Die Welt blickt auf Irans Atomprogramm - Apotheker sollten stattdessen auf das Teheraner Know-how in Sachen Nanopartikel achten. Denn eine jetzt im iranischen Fachblatt DARU veröffentlichte Publikation zeigt: Die Nanotechnologie erobert die Pharmazie.
Der Besuch war hochrangig, kein geringerer als der geistliche Führer der islamischen Republik Iran, äußerte sich vor der Wissenschaftselite des Landes zum Thema Forschung. Diese, dozierte Ayatollah Khamenei vor einigen Wochen an der Universität Teheran, bilde eine wichtige Grundlage für die Fortentwicklung des Landes. Einen Monat später bewies auch das von der Tehran University of Medical Sciences herausgegebene Fachblatt DARU den Fortschritt des wissenschaftliche Interesses im Land.
Denn tatsächlich nutzten indische Pharmakologen von der Banaras Hindu University in Varanasi den iranischen Publikationsweg, um der restlichen Welt eine Lektion in Sachen Nano-Pharmazie zu erteilen. Nicht etwa Nature oder Science erhielten die Arbeit zur Veröffentlichung, sondern die iranische DARU. Mit Hilfe einer Nanoemulsion war es den Forschern gelungen, den Wirkstoff Lamotrigin über einen Zeitraum von 24 Stunden kontrolliert freizusetzen - was dem Antiepileptikum neue Anwendungsperspektiven eröffnet. Allein das erweist sich aus pharmakologischer Sicht als wichtiger Durchbruch. Denn Substanzen, die unter Normalbedingungen gegen schwere Leiden kaum wirken, können, so die Erkenntnis der Pharmazeuten, mit Nanomethoden aufgepuscht werden – und avancieren somit zu potenten Arzneien.
Irans Journals berichten über belächelte Ansätze - und liegen richtig
Emulsionen ansetzen, Substanzen mischen und exakt abmessen, all das, was hierzulande allenfalls noch für Gesichtscremes oder Pickelsalben per Pharmazeutenhand entsteht und von der Fachwelt müde belächelt wird, gehört zum neuen Mix der Inder. Und es wirkt. „Dreifach destilliertes Wasser und Ethylacetat etwa müssen rund zehn Minuten lang bis zur Sättigung gemischt werden um ein thermodynamisches Gleichgewicht zu erhalten“, schreiben die Autoren. Die auf diese Weise gewonnene Flüssigkeit bilde die Grundlage für den weiteren Emulsionsbindungsprozess, schildert DARU das Prozedere. Stabilisatoren, Temperaturen um die 30 Grad und das in Deutschland von Evonik entwickelte Arzneimittelpolymer Eudragit in diversen Konzentrationen umhüllen letztendlich den Wirkstoff Lamotrigin, um ihn, nach Einnahme durch den Patienten, kontrolliert freizusetzen. Wer ob solcher Experimente der indisch-iranischen Themenwahl schmunzelt, liegt falsch. Denn dahinter verbirgt sich solide Forschung – und ein globaler Milliardenmarkt, auf den Teheran in ungewohnt offener Manier über seine Elite-Publikation hinweist.
Alte Wirkstoffe, neue Arzenilieferanten im Körper
Weltweit belegen nämlich pharmazeutische Studien, dass sich Apotheker daran gewöhnen sollten, ihre Kunden auf den Siegeszug vorzubereiten. Die Idee ist simpel: Neue Wirkstoffe zu entwickeln ist extrem teuer und aufwändig – bestehende Substanzen besser zum Ziel zu führen kann mit Hilfe von Nanoemulsionen und anderen Nanopartikeln gut gelingen. Der an der Teheraner Shaheed Beheshti University of Medical Sciences lehrende Pharmazieprofessor Reza Aboofazeli geht einen Schritt weiter und setzt auf so genannte Carbon Nanotubes (CNT) als Wirkstofflieferanten. In einem Editorial der aktuellen Ausgabe des Iranian Journal of Pharmaceutical Research warnt der Forscher vor verfrühten Erwartungen – bereitet aber sein Land auf diese auch im Westen als vielversprechende eingestufte Variante der Arzneimittelforschung vor.
Der Blick auf den Elfenbeinturm kommt nicht von ungefähr. Ausgerechnet der politische Erzrivale des Iran wartet derzeit mit Erfolgen auf. So gelang es US Forschern am California Institute of Technology, interferierende RNA-Fragmente mit Hilfe von Nanopartikeln über eine Injektion ins Blut direkt zu den Tumorzellen der Patienten zu befördern, wo die therapeutischen „Schalter“ wichtige Onkogene ausknipsten. Die am 21. März 2010 im Fachblatt Nature online publizierte Arbeit sorgte weltweit für Aufsehen und lief als Meldung über die großen Agenturen.
Doch anders als die etablierten Medien des Westens verfolgen die Teheraner nicht nur in DARU eine pragmatischere Vorgehensweise und setzen auf weniger spektakuläre Erfolge – genau das könnte Schule machen. Eudragit beispielsweise, über das die Fachmedien des Ayatollah Khamenei berichteten und indische Wissenschaftler akribisch testeten, ist weder neu, noch eine iranische Erfindung. Einzigartig indes ist die Idee, über die erfolgreichen Versuche mit bekannten und existierenden Wirkstoffen zu berichten – und dem westlichen Kulturkreis klarzumachen, dass es neue, potente Forschungsallianzen gibt.
Für Apotheker hierzulande bergen die persischen Publikationen mitunter einen interessanten, intellektuellen Wert, aus dem die Pharmazie selbst schöpfen kann. Denn anders als in der westlichen Werteordnung betrachten die Teheraner Forscher „Wissenschaft als Mischung aus Forschung und Philosophie“.