Was in den USA möglich ist, darf in Deutschland nicht sein. Wer eine Niere zur Verfügung stellen will, muss Freundschaft oder Verwandtschaft zum Empfänger nachweisen. Noch wiegt die Angst vor Organhandel schwerer als die langen Wartelisten.
Das US-Klatschmagazin „People“ zeigte in seiner Ausgabe vom 30. November 2009 ein Bild von 19 „Durchschnittsamerikanern“ und kürte sie zu den „Helden des Jahres“. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihr Körper arbeitet nur noch mit einer Niere. Zehn davon besaßen noch drei Jahre zuvor das Organ in doppelter Ausführung, haben aber eine Niere an jemanden gespendet, der sie dringend benötigte. Bis auf einen freiwilligen Spender hatten alle einen dialysepflichtigen Partner oder Familienangehörigen. Trotz Gewebeunverträglichkeit zwischen den jeweiligen Partnern, bekam jeder der Bedürftigen ein neues Organ. Angefangen mit dem 30-jährigen Matt Jones aus Michigan, der sein Organ uneigennützig für eine Spende zur Verfügung stellte, entstand eine Transplantations-Kette, weil der gesunde Angehörige bereit war, seine Niere einem Fremden zu spenden, damit sein Partner auch von einer Spende profitiert.
Lebend-Organe funktionieren besser
In Deutschland ist es wesentlich schwieriger, auf diese Weise zum Helden zu werden. Denn das Gesetz erlaubt keine Spende von Niere oder Leber an einen Unbekannten. Nur langsam wächst die Zahl der Lebendspenden für Niere und liegt im Moment bei rund 22 Prozent aller Transplantationen. Dabei, so sagen die Statistiken, arbeitet das Organ eines Lebenden im Empfänger besser als das eines Toten. Nach rund fünf Jahren sind noch rund 85 Prozent der Nieren einer Lebendspende intakt, dagegen nur rund 70 Prozent einer postmortalen. Im Normalfall geht der Spender kein übergroßes Risiko ein. Nur vier von zehntausend Nierenentnahmen enden tödlich. Danach liegt seine Nierenleistung beim Spender entsprechend Untersuchungen der Universität München bei rund 73 Prozent und verschlechtert sich im Lauf der Zeit nicht. Das Lebendspenderegister der Schweiz mit Daten seit 1993 bescheinigt den Spendern ein Nieren-Ausfallrisiko, das nicht höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung liegt.
Überkreuz- und Dominospenden
Deutschland steht beim internationalen Austausch von Organen weit auf der Minusseite und erhält wesentlich mehr Organe aus dem Ausland als es dorthin anbietet. Trotz Organmangel sind die Kriterien für Lebendspender sehr streng. Voraussetzung für die Transplantation ist die enge persönliche Beziehung zwischen Spender und Empfänger, die über den einer Zweckgemeinschaft hinausgeht. Nur nahe Angehörige, enge Freunde oder Partner in einer Beziehung dürfen dem anderen Niere oder einen Teil ihrer Leber überlassen. Das gilt auch für so genannte „Überkreuzspenden“. Findet ein inkompatibles Paar aus Empfänger und Donor ein zweites, bei denen das Organ jeweils auf den Empfänger des anderen Paars passt, kommen beide Wartenden zum Zug. Aber nur dann, so hat das Bundessozialgericht in Kassel geurteilt, wenn zwischen den beiden Paaren mehr als nur ein kurzes Kennenlernen und Aufwiedersehen entsteht. Dementsprechend haben die Ärzte bisher nur in wenigen Fällen operiert.
Das Konzept der Überkreuzspende geht auf den Harvard-Ökonomen Al Roth zurück, der es mit den türkischen Ökonomen Tayfun Sönmez und Utku Ünver entwickelte. Bei der paarweisen Spende finden die Operationen fast immer gleichzeitig statt. Nur so lässt sich verhindern, dass einer der Spender sein Einverständnis zurückzieht, nachdem sein Partner das ersehnte Organ bekommen hat. Bei einer „Domino“-Transplantation mit einem „ungepaarten“ freiwilligen Spender am Anfang der Kette ist ein Spenderausfall zu verkraften. Dementsprechend können die Transplanteure auch in zeitlichem Abstand die Organe entnehmen und einsetzen. Eine rein altruistische Spende - einfach aus dem Bedürfnis heraus, einem Unbekannten unentgeltlich zu helfen - ermöglicht in den USA immer längere „Domino-Ketten“. Auch in unserer Nachbarschaft, der Schweiz, gibt es seit drei Jahren die Möglichkeit, eine Niere anonym zu spenden. Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ sieht aber schon bei der Überkreuzspende eine Gefahr verdeckter kommerzieller Vermittlung und damit des Handels mit Organen.
