Epstein-Barr-Viren sind in aller Munde. Die „kissing disease“ wird unter anderem durch Schleimhautkontakt übertragen. 95% der Menschen über 40 gelten als infiziert. Vom Pfeifferschen Drüsenfieber bis Krebs ist vieles möglich.
Eine Infektion mit Epstein-Barr-Viren (EBV) verläuft in den meisten Fällen sang- und klanglos. Nur selten tritt das Formenbild des Pfeifferschen Drüsenfiebers mit geschwollen Mandeln und vergrößerten Lymphknoten auf. Unter bestimmten Bedingungen können allerdings auch Tumorerkrankungen ausgelöst werden. Dazu gehört das Burkitt-Lymphom, eine Krankheit, die vor allem bei Kleinkindern in den tropischen Gegenden Afrikas oder Neuguineas auftritt. Und im südostasiatischen Raum werden Karzinome des Nasen-Rachen-Raums beobachtet, die in Zusammenhang mit EBV-Infektionen stehen.
Aber auch in unseren Breiten gibt es entsprechende Krebserkrankungen: Patienten, die am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt sind, haben später ein höheres Risiko, ein Hodgkin-Lymphom zu entwickeln. Die Beteiligung des EBV an bestimmten Formen des Magenkrebses scheint ebenfalls wahrscheinlich zu sein.
Schläfer im Immunsystem
Nachdem das EBV eine Zelle infiziert hat, begibt es sich zunächst gewissermaßen in einen Dornröschenschlaf. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu anderen Viren: Meist entschließt sich der zelluläre Eindringling nämlich, sofort Gas zu geben und neue Viruspartikel zu produzieren. Dazu programmiert er die zellulären Maschinerien um und stellt zahlreiche virale Moleküle her. Und machen nebenbei das Immunsystem auf sich aufmerksam, das eine infizierte Zelle schließlich vernichtet.
Nicht so das EBV: Es schleust sein Erbgut in die Kerne von B-Zellen des Immunsystems ein und schaltet sofort auf Sparflamme. Damit entgeht es dem körpereigenen Zugriff und wird bei jeder Zellteilung quasi nebenbei mit vermehrt. EBV können sich mit dieser Strategie ein Leben lang gut verstecken.
Lediglich eine Handvoll latenter Gene sorgt in dieser Ruhephase für eine stabile Einnistung im Zellkern. Hier spielen kurze Erbgut-Abschnitte, so genannte microRNAs, eine entscheidende Rolle, um die Genaktivität der Wirtszelle zu kontrollieren. Und weil menschliche Zellen selbst microRNAs synthetisieren, lösen die viralen Kopien keine Immunreaktion aus.
Das friedliche Nebeneinander nimmt ein schnelles Ende, wenn sich die Umweltfaktoren ändern. Einen möglichen Mechanismus hat die Forschergruppe um Markus Kalla und Anne Schmeinck an der Universität München identifiziert: Das virale Eiweiß BZLF1 scheint eine entscheidende Rolle zu spielen – es kontrolliert den Ruhezustand sowie den Vermehrungszyklus, indem es verschiedene Gene des EBV aktivieren oder inaktivieren kann.
Zelltod – nein danke
Für die Entstehung von Krebs wird hingegen ein bestimmtes virales Eiweiß, das Latent Membrane Proteine 1 (LMP1) benötigt. Zusammen mit dem körpereigenen Signalfaktor TRADD kommt es zur Umwandlung von normalen Zellen in entartete. Dabei wird TRADD von den Viren kurzerhand umgepolt: Das Signalmolekül steuert normalerweise den Zelltod, was dem Virus nicht gelegen käme. Durch den Komplex von LMP1 und TRADD wird diese Funktion inaktiviert, und die Zelle potenziell unsterblich. Auch ein spezielles Gen, EBNA-3A genannt, scheint Einfluss auf die Steuerung von Prozessen wie dem Zellzyklus oder dem programmierten Zelltod zu haben.
Risiko Immunsuppression
Wird bei Patienten das Immunsystem unterdrückt, etwa im Zuge einer Organ- bzw. Stammzelltransplantation, so kann das ungeahnte Folgen haben: Eigene T-Zellen fehlen, um das EBV zu kontrollieren. Eine Reaktivierung des viralen Schläfers oder eine Neuinfektion führt schnell zu Post-Transplantations-Lymphom-Erkrankungen (PTLD). Deren Bandbreite reicht von gutartigen Vermehrungen von Immunzellen bis hin zu malignen Lymphomen.
Falls möglich, versuchen die behandelnden Ärzte dann, die Dosierung der Immunsuppressiva zu verringern. Bei soliden Tumoren greift man auf die Chemo- und Strahlentherapie zurück. Eine weitere therapeutische Option sind EBV-spezifische T-Zellen, die in zeitraubender Arbeit aus EBV-infizierten Blutzellen gewonnen wurden – zu lange für die Behandlung akut Erkrankter. Münchener Forscher haben ein neues Verfahren unter Einsatz synthetischer Peptide entwickelt: Bereits nach maximal zwei Tagen stehen damit virusspezifische T-Zellen zur Therapie zur Verfügung.
Schuldig: Trojaner im Gehirn lösen MS aus
In den letzten Jahren häuften sich Anhaltspunkte, dass EBV an Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose oder dem Lymphdrüsenkrebs Morbus Hodgkin beteiligt ist. Bis heute sind die Mechanismen dieser Erkrankung noch nicht ganz verstanden. Eine Arbeitsgruppe um Francesca Aloisi vom Istituto di Sanità, Rom, hat in den Hirnläsionen von MS-Patienten Immunzellen nachgewiesen, die mit EBV infiziert waren. Über „trojanische Pferde“, die B-Lymphozyten, gelangen EBV dabei in das Zentralnervensystem. Im Gehirn werden diese Zellen dann Ziel eines massiven Immunangriffs. Letztlich führt diese Entzündung zum Untergang des Hirngewebes.
Freispruch: EBV nicht an Brustkrebs und Gehirntumoren beteiligt
Auch über die Beteiligung von EBV an Brustkrebserkrankungen wurde viel spekuliert. Ein Anhaltspunkt schien die Veränderung des Ansprechens von entarteten Zellen auf Chemotherapien zu sein. Allerdings konnte Prof. Gerald Niedobitek vor mehren Jahren an der Universität Erlangen zeigen, dass in Tumorzellen der Brust keine EBV nachweisbar sind.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen bereits im Jahr 2006 Wissenschaftler um Sabine Poltermann vom Deutschen Krebsforschungszentrum bei der Untersuchung von Gehirntumoren. Sie nahmen Gewebeproben von rund 700 Patienten unter die Lupe, ohne Anzeichen einer viralen Infektion der Krebszellen zu finden.
Falsch positive Befunde älterer Studien waren wohl auf diagnostische Antikörper zurückzuführen, die möglicherweise nicht mit dem Virus, sondern mit zellulären Antigenen reagierten. Auch eine Verunreinigung der Gewebeproben mit EBV-positiven Zellen des Blutes wird diskutiert. In den neueren Arbeiten kommen neben der immunologischen Diagnostik auch molekularbiologische Methoden zum Einsatz, etwa die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zur Vermehrung des viralen Erbguts.
Wohin die Forschung geht
Von einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen erhoffen sich Forscher weltweit neue Therapien. Mögliche Zielstrukturen für Arzneimittel stellen etwa die regulativen microRNAs dar. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu klären, warum bei einer EBV-Durchseuchung von über 90 Prozent trotzdem vergleichsweise wenige Menschen erkranken.