Ab jetzt können Apotheken das Weinregal zum ernsthaften Kundenmagneten küren. Denn erstmals belegt eine Studie im International Journal of Green Pharmacy, dass der Inhaltsstoff Resveratrol bei Patienten mit Diabetes Typ 2 tatsächlich zuckersenkende Wirkung hat. Das Weinregal bliebe ein PR-Gag - den Wirkstoff gibt es auch in Pillenform.
Irgendwie haben es Ärzte und Apotheker schon lange gewusst. Der im Rotwein enthaltene Naturstoff Resveratrol hebt die Resistenz von Tumorzellen gegenüber Krebstherapien auf, zudem dürfte das Polyphenolderivat auch der Grund für das sogenannte "French Paradox" sein: Dort, wo viel Rotwein getrunken wird, treten nachweislich weniger kardiovaskuläre Erkrankungen auf. Dass Resveratrol zahlreiche Krebsarten einschließlich resistenter Tumoren sowohl für Chemotherapie als auch für zytoxische Zytokine empfindlich macht, ist heute landläufig bekannt – doch erst jetzt avanciert die Flasche Rotwein zum Gesundheitsmagnet in der Apotheke, wenn auch aus anderen Gründen.
Denn die indischen Forscher Praharsh K. Shah und Jagruti A. Patel vom Institut für Pharmazie an der Nirma University wollten in der weltweit größten Metastudie herausfinden, ob die Substanz tatsächlich das hält, was die Medizin verspricht. Dazu nahmen sie die globalen medizinischen Online-Datenbanken unter die Lupe: Ob Cochrane Library, PubMed oder die Natural Medicine Comprehensive Database, die Analyse sämtlicher Publikationen über Resveratrol-Studien der vergangenen Jahre sollte einen aktuellen Überblick über die wahre Power des Rotweinwirkstoffs liefern.
Über die biochemischen Wirkungen des Moleküls wussten zwar schon Ulmer Wissenschaftler zu berichten. „Untersuchungen zu den molekularen Wirkungsmechanismen entschlüsseln, dass Resveratrol über transkriptionelle und posttranskriptionelle Vorgänge das Apoptose-hemmende Protein Survivin außer Kraft setzt und damit in Krebszellen die Schwelle zur Auslösung von Apoptose durch eine gleichzeitige Zytostatikagabe senkt“, ließen sie beispielsweise die Fachwelt bereits im September 2005 wissen.
Alles richtig, betonen nun die Inder nach Auswertung ihrer globalen Metastudie und setzen zunächst einen drauf. Der Wirkstoff beeinflusse gar die Expression der exprimierten Krebsproteine Bax, PUMA, p53, Noxa, TRAIL oder Bim – doch leider nur rein theoretisch. Denn in der Praxis spült jeder Schluck Rotwein die schützende Wirkung des schlagfertigen Moleküls am Zielorgan vorbei. Als zu schnell und zu kompliziert erweisen sich nämlich bei näherer Betrachtung die metabolischen Wege von Resveratrol im Organismus des Rezipienten, wie Shah und Patel nach Analyse der weltweiten Studien zu berichten wissen.
Stoff mit Potenzial - vorerst
Der Einsatz von Resveratrol, um resistente Krebsarten für konventionelle Chemotherapien empfindlich zu machen ist nicht wirklich als alltagstauglich belegt, folgern die beiden Inder. Nun wissen Pharmakologen auch zu berichten, dass Resveratrol nebst Krebsgenen selbst Kaliumkanäle manipuliert – zum Wohle der trinkenden Probanden. Und tatsächlich gelten Franzosenherzen als weitaus gesünder, als die Pendants der Biertrinkenden deutschen Klientel. Eine französische Studie belegte gar die inhibitorische Wirkung auf die LDL-Oxidation. Alles richtig, schreiben jetzt Shah und Patel – nur fehlten auch hier die ultimativen Beweise, dass die kardiologische Schutzwirkung tatsächlich in vivo und beim Menschen anschlägt.
Wer als Apotheker an dieser Stelle sein Weinregal entnervt auseinandernehmen möchte, darf noch ein wenig warten. Zumindest die antioxidativen Effekte des Polyphenols schienen belegt - als Jäger der gefürchteten ROS-Radikale schützt Resveratrol den Körper vor oxidativen Stress. Meinte man. Weitaus sinnvoller jedoch, belegen jetzt die beiden Inder, wäre indes das Auftragen einer Resveratrol-haltigen Creme. Bis zu 17 Mal stärker scheint die antioxidative Wirkung in so einem Fall als beim Wirkstoff-Shooting-Star Idebenon zu sein. Der Wein als Creme erforderte freilich einiges Kochgeschick – bleibt die Rotweinecke doch nur Buchhändlern vorbehalten?
Auf ein Glas mit dem Diabetes-Kunden
Keinesfalls, wie die weiteren Findings aufzeigen. Ausgerechnet die Volkskrankheit Diabetes ließe sich nämlich mit der Powerkraft der Trauben mildern, schildern die Pharmazeuten aus Indien und beziehen sich dabei auf eine finnische Studie. Offensichtlich aktiviert Resveratrol das Gen SIRT1, so dass der Organismus letztendlich den Blutzucker besser verbrennt. Die computergestützte Metaanalyse brachte letztendlich eine weitere Neuheit zu Tage. Erstmals belegt auch eine klinische Studie die Schlagkraft des Wein-Wirkstoffs, wenn auch in Pillenform – und als Auftragsstudie des Medikamentherstellers. An den Ergebnissen wollen Shah und Patel dennoch nicht zweifeln. Ein Glukosetoleranztest nach Einnahme des Wirkstoffs hatte ergeben, dass die Resveratrol-Gruppe „signifikant niedrigere Blutzuckerwerte aufwiesen als die Kontrollgruppe“.
Dem Weinregal in der Apotheke stünde damit nichts mehr im Wege, im Gegenteil. Diabetes-Patienten dürften wiederkehren, um via Pieks den Blutzuckerlevel nach dem Weinkonsum bestimmen zu lassen.