Alle Jahre fliegen sie - die Pollen. Jeder fünfte Deutsche leidet dann. Allgemeinmaßnahmen, symptomatische Behandlung und spezifische Immuntherapie können helfen. Und das ist auch nötig. Denn Heuschnupfen ist keine Bagatellerkrankung - eine Übersicht.
Rund 20 Millionen Deutsche sollen von Allergien betroffen sein – Tendenz steigend – unter anderem als Folge des Klimawandels und der Umweltverschmutzung. „Wir beobachten Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Pollenflug und dem Auftreten von Allergien", sagt etwa Professor Karl-Christian Bergmann, Vorsitzender der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
Jeder Heuschnupfen-Geplagte kennt die empfohlenen Allgemeinmaßnahmen:
Bekannter Standard ist auch die symptomatische Therapie mit cortisonhaltigen Nasensprays und modernen Antihistaminika. Bei Hinweisen auf einen „Etagenwechsel“ hin zu einem Asthma sind antientzündliche Medikamente erforderlich. Seit einiger Zeit im Gespräch sind Leukotrienantagonisten. Aufgrund einer Metaanalyse von 2006 kamen die Autoren jedoch zu der Schlussfolgerung, dass bei Heuschnupfen eine Monotherapie mit Leukotrienantagonisten zwar ebenso wirksam ist wie mit oralen Antihistaminika, aber nicht so gut wie intranasale Steroide. Nach Einschätzung der Autoren eines neuen HTA-Berichts ist gegenwärtig eine endgültige Bewertung der Therapie mit Leukotrienantagonisten in der Monotherapie und in Kombination mit Antihistaminika aber noch nicht möglich.
Gute Erfahrungen mit Nadel, Globuli und EPD
Einige Ärzte berichten über positive Erfahrungen mit der Akupunktur. Die wissenschaftlichen Daten hierzu seien allerdings nicht eindeutig, erklärt ein Forscherteam um Professor Edzard Ernst von der Universität von Exeter. Auch zur Homöopathie gibt es teilweise gute Erfahrungen. „Homöopathische Arzneien, meistens Globuli, sind eine gute Methode, um Heuschnupfen entgegenzuwirken", sagt zum Beispiel Mirko Berger, Allgemeinmediziner in Hamburg.
Eine erfolgreiche Therapie sei die „Enzym-Potenzierte Desensibilisierung“ (EPD), erklärt der Münchener Arzt für Naturheilverfahren Dr. Michael Hess. Die Methode werde seit gut 20 Jahren in England, seit 10 Jahren in zunehmendem Maße auch in den Vereinigten Staaten angeboten. Die EPD ist eine Immuntherapie, bei der eine extrem hohe Verdünnung von Allergengemischen (0,0000001 bis 0,0000000000001 g) in Kombination mit einem körpereigenem Enzym, der Beta-Glucuronidase, verwendet wird. Der Wirkmechanismus der EPD ist laut Hess noch nicht vollständig geklärt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit induziere die EPD die Produktion von aktivierten T-Suppressorzellen. Nach Ergebnissen der „North American EPD-Study" geben 60 – 80 Prozent der Patienten (je nach Allergie/Intoleranz) eine Verbesserung ihrer Symptome von über 50 Prozent bis hin zur Beschwerdefreiheit an. Weitere 15 Prozent erreichten eine Verbesserung ihrer Symptomatik von 25 bis zu 50 Prozent.
Ab auf den Bauernhof?
Viele Wissenschaftler sehen alternative Methoden allerdings mit einiger Skepsis an. So sagt etwa Dr. Gundi Willer von der Hochgebirgsklinik in Davos: „Für keine der alternativmedizinischen Methoden ist eine diagnostische Aussagekraft (z.B. Bioresonanz, zytotoxologischer Lebensmitteltest, Elektroakupunktur, Haaranalyse) oder eine signifikante therapeutische Wirkung (z.B. Bioresonanz, Akupunktur, Homöopathie, Eigenbluttherapie) wissenschaftlich erwiesen.“ Schon eher Konsens gibt es dazu, dass eine Exposition gegenüber Krankheitserregern während der frühen Kindheit vor der Entwicklung von Allergien wie Heuschnupfen schützen kann. Als entscheidend gilt dabei die Exposition als solche, nicht aber der Ort der Exposition (ländliche Umgebung, Bauernhof). Einen geringen präventiven Nutzen soll die Ernährung im frühen Kindesalter haben, wie Autoren in einer aktuellen Studie aus den Niederlanden berichten.