Offener Organmarkt gegen den Mangel?
Vor einigen Tagen beschloss das EU-Parlament eine neue Richtlinie zur Organtransplantation. Ausdrücklich ist darin die Freiwilligkeit bei der Lebend- und der Bereitschaft zur postmortalen Spende festgehalten. Geld darf dabei außer einer Aufwandsentschädigung nicht fließen. In der Türkei - sie gilt als europäische Drehscheibe für den Organhandel - wurde vor einiger Zeit einem Moldawier für 2000 Euro seine Niere entnommen. Nachbetreuung des Spenders? Fehlanzeige. In Staaten wie Bulgarien, Estland, Rumänien oder auch Tschechien liegen die Nieren-Preise zwischen 3000 und 10.000 Euro. Vor kurzem berichtete das Handelsblatt über die Gesundheitsökonomen Breyer und Oberender. Sie wollen einen Markt mit marktüblichen Preisen für Organe entsprechend Angebot und Nachfrage. Nur so könne sich das jetzige Organ-Ungleichgewicht wandeln. Nach den Berechnungen von Oberender würden selbst Preise von 30.000 Euro pro Organ und 80.000 Euro Operationskosten das Gesundheitssystem entlasten. Denn die Dialysekosten liegen derzeit bei rund 50.000 Euro pro Jahr.
Im Iran gibt es ein solches System. Der Staat bezahlt für eine Niere eines Lebendspenders einen Betrag in der Höhe eines durchschnittlichen Jahresgehalts. Die Verteilung der Organe erfolgt jedoch unabhängig und nicht an den Meistbietenden. Wo sich aber mit dem eigenen Körper Geld verdienen lässt, nimmt die Bereitschaft zur freiwilligen unbezahlten Spende an den bedürftigen Verwandten ab. Das beweisen die Daten aus dem Iran. Und dieser Verdrängungseffekt dürfte auch, so meinen viele Transplantationsexperten, in Deutschland zu einem „Nullsummenspiel“ oder gar zu einem Rückgang der Spendebereitschaft führen.
Einmal gespendet - nie bereut
Wer in Deutschland zu Lebzeiten spenden will, muss seine Freiwilligkeit den Mitgliedern der Lebendspendekommissionen in den Bundesländern oder einzelnen Transplantationszentren klarmachen. In einer Dissertation hat sich Kathrin Sievers aus Hannover mit deren Arbeit auseinandergesetzt. So ist sich selbst die Mehrheit der Kommissionen nicht sicher, ob sie einen Organhandel verhindern kann. Rund 14 Prozent der Kommissionen befürworten jedoch einen finanziellen Anreiz für den Spender. Die Überkreuzspende findet rund 40 Prozent Anhänger, die anonyme Spende an unbekannte Empfänger immerhin noch 30 Prozent.
Wenn die Mitgliedsländer der EU die neuen Richtlinien in ihr nationales Recht umsetzen, wird sich die Zahl der Transplantationsbeauftragten an den Kliniken stark erhöhen. Sie sind dafür zuständig, mögliche verstorbene Spender und deren Angehörige zu finden und damit wesentlich mehr Transplantationen zu ermöglichen. Dass sich die Zahl der der Lebendspender wie etwa in Norwegen auf rund die Hälfte aller Organtransplantationen erhöht, ist in naher Zukunft jedoch kaum anzunehmen. Die Lebendspende von Nieren und vielleicht auch Leber kann dennoch viele Menschen retten, die zwischen Warteliste und Tod stehen. Und dabei profitiert nicht nur der Dialysepatient, sondern auch der Spender. Entsprechend den Daten des Schweizer Registers haben 98 Prozent der Spender ihre Entscheidung nie bereut, auch Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Operation. Vielleicht auch deswegen, weil sie sich auch ein wenig als Helden fühlen dürfen.