Können Frauen mit Brustkrebs im Falle einer Schwangerschaft schnell mit Chemotherapie behandelt, eine Gefährdung des Ungeborenen also ausgeschlossen werden? Eine auf der European Breast Cancer Conference vorgestellte Studie eröffnet neue Perspektiven.
In Barcelona offenbarte die an der Frankfurter Uniklinik lehrenden Medizinprofessorin und Gynäkologin Sibylle Loibl einem erstaunten Fachpublikum Neuartiges aus der Krebsheilkunde. Schwangere Frauen mit Brustkrebs, so die zentrale Aussage, dürfen entgegen der gängigen Onkologenmeinung durchaus mit den üblichen Chemotherapiestandards behandelt werden – dem ungeborenen Nachwuchs schade die chemische Keule nicht.
Tatsächlich ist das, was Loibl behauptet, wegweisend. Loibl, die Mitglied der German Breast Group (GBG), einer Forschungseinrichtung zur Planung, Organisation und Durchführung nationaler und internationaler Studien zur Behandlung von Brustkrebs ist, bezieht sich auf Daten der GBG. Insgesamt 235 zwischen 2003 und Oktober 2009 behandelte Patientinnen lieferten die Datenbasis für die Auswertung der therapeutischen Nebenwirkungen der Chemotherapie. Die Frauen waren im Durchschnitt 33 Jahre alt – und in der 23. Woche schwanger. 91 Patientinnen unterzogen sich dabei gleich zwei Chemotherapiezyklen, um dann, bei erreichen des Geburtstermins, die Kinder zur Welt zu bringen.
Zwar ließen die Auswertungen der Ergebnisse zunächst Übles befürchten. Denn von den 91 Kindern waren mit einem Durchschnittsgewicht von 2636 Gramm praktisch alle etwas leichter als jene Babys, deren Mütter trotz Brustkrebs keine Chemo erhalten hatten. Auch wiesen drei neue Erdenbürger Alopezie auf, ein Kind wiederum kam mit Trisomie 18 zur Welt und verstarb nach einer Woche. Ein Kind erlitt eine nekrotisierende Enterokolitis und starb. Es traten ausserdem je einen Fall von Sepsis bzw. Neutropenie auf und in zwei Fällen Anämie. Doch erst der Blick auf die Chemotherapie-freien Babys zeigte, dass die gesundheitlichen Schäden statistisch betrachtet im Rahmen des Üblichen lagen. So litten Kinder, deren Mütter trotz Brustkrebs auf die lebensverlängernden Substanzen verzichtet hatten, an Gastroenteritis oder zu hohen CRP-Werten (C-reaktives Protein). „Die Probleme lassen sich nicht auf die vorausgegangene Chemotherapie der Mütter zurückführen“, ließ Loibl die Fachwelt in Barcelona wissen, denn die Rate der natürlich auftretenden Komplikationen liege ohnehin zwischen einem und zwei Prozent.
Nur zögerliche Akzeptanz - trotz neuer Daten
Die Aussagen kommen überraschend, nachdem Loibl bereits 2008 anlässlich der 6. Europäischen Brustkrebskonferenz in Berlin auf erste Anzeichen hingewiesen hatte – und damals bis auf wenige Ausnahmen noch weitgehend unbeachtet blieb. Zwar berichteten die Deutsche Krebsgesellschaft und die Ärzte Zeitung kurz über Loibls ersten Aufklärungs-Versuch vor zwei Jahren. Doch das war’s dann auch. Die Universitätsklinik Bonn etwa postuliert nach wie vor die These, wonach Chemo und Schwangerschaft mit Vorsicht zu genießen seien. So heißt es in einer Internetpublikation der anerkannten Universität: „Die Risiken einer Schwangerschaft, nachdem die Frau eine Knochenmarktransplantation und hochdosierte Chemotherapie mit oder ohne Ganzkörperbestrahlung erhalten hat, sind unbekannt, aber sie könnten in einer Frühgeburt und einem geringen Geburtsgewicht bestehen“.
Das Brustzentrum der Uni-Frauenklinik Düsseldorf wiederum erklärte noch auf dem Herbstsymposium 2009, dass eine Chemotherapie bei Schwangeren nach dem ersten Trimenon in Frage kommen sollte. Genau das aber ist nach den neusten Ausführungen in Barcelona womöglich veraltet. Denn die ohnehin nur zögerlich akzeptierte Trimenon-Karenz, zeigen jetzt Loibls aktuellen Daten, ist womöglich Medizingeschichte: Die Konferenz empfahl, die Chemotherapie möglichst zeitnah zu den Therapieplänen der Nichtschwangeren zu starten.