Wer Artikel in Nature, dem New England Journal oder Lancet liest, vertraut darauf, dass Gutachter die Veröffentlichung zuvor intensiv auf Ungereimtheiten prüfen. Nicht immer geht es dabei aber ganz fair zu.
Die medizinische Bloggerwelt hatte schnell einen anschaulichen Namen für die Beschuldigten gefunden. Eine „Peer Review Mafia“ von Stammzellforschern soll eingereichte Manuskripte an Nature und Cell lange zurückgehalten, mit unfairen Kommentaren versehen oder zusätzlich aufwändige Experimente gefordert haben. Damit, so behauptet ein Beitrag der englischen BBC, gewännen die Ergebnisse der eigenen Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Stammzellforschung an Bedeutung. Der Konkurrenz fielen dann entsprechend weniger hochrangige Publikationen und in der Folge weniger Fördermittel zu.
Reviewer entscheiden über Millionen-Budgets
Die Stimme eines unzufriedenen Wissenschaftlers, dessen eingereichtes Manuskript abgewiesen wurde? Nein - bei weitem nicht. Denn die BBC beruft sich auf einen offenen Brief von vierzehn führenden Forschern aus neun Ländern an die Herausgeber wissenschaftlicher Fachzeitschriften. Der Brief fordert, den Review-Prozess transparenter und damit fairer zu machen. Denn gerade bei der Stammzell-Forschung kann eine Veröffentlichung, die zu spät oder gar nicht erscheint, den Verlust von Millionenbeträgen an Forschungsgeldern des jungen Fachgebiets bedeuten.
Abgewürgte Diskussion
Eine anscheinend parteiliche Begutachtung beklagt auch die deutsche Onkologