Ist der Herd tatsächlich aus, habe ich den Wasserhahn zugedreht? Aus dem völlig normalen Wunsch nach Kontrolle kann fast unbemerkt eine echte Zwangsstörung werden. Hier eine kleine Erklärung für die einengenden Rituale mit der Sehnsucht nach Sicherheit.
Acht Uhr morgens, es ist höchste Zeit fürs Büro. Die Haustür fällt ins Schloss. Aber ist der Herd auch aus? Ja, ich habe ihn ausgeschaltet. Bestimmt? Ich weiß es genau. Wirklich ganz sicher? Eigentlich schon. Aber vielleicht sollte ich noch mal nachschauen, einfach nur zur Sicherheit.
Fast jeder kennt Situationen wie diese. Manch einer muss jeden Morgen gleich zweimal überprüfen, ob alle Elektrogeräte aus sind. Andere schauen täglich mehrfach, ob sie den Geldbeutel noch haben. Oder sie können es nicht ertragen, wenn eine Tür offen steht. Oder sie drehen ständig die Wasserhähne zu, jedes Mal ein bisschen fester. Es gibt Menschen, die wechseln mehrfach am Tag die Unterwäsche oder laufen sofort zum Waschbecken, wenn sie jemandem die Hand geben mussten. Andere ordnen Regale ganz penibel nach Systemen, die nur sie selbst verstehen.
Angewohnheit oder Zwang?
Ist das noch normal? Oder handelt es sich dabei schon um so genannte Zwangsstörungen? Experten sind der Meinung, dass es sich noch im Normalbereich befindet, wenn man morgens zweimal den Herd kontrolliert. Es wird erst bedenklich, wenn dadurch andere Aktivitäten eingeschränkt werden müssen und die Betroffenen anfangen zu leiden. Ein alarmierendes Zeichen ist auch, wenn Menschen erfolglos versuchen, sich den inneren Zwängen zu widersetzen. Patienten, die unter Zwängen leiden, erkennen zwar, dass ihre Zwänge sinnlos sind, können aber auch nicht von ihnen lassen.
In manchen Fällen reicht es Menschen einfach nicht, ein paar Mal nach dem Schalter der Kaffeemaschine zu sehen, ständig müssen sie die Kontrolle wiederholen. Experten sprechen hier von einem Kontrollzwang, einem der häufigsten Zwänge überhaupt. Die Betroffenen leben in der ständigen Angst, potenzielle Gefahren zu übersehen, und ihnen fehlt die unbefangene Zuversicht. Sie interpretieren die Welt und das Leben von Grund auf als gefährlich und leben in der ständigen Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte.
Auch bei Reinigungszwängen, die ebenfalls zu den typischen Zwangsstörungen zählen, steht die Angst im Vordergrund. In der Regel fürchten sich die Betroffenen vor Keimen, Gift, Krankheiten oder sogar dem Tod. Obwohl die Betroffenen wissen, dass ihre Angst grundlos ist, können sie sich selbst nicht befreien. Putzen ist für diese Patienten der einzige Weg, sich zu entspannen. Dies ist typisch für Zwangshandlungen dieser Art.
Es gibt auch noch andere Arten von Zwangsgedanken. Zum Beispiel gibt es Mütter, die von dem Gedanken besessen sind, sie könnten ihrem Kind etwas antun. Oder Männer, die unter der permanenten Angst leiden, sie könnten gegen ihren Willen eine Frau verletzten oder sogar sexuell missbrauchen. Bezeichnend für solche Fälle ist, dass die Betroffenen sich vor ihren aggressiven Gedanken fürchten, obwohl sie diese Gedanken niemals in die Tat umsetzen. All dies gehört zum weiten Spektrum der Zwangsstörungen, an denen schätzungsweise 1-2% aller Erwachsenen leiden.
Zwang in der Kindheit
Viele Betroffene legen schon in der Kindheit auffällige Verhaltensweisen an den Tag. Experten sind der Meinung, dass man auffällige Ordnungsrituale von Kindern beobachten sollte, ohne diese Rituale jedoch überzubewerten. Viele Kinder pflegen nämlich eine Zeit lang harmlose Marotten, die aber wieder von selbst verschwinden. Erst, wenn das Kind belastet wirkt, sich die Rituale massiv ausweiten und ein normaler Tagesablauf dadurch gestört wird, sollten die Eltern mit einem Kinderarzt darüber sprechen.
Manche Rituale sind für Kinder auch sehr wichtig, da sie familiären Halt vermitteln, wie zum Beispiel Einschlaf-Rituale, bei denen dem Kind etwas vorgesungen oder vorgelesen wird. So fühlen sich die Kinder beschützt und sicher. Vor diesem Hintergrund aber gehen Experten davon aus, dass bei vielen Zwangspatienten dieses Gefühl der Sicherheit in der Familie zu kurz kam. Die Betroffenen leiden somit unter dem Gefühl mangelnder Sicherheit. Durch die selbst herbeigeführten Rituale wird die eigene Unsicherheit überspielt.
Inwiefern Gene eine Rolle spielen, ist noch unklar. Sicher wird der Hang zu Zwangsstörungen nicht vererbt wie die Haarfarbe, aber dennoch gehen Experten davon aus, dass bei der Veranlagung zur Ängstlichkeit Erbfaktoren mit im Spiel sind. Daneben kann es sein, dass sich die Betroffenen zwanghaftes Verhalten ein Stück weit von ihren Eltern abgeschaut haben. Auch so erklärt sich, warum Probleme dieser Art in manchen Familien gehäuft auftreten.
Die Therapie
Vielen Betroffenen hilft eine Verhaltenstherapie, bei der sie lernen, den Zwängen nicht nachzugeben. Man versucht zum Beispiel, bei Patienten mit Waschzwängen den Teufelskreis zu durchbrechen und ihnen beizubringen, dass sie sich nicht nur entspannen können, wenn sie sich waschen, sondern generell entspannt sind. Dabei ringt sich der Patient durch, sich selbst absichtlich zu beschmutzen, ohne sich danach zu waschen. Er lern so, dass seine Anspannung irgendwann auch von alleine verfliegt. Dieser Prozess wird dann mehrfach wiederholt. Gleichzeitig hilft den Betroffenen die Einsicht, dass die Gefahr, sich tatsächlich eine schlimme Krankheit zu holen, extrem gering ist.
Fazit
Die Aussichten auf Erfolg sind somit bei einer solchen Verhaltenstherapie relativ gut, denn etwa 60-80% der Patienten können danach wieder ohne die Zwänge frei leben.