Fehler bei der Diagnose sind häufiger als im OP. Ist in der Sprechstunde wenig Zeit, werden bei der Anamnese Fragen vergessen oder Akten unvollständig geführt. Die digitale Unterstützung will das zukünftig ändern, liegt aber noch in der Entwicklerschublade.
Sie sollten eigentlich etwas Neues entwickeln und sind doch heillos zerstritten. Eine Pressemeldung von der IT-Medizinmesse Conhit verkündete vor einigen Tagen, dass die Zuständigkeiten der elektronischen Gesundheitskarte völlig neu geregelt werden sollen. Die Ärzteschaft übernähme dabei die Verantwortung für medizinische Fragen, die Kostenträger sollen sich ausschließlich um die administrativen Daten kümmern.
So schnell wird also aus der engen Zusammenarbeit von Ärzten, Krankenkassen und Apotheken per Daten-Sharing wohl nichts werden. Dabei hätte die Zusammenarbeit von Ärzten per vernetzter EDV durchaus seinen Charme.
eAnamnese-Konzept in der KVB-Schublade
Schon seit längerem hat etwa die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KBV) ein Konzept für eine elektronische Anamnese (eAnamnese) in der Schublade, das auf die Umsetzung in die Praxis wartet. Auf einer Ärztetagung („Zuhören zahlt sich aus“, DocCheck berichtete darüber) stellte Sonja Froschauer, Leiterin der Stabsstelle fachärztliche Strategie und Versorgung, ihr Konzept vor. Mit Rechner-Unterstützung will es den Arzt durch die Patientenbefragung führen. Punkte wie Vorsorgestatus, frühere und aktuelle Erkrankungen, Notfallversorgung oder psychische Symptome brauchten dann einmal aufgenommen und bei der Weiterbehandlung durch Spezialisten nur mehr ergänzt werden.
Statistiken belegen die Notwendigkeit der Reform von Notizen in der Patientenakte. Entsprechend KVB-Dokumenten erhält jeder 30. Marcumar-Patient auch kontraindizierte ASS. Interessant dabei: knapp die Hälfte dieser Patienten werden von mehr als einem Arzt betreut. Auch in Kliniken sind Anamnesebefunde nur rund zu Hälfte digitalisiert. Fehler bei der Diagnostik sind in den Vereinigten Staaten häufiger als solche im OP. Die Vorstellungen einer elektronisch geführten Anamnese gehen daher weit über die Sammlung von Patientendaten hinaus. Bei der eAnmnese der Zukunft sollte das System auf Risiken hinweisen, ohne den Arzt zu bevormunden.
Platz für Freitext statt Multple-Choice-Sammlung
Neben der Kassenärztlichen Vereinigung hat sich auch Paul Schmücker von der Hochschule Mannheim Gedanken gemacht, wie eine solche eAnamnese aussehen könnte. Der behandelnde Arzt soll sich nicht erst durch einen Datenwust kämpfen müssen, um auf die Informationen zu stoßen, die für ihn wichtig sind. Deswegen muss die Dokumentation sehr strukturiert sein und gleichzeitig flexibel, um den Ansprüchen verschiedener Fachrichtungen entgegenzukommen.
Im Schmücker‘schen Modell sieht der weiterbehandelnde Facharzt eine Übersicht aller bis dahin vorhandenen Teilanamnesen, einen Zugriff erhält er jedoch nur zu den Befunden seines Fachgebiets. Keinesfalls sollte der Erfassungsbogen am Computer eine Ansammlung von Multiple-Choice Fragen mit den entsprechenden Kästchen sein, sondern Platz für Freitext haben. Tabellen sollen genauso wie Skizzen von Körper und Organen zum Markieren nach den Wünschen der Entwickler dabei Platz finden.
Dokumentation ärztlicher Entscheidungen
Viel Platz für Individualität und gleichzeitig standardisiert, um Daten weiterverwerten zu können. Damit stimmen die Vorstellungen von Schmücker in großen Teilen mit den Wünschen von Gordon Schiff und Davis Bates von der amerikanischen Harvard Medical School an die elektronisch unterstützte Anamnese überein, die sie vor einigen Wochen im New England Journal of Medicine veröffentlichten.
Deutlich wird in ihrem Artikel auch, was die computergeführte Anamnese ganz sicher nicht sein darf: Ein Arbeitsanleitung á la Diagnose-Meisterdetektiv. Entsprechend dem Stand der Technik könnte man jedoch entsprechende Informationsquellen zu bestimmten Symptomen direkt verlinken oder symbolische rote Warnlichter bei kritischen Befunden einblenden. Auf dem Weg zur sicheren Differentialdiagnose könnte die Online-Verbindung zu entsprechenden Datenbanken den Arzt unterstützen. Eine solche Patientenakte wäre entsprechend den beiden Autoren des Artikels im New England Journal eine Dokumentation ärztlicher Entscheidungen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit des Patienten. Damit ließen sich auch Schlüsse auf ähnliche Fälle ziehen.
Elektronische Fallakte im Praxisbetrieb
Und wieweit haben es diese Vorstellungen inzwischen in die Praxis geschafft? Vor einigen Jahren haben sich die Klinikbetreiber Asklepios, Rhön-Klinikum und Sana mit der deutschen Krankenhaus-Gesellschaft sowie dem Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) zusammengeschlossen und die elektronische Fallakte entwickelt. Inzwischen sind etwa ein Dutzend weitere Partner an Bord und haben zahlreiche Pilotprojekte für die Kommunikation in den Einrichtungen und nach außen zu niedergelassenen Ärzten gestartet. Die Fallakte bezieht sich jedoch ausschließlich auf den aktuellen Behandlungsfall. Jeder behandelnde Arzt, Pfleger oder Therapeut hat damit nur soviel Einblick in die Geschichte seines Patienten, wie für ihn notwendig ist.
Herausforderungen an den Datenschutz sind es auch, die dem Konzept der bayrischen KBV bisher den Weg in die Praxis versperrt haben. Für die Entwicklung eines eAnamnese-Prototypen sucht auch Paul Schmücker noch fähige Mitarbeiter. Sie sollen mithelfen, dass der Computer den Arzt beim Patientengespräch unterstützt, ihn aber nicht an Monitor und Keyboard fesselt.