Nur selten wissen Ärzte vorab, welche neuen Wirkstoffe in den Pipelines der Pharmaforschung wirklich Erfolg versprechen. Eine aktuelle Publikation im Internet Journal of Pharmacology nimmt jetzt Diabetes Typ 2 unter die Lupe, und stellt die einige Wirkstoffklassen-Highlights vor.
Die Beobachtung von Zugvögeln zählt normalerweise nicht zum Arbeitsgebiet klinischer Pharmakologen. Doch die Erkenntnis, dass die gefiederten Lebewesen über eine saisonale Insulinresistenz verfügen, ließ Wissenschaftler einen altbekannten Parkinson-Wirkstoff neu entdecken: Bromcriptin, berichten jetzt die Professoren Rajiv Mahajan und Kapil Gupta vom indischen Adesh Institute of Medical Sciences & Research in Punjab, gehört seit geraumer Zeit zu den Hoffnungsträgern im Kampf gegen Diabetes Typ 2.
Bereits am 5. Mai vergangenen Jahres erteilte die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA die Zulassung des Mittels nach den neuen, strengeren Kriterien der Behörde. Danach müssen Hersteller durch klinische Studien nachweisen, dass kardiovaskuläre Risiken als unerwünschter Nebeneffekt ausgeschlossen werden können. Noch ist der Wirkstoff Bromocriptin hierzulande lediglich als Arzneistoff für die Therapie der Parkinson-Therapie bekannt. Denn die Substanz wirkt als Dopamin-D2-Agonist, indem sie Dopamin-D2-Rezeptoren im Zentralnervensystem stimuliert. Genau das aber, schreiben nun Mahajan und Gupta im Internet Journal of Pharmacology, lässt das Parkinson-Präparat zum wohl interessantesten Bestandteil der globalen Anti-Diabetes-Pipe avancieren.
Der Grund liegt nämlich in der Effektivität des Wirkstoffs. Schon die Verabreichung einer einzigen Dosis von nur 0,8 Milligramm am frühen Morgen setze offensichtlich im Gehirn des Patienten einen Prozess in Gang, den Stoffwechselforscher bei Zugvögeln ebenfalls beobachten – wenn auch im Zeitraffer. Über einen komplizierten biochemischen Regelkreis vermag Bromcriptin die zirkadiane neuronale Aktivität des Hypothalamus zu beeinflussen, so dass letztlich weniger Triglyzeride und niedrigere Plasma-Glukosewerte auf der Agenda des Organimus stehen. „Das ist die erste Art einer chronotherapeutischen Diabetes Typ 2 Behandlung“, erklären die Inder den Neuigkeitswert der Zugvogel-Substanz.
Als durchaus umstritten, aber noch lange nicht abgehakt gilt die zweite Wirkstoffklasse der Pipeline: Die sogenannten Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) zählen zu Inkretinen und erhöhen nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten die Insulin-Produktion der Beta-Zellen im Pankreas. Während im Dünndarm hergestelltes, natürlich vorkommendes GLP-1 vom Körper schnell abgebaut wird, können die GLP-1-Analogen im Körper länger wirken. Die synthetischen Wirkstoffe Exenatid und Liraglutid werden einmal täglich subkutan injiziert. Exenatid erhielt die US-Zulassung in 2005, für Liraglutid kam 2009 zunächst ein Rückschlag: Der Wirkstoff geriet in die Schlagzeilen, als die FDA die Substanz in Zusammenhang mit einem möglichen höheren Tumorrisiko nannte. 2010 wurde nach der bereits erfolgten Zulassung in Europa aber auch die US-Marktzulassung durch die FDA bekannt gegeben. Als interessant erscheint auch Albiglutide. Denn bereits eine einzige Injektion des GLP-1 Analogen pro Woche könnte Mahajan zufolge reichen, um die Blutzuckerwerte des Patienten zu kontrollieren.
In der Forschungspipeline befinden sich auch Saxagliptin, Linagliptin und Alogliptin, allesamt Vertreter der bereits auf dem Markt befindlichen Klasse der DPP-4 Hemmer und somit Nummer drei der globalen Super-Pipe. Diese Substanzen verlangsamen den Abbau des natürlich vorkommenden GLP-1 im Organismus und erhöhen auf diese Weise seine Verfügbarkeit. SGLT2-Inhibitoren wie Dapagliflozin oder Sergliflozin gehören laut IJP ebenfalls zu den kommenden Medikamenten gegen Diabetes Typ 2 und stellen die vierte Säule der Newcomer.
Leuchtende Zukunft, bescheidene Gegenwart?
Doch kommt es tatsächlich so schnell zum neuen Wirkstoffboom? Und werden Apotheken so bald den Umsatzschub verspüren? Die Antwort auf diese Fragen lautet „ja, aber....“. Denn wer einen genauen Blick auf die Pipeline wirft, wird die Tücken erkennen: Nahezu alle Wirkstoffe sind zweifelsohne Shooting Stars des neuen Millenniums – doch bereits seit Mitte des laufenden Jahrzehntes im Gespräch oder in Zulassungsverfahren involviert.
Dass beispielsweise einige GLP-1 Medikamente beispielsweise am Markt existieren, andere hingegen noch nicht, zeigt auch: Nach wie vor müssen die Hersteller mit teils massiven Nebenwirkungen der Hoffnungsträger kämpfen. Was für GLP-1 und DPP4-Hemmer gilt, hat auch für PPAR-Agonisten, der Nummer fünf der großen Hit-Liste, Gültigkeit. „Muraglitazar, Tesaglitazar und Ragaglitazar wurden in Verbindung mit einer Diskussion über mögliche kardiovaskuläre und kanzerogene Eigenschaften gebracht“, beschreiben die Autoren in der aktuellen Ausgabe des IJP das generelle Dilemma.
Trotzdem, so das Fazit beider Wissenschaftler, könnten die Wirkstoffe Diabetikern auf Dauer neue Therapieansätze ermöglichen. Die Inder empfehlen jedoch, anders als ihre europäischen Kollegen, neben Forschung allein auch ein altbewährtes, weiteres Erfolgsrezept der Pharmazie: „Daumen drücken.“