Seine höchst zweifelhaften Forschungsarbeiten haben mit dazu geführt, dass die Masernimpfung in vielen Ländern der Erde in Verruf geriet. Jetzt wurde der britische Arzt Andrew Wakefield von der offiziellen Ärzteliste des Königreichs gestrichen. Er ist (auch) ein Bauernopfer.
Ins Rollen gebracht wurde die ganze Sache von einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift The Lancet im Jahr 1998. In dieser Publikation thematisierte der britische Arzt Andrew Wakefield, damals tätig an der Abteilung für pädiatrische Gastroenterologie am Royal Free Hospital in London, einen möglichen Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und der Entstehung von entzündlichen Darmerkrankungen und von Autismus. Eine der Grundlagen der Hypothese war die Beobachtung, dass der Zeitpunkt der MMR-Kombinationsimpfung in Großbritannien, der 13. Lebensmonat, jener Zeitpunkt ist, zu dem bei von Autismus betroffenen Kindern auch erste Autismus-Symptome beobachtet werden können.
Eine Fallserie und ihre Folgen
Die Arbeit kam zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zwischen Impfung und Darmerkrankungen beziehungsweise Autismus auf Basis der Daten nicht definitiv hergestellt werden könne. In einer die Publikation begleitenden Pressekonferenz plädierte Wakefield freilich dafür, vorsichtshalber Einzelimpfungen statt der MMR-Kombinationsimpfung einzusetzen und den Impfzeitpunkt zu variieren. Die Furcht vor einem Impfautismus war damit in der Welt. Die Arbeit, die Pressekonferenz und einige Folgepublikationen fanden in Großbritannien einen außerordentlichen Widerhall. Sie beschäftigten die Medien über Jahre. Und sie führten in letzter Konsequenz dazu, dass die Durchimpfungsrate für Masern im Vereinigten Königreich gefährlich abfiel. Einige andere Länder haben die britische Hysterie zumindest teilweise mitgemacht. Deutschland gehörte nicht dazu. Trotzdem verdienen der Aufstieg und der Fall von Andrew Wakefield über die Grenzen Großbritanniens hinaus Beachtung. Die Arbeit aus dem Jahr 1998, die vom Lancet im Jahr 2004 zurückgezogen und im Jahr 2010 sogar aus der Datenbank entfernt wurde, war keine Studie sondern eine Fallserie. Es ging um lediglich acht Kinder. Das alleine hätte weitreichende Schlüsse eigentlich verbieten müssen, zumal die Datenlage, die gegen einen Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus sprach, schon damals nicht schlecht war. Über die Jahre wurden dann immer mehr wissenschaftlich solide Arbeiten vorgelegt, die Wakefield‘s Anklage gegen die Masern-Impfung praktisch alle Glaubwürdigkeit raubten.
Dr. Impfenstein lebt
Im kollektiven Bewusstsein freilich blieb die Autismus-Angst verhaftet. Es gab Kreise, in denen galt Wakefield als Held. Noch heute existieren einige Leitmotive der Impfkritik, die (auch) auf Wakefield und seine Thesen zurückgehen, vor allem die Skepsis gegenüber Kombinationsimpfungen. Dass das britische General Medical Council (GMC) Andrew Wakefield am 24. Mai 2010 von der britischen Ärzteliste gestrichen hat, lag freilich nicht an seiner Fallserie und natürlich auch nicht an seiner unbewiesenen Autismus-These. Die Entscheidung geht vielmehr zurück auf die bisher längste und umfangreichste Untersuchung des GMC zu wissenschaftlichem und ethischem Fehlverhalten, das Wakefield im Zusammenhang mit seinen Arbeiten zur Masernimpfung nachgewiesen werden konnte. Und dieser Teil der Geschichte, die aus aktuellem Anlass in der britischen Zeitung The Guardian noch einmal im Detail aufgerollt wurde, ist wirklich abenteuerlich.
So hat Wakefield nicht nur Studien ohne Genehmigung durch Ethikkommissionen durchgeführt. Er machte bei Kindern auch unzählige nicht indizierte Untersuchungen, darunter zahlreiche Koloskopien, um seine experimentell nie ausreichend gestützte Hypothese klinisch zu belegen. Wakefield hatte außerdem im Februar 1998, dem Monat der Veröffentlichung seines Lancet-Papers, die Genehmigung für eine eigene Impfstudie beantragt, in der eine neue, reine Masernimpfung getestet werden sollte, was die Frage nach Interessenkonflikten zumindest nahelegte. Der Impfstoff sollte produziert werden von dem Unternehmen Immunospecifics Biotechnologies. Geschäftsführer war der Vater eines seiner Patienten. Die ersten Tests des Impfstoffs machte Wakefield, erneut ohne offizielle Genehmigung, bei einem Kind, dessen Hausarzt er über das Experiment nicht informierte. Während der Geburtstagsfeier seines Sohns nahm er außerdem für Laboruntersuchungen Blutproben von den Gästen ab und zahlte dafür jeweils fünf britische Pfund.
Fragen stellen müssen sich auch viele andere
Alles zusammen reichte dem GMC, um Wakefield schwere berufliche Verfehlungen zu attestieren, was jetzt zum Ausschluss aus dem Ärzteregister geführt hat. Die Briten hoffen, dass das ganze Thema Impfautismus damit vom Tisch ist. Vom Tisch ist die Sache aber schon deswegen nicht, weil Wakefield die Diskussionen letztlich nur losgetreten hat. Er hat sich katastrophal falsch verhalten. Darüber ist er gestolpert. Aber er ist nicht alleine dafür verantwortlich, dass Impfungen in Misskredit gerieten. Seine Spekulationen fielen auf fruchtbaren Boden: Beim Lancet, das eine grottige Publikation druckte. Bei anderen Medien, die auf hysterische Möchtegernexperten hörten, statt sich existierende Daten anzusehen. Bei Ärzten, die der Impfskepsis allzu willig nachgaben oder selbst die Autismus-These verbreiteten. Das alles ist nicht aus der Welt, nur weil Wakefiled nicht mehr praktizieren darf. Wer zweifelt, ob dergleichen in Deutschland passieren könnte, mag sich die Diskussionen um angeblich krebsauslösende Zellkulturvakzinen gegen die Schweinegrippe aus dem vergangenen Jahr in Erinnerung rufen. Kronzeuge der Anklage war hier ein Politiker mit medizinischer Ausbildung, der sich niemals wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt hatte, über das er sprach. England ist überall.