Die Experten haben gesprochen: Tramadol und Co sollen auch künftig ohne BtM-Rezept rausgehen dürfen. Eine gute Nachricht, vorerst zumindest. Spannender ist, dass vielleicht demnächst Medikamente aus Cannabis-Extrakt in den Apotheken aufschlagen.
Als die Linke und die Grünen vor anderthalb Jahren fast gleichlautende Anträge in den Deutschen Bundestag eingebracht hatten, wonach der Gebrauch von Cannabis bei medizinischer Begründung straffrei gestellt werden sollte, war die Ablehnung der übrigen Parteien einhellig. Zu hohes Suchtpotenzial, kein nachgewiesener Nutzen, das waren die Argumente, mit denen die Anträge abgeschmettert wurden. Nun wird sich die deutsche Politik wohl noch einmal mit dem Thema Cannabis im medizinischen Kontext auseinandersetzen müssen.
Sachverständigenausschuss startet das Joint-Venture
Zwar wird wohl auch künftig kein privater Cannabisanbau zu medizinischen Zwecken in Deutschland gestattet sein. Aber Cannabis-Extrakt als Fertigarzneimittel, das von Ärzten dann per BtM-Rezept verordnet werden kann, das könnte demnächst tatsächlich auf die Apotheken in Deutschland zukommen. Denn der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel hat in seiner Mai-Sitzung empfohlen, Cannabis-Extrakt als Bestandteil von Fertigarzneimitteln in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes aufzunehmen. Damit könnte es dann, entsprechende Zulassungen vorausgesetzt, genauso wie andere Betäubungsmittel bei passender Indikation in den Verkehr gebracht werden. Bisher gab es das nicht, beziehungsweise nur bei einigen handverlesenen Ausnahmepatienten. Wer in Deutschland bei chronischen Schmerzzuständen oder beispielsweise bei Multipler Sklerose THC einsetzen wollte, musste auf das synthetische Dronabinol zurückgreifen. Das hatte Nachteile. Zum einen kostet eine Therapie mit Dronabinol mehrere hundert Euro im Monat, die von den Patienten meist selbst aufgebracht werden müssen. Schon aus Kostengründen ist das wesentlich günstigere Cannabis-Extrakt deswegen für viele ausgesprochen attraktiv. Zum anderen gab es immer wieder Stimmen, die behaupteten, es gebe Konstellationen, in denen Cannabis-Extrakt wegen der darin über THC hinaus enthaltenen Wirkstoffe effektiver sei als die THC-Monokultur Dronabinol.
Diese Stimmen scheinen sich jetzt Gehör verschafft zu haben. Zumindest der beim BfArM angesiedelte Sachverständigenausschuss wurde überzeugt. Bevor Cannabis-Präparate tatsächlich in der Apotheke ankommen, muss der Deutsche Bundestag jetzt allerdings das BtM-Gesetz ändern. Das freilich dürfte keine unüberwindbare Hürde sein: Die Ausschuss-Empfehlungen werden kaum je nicht umgesetzt. Bis zur endgültigen Zulassung eines Fertigarzneimittels mit Cannabis-Extrakt wird es dann vermutlich nicht mehr lange dauern: Denn in anderen Ländern laufen bereits entsprechende Zulassungsverfahren, an die sich die deutschen Behörden zwanglos dranhängen können.
Baby-Opioide behalten ihren Baby-Status
Keine neuen gesetzgeberischen Aktivitäten erforderlich werden bei den niedrigpotenten Opioiden Tramadol und Tilidin. Tramadol (Tramal) unterliegt bisher nicht dem Betäubungsmittelrecht. Und auch Tilidin bleibt zumindest in Kombination mit Naloxon (Valoron) außerhalb des Btm-Sektors. Im Vorfeld der Ausschusssitzung hatte es Spekulationen gegeben, wonach die Zeit der „Baby-Opioide“ in Deutschland dem Ende zugehen könnte. Lediglich bestimmte Retardformulierungen sollten noch BtM-frei bleiben. Der Grund war, dass viele Experten von einem erheblichen Missbrauch dieser Schmerzmittel bei älteren Menschen ausgehen – inklusive aller damit verbundenen Probleme wie etwa einer Zunahme der Sturzneigung bei versehentlicher oder auch absichtlicher Übermedikation.
Auf der anderen Seite freilich stand die Frage der Alltagstauglichkeit von Gremienbeschlüssen. Wenn Tramadol und Tilidin von jetzt auf gleich im BtM—Nirvana verschwänden, dann würde die ambulante Schmerztherapie für Ärzte wie auch Apotheker in jedem Fall um Einiges umständlicher. Wer letztlich die Oberhand behält, die Schutzengel oder die Praktiker, das ist auch nach der Mai-Sitzung des Sachverständigenausschusses noch nicht endgültig geklärt. Denn bei der nächsten Sitzung des Ausschusses Ende des Jahres kommt das Thema „Baby-Opioide“ nochmal auf die Tagesordnung.