Stella famuliert in einem Landkrankenhaus in Benin. Welche Krankheiten sie dort erwarten und welche Rolle Voudou bei der Behandlung spielt, erfahrt ihr im zweiten Teil ihres Westafrika-Berichts:
Nach meiner vierwöchigen Famulatur im "Hopital pour la Mère et l’Enfant Lagune" (HOMEL) in Benins Hauptstadt Cotonou - von der ich letzte Woche berichtet habe - wollte ich gerne noch ein ländliches Krankenhaus in Westafrika kennenlernen. So verschlug es mich für weitere zwei Wochen ins CSAK, das "Centre de Santé Adolph Kolping" im kleinen Dorf Agbanto. Das medizinische Zentrum wurde vor 13 Jahren mit Hilfe einer deutschen Familie gegründet und bietet seitdem die einzige Möglichkeit für medizinische Grundversorgung für Menschen aus der Region. Es gibt 15 Mitarbeiter, darunter einen Allgemeinmediziner, einen Radiologen und zwei Hebammen, sowie eine kleine radiologische Station mit Röntgengerät und Ultraschall. Während meiner kurzen Zeit hier konnte ich nicht nur viel „Arzt spielen“, ich kam auch mit ganz neuen Krankheitsbildern und Problemen bei der medizinischen Versorgung in Berührung:
Ein Krankenhaus für alle(s)
Das Spektrum im CSAK war - wie zu erwarten - breit: Alkoholvergiftungen, STDs, Motorrad- und Autounfälle und vor allem natürlich die medizinische Geißel Nummer eins in weiten Teilen Afrikas: Malaria. Medizinisch gesehen am beeindruckendsten fand ich einerseits, einmal "live" Patienten mit Syphilis und den klassischen Zeichen wie Ulcus durum und Gummen zu sehen - die Realitätstreue der Bilder in den gängigen Lehrbüchern kann ich nun bestätigen. Andererseits blieb mir ein Patient mit ulzerierendem Fuß besonders im Gedächtnis - zunächst dachte ich an ein Diabetisches Fußsyndrom. Als mir der Pfleger jedoch erklärte, dass das ein Ulcère de Buruli (Buruli-Ulkus, auch Ulcus tropicum) sei, war ich ganz froh, die Wunde noch nicht untersucht zu haben. Diese vom Mycobacterium ulcerans verursachte Infektion von Haut und Weichteilen verursacht schnell großflächige Geschwüre und ist ein naher Verwandter der Lepra, dessen Übertragungsmechanismen noch nicht hinreichend geklärt sind. Da die Erkrankung in Benin recht verbreitet ist, gibt es aber sogar zwei spezielle Behandlungszentren, wohin wir den älteren Mann sofort überwiesen.
Um die Beniner - auch im medizinischen Sinne - zu verstehen, muss man folgendes wissen: Westafrika ist die Wiege des Voudou, der Glaube an Naturreligionen ist sehr weit verbreitet. Obwohl der Großteil der Beniner Bevölkerung sich offiziell zum christlichen Glauben bekennt, praktiziert die Mehrheit zusätzlich die Zeremonien des Voudou-Kults. Voudou bedeutet auf der einheimischen Sprache Fon "Geist" oder "Gottheit" und die gibt es nicht zu kapp: Mami Wata - die Göttin des Meeres; Ogun - der Gott des Eisens; Sakpata - der Gott der Krankheiten, Légba - der Gott der Fruchtbarkeit und der "Kontaktmann" zu anderen Göttern... Lieber zu viel glauben als zu wenig, ist hier das Motto - denn man weiß ja nie! An jeder Ecke findet man so genannte Fetische: unheimlich anmutende Steinfiguren, beschmiert mit Asche, Palmöl und Tierblut. Voodoo-Priester weihen auch für "Yovos" (Weiße) für eine horrende Summe ein ganz persönliches "Grigri" (Schutzamulett). Ich habe mich von alldem lieber mal fern gehalten - man weiß ja nie!
Voudou im Krankenhaus
Doch im Krankenhaus kommt man tagtäglich und unweigerlich mit dem starken Glauben an Voudou, Hexerei und Naturheilkräfte in Berührung. Ein Beispiel in Zahlen: 50% der Menschen hier führen die Symptome der Malaria auf Hexerei, Voudou oder sonstige äußere Einwirkungen zurück. Oft sind diese Patienten nicht von den medizinischen Tatsachen zu überzeugen. Nicht nur einmal musste ich zusehen, wie Eltern ihr aufgrund einer Malariainfektion stark anämisches Kind (mit einem Hb von gerade noch 5 g/dl oder weniger) mitten unter der lebensnotwenigen Behandlung wieder mit nach Hause nahmen, weil sie überzeugt waren, es sei verhext und die Schulmedizin helfe ohnehin nicht.
Eine ganz andere Problematik präsentierte sich mir allerdings bei einer Patientin, die wir wegen schwerem Durchfall und Erbrechen in eines der zehn Stationsbetten aufgenommen hatten. Ob sie nun endlich Medizin bekäme, fragte sie mich. Ich kontrollierte die Infusion - Doxy tropfte langsam vor sich hin. "Sie bekommen doch Medizin, Madame", versicherte ich der Frau, aber damit gab sie sich nicht zufrieden. "Da ist doch nur Wasser drin", sagte Sie, auf die Infusion zeigend - da ging mir ein Licht auf. Medizin muss nämlich bunt sein, je bunter desto besser (die knallgelbe Chinin-Infusion machte besagte Patientin letztendlich glücklich) und je größer die Tablette umso wirksamer. Auch hier galt also, lieber zu viel als zu wenig.
Allerdings gibt es neben diesen Problemen übersinnlicher Natur auch ganz weltliche Faktoren, die die medizinische Versorgung erschweren: Viele Leute haben gar nicht erst das Geld, um eine Untersuchung, geschweige denn eine Behandlung bezahlen zu können, eine Krankenversicherung gibt es nicht. Wenn diese Patienten hören, wie viel ein Test oder eine Therapie kosten soll (und das ist dort meist nicht viel), verschwinden sie und kommen nicht wieder. Immer wieder konnte ich nur erahnen, was für ein hohes Frustrationspotential man als Arzt dort braucht. Das Krankenhaus übernimmt in vielen Fällen die Kosten für Diagnostik und Medikamente. Da wundert es einen nicht, dass das Gehalt manchmal erst Wochen nach dem Zahltag kommt. Die trotzdem immer spürbare extreme Motivation und Engagiertheit der Mitarbeiter des CSAK hat mich Tag für Tag wieder beeindruckt.
Eine Kombination all dieser komplizierenden Faktoren der Versorgung erklärt die niedrige Lebenserwartung von 55 Jahren (vgl. Deutschland: 82 Jahre) und die Kindersterblichkeit von nach wie vor 10% (vgl. Deutschland: 0,4 %). Wie ich schon in meinem Bericht über HOMEL schrieb, erlebte ich in Benin eine interessante, schöne, schreckliche, schockierende, lehrreiche frustrierende und spannende Zeit. Am meisten beeindruckt und beschäftigt haben mich allerdings zwei Dinge: einerseits der Wille und Elan der Menschen dort, etwas zu ändern, und andererseits der Fakt, dass leider manche Dinge einfach (sei es finanziell-, material- oder personalbedingt) nicht machbar sind, so sehr man es sich auch wünscht. Da hilft auch keine Hexerei!
Travel-Paket Westafrika
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Unbedingt mitnehmen
Fürs Krankenhaus
Literatur