Ein kausaler Ansatz: die spezifische Immuntherapie
Was therapeutisch als unstreitig gesichert gilt, ist die spezifische Immuntherapie (SIT). Sie ist auch die einzig verfügbare kausale Therapie. Professor Hans Merk, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA): „Wir wissen, dass der therapeutische Effekt vor allem bei der klassischen subkutanen Immuntherapie über den Behandlungszeitraum hinaus anhält und das Asthma-Risiko verringert". Eine SIT lohne sich auch bei über 50 Jahre alten Patienten. „Die SIT kann bei allergischer Rhinitis gegen saisonale Pollen helfen, Symptomatik und Medikamentenverbrauch zu vermindern.“ Zu diesem Fazit sind auch die Autoren des vom DIMDI veröffentlichten HTA-Berichts (Health Technology Assessment) gekommen, in dem ausgewählte SIT-Varianten betrachtet werden. Allerdings sehen die Autoren für die vielen verschiedenen Behandlungsformen und die Kosteneffektivität noch enormen Forschungsbedarf.
HTA-Bericht: mangelhafte Datenlage zur SLIT
Für den Bericht werteten die Autoren vor allem Arbeiten zur subkutanen und sublingualen Therapie aus. Die Wirksamkeit der SIT sehen die Autoren bei Gräserpollen als belegt an. Auch bei anderen saisonalen Allergenen wie Baumpollen könnten beide Therapieformen helfen. Aufgrund der mangelhaften Datenlage betrachten die Autoren hier jedoch vor allem die sublinguale Variante nur mit Zurückhaltung. Insgesamt sei die Wirksamkeit der SIT mit der vorhandenen Literatur nicht für alle Therapieformen und Allergene zu beurteilen. Forschungsbedarf sehen die Autoren vor allem zur Nichtgräserpollen-assoziierten SIT. Zu prüfen sei zudem, ob die Therapie bei der Vorbeugung von Asthma helfen könne. Auch für die Kostenwirksamkeit der SIT fehlten entsprechende Nachweise.
Immerhin befinden sich, sagt Professor Ludger Klimek, derzeit viele Ansätze zur Weiterentwicklung der SIT in Erprobung, um Nebenwirkungsraten zu senken und Compliance zu erhöhen. Die Entwicklung depigmentierter und polymerisierter Allergoide habe dazu beigetragen, die Sicherheit der subcutanen Immuntherapie (SCIT) bei guter Wirksamkeit zu erhöhen, erklärt der Experte vom Zentrum für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden. Damit würden auch eine schnellere Dosissteigerung und eine präsaisonale Kurzzeit-SCIT möglich – was die Bereitschaft von Patienten für eine SIT verbessere.
Enorme Kosten, enormer Forschungsbedarf
Weitere Forschung gilt als erforderlich, denn allein die Behandlungskosten seien enorm, betont GA2LEN, ein europaweites Netzwerk von Allergie-Experten, Forschungszentren und Patientenverbänden. In einem 2009 publizierten Positionspapier von GA2LEN (Global Allergy and Asthma European Network) heißt es: „Die direkten Kosten für das Gesundheitssystem sind abhängig von dem Krankheitsstadium. So kostet die Behandlung einer allergischen Rhinitis im Durchschnitt meist weniger als 30–50 Cent pro Tag. Dagegen schlägt die tägliche Behandlung von schwerem allergischem Asthma bronchiale mit über 30 Euro/Tag zu Buche...Trotzdem gilt die allergische Rhinitis in vielen EU-Staaten nicht als eine schwere Krankheit...Weniger als die Hälfte aller Patienten mit einer allergischen Rhinitis werden korrekt diagnostiziert und behandelt – mit erheblichen indirekten Kosten: Vergleichbar mit einer gewöhnlichen Erkältung beeinträchtigt eine unbehandelte allergische Rhinitis die mentale Leistungs- und Lernfähigkeit um bis zu 30 Prozent...Jüngste Schätzungen rechnen allein durch verlorene Arbeitszeit für die europäische Industrie mit einem Verlust von rund 100 Milliarden Euro jährlich. Im Durchschnitt könnten tägliche Behandlungskosten von 50 Cent helfen, tägliche Kosten von über 50 Euro aufgrund von Arbeitszeitverlusten einzusparen.“ Angesichts solcher Zahlen sollte von einer Bagatelle tatsächlich nicht gesprochen werden.