauchen Unterstützung. Hier gilt eine Kombination aus Entwöhnungsprogrammen auf kognitiv-verhaltenstherapeutischer Grundlage und Nikotinersatz-Produkten nach wie vor als die wirksamste Methode.“ Dabei werden Strategien vermittelt, um mit dem Verlangen nach Nikotin umzugehen, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und sie durch neue Verhaltensweisen zu ersetzen. Dass die Kosten für eine Nikotinersatztherapie bisher nicht von den Krankenkassen übernommen werden, wird von Fachleuten kritisch gesehen. „Medizinisch wie auch ökonomisch gibt es inzwischen starke Fakten und Argumente für eine medikamentös unterstützte Raucherentwöhnung“, schreibt Helmut Laschet in einem Artikel. So habe sich die Nikotinersatztherapie als wirksame Methode bei der Raucherentwöhung erwiesen – und sie könne mittelfristig dazu beitragen, Kosten im Gesundheitssystem einzusparen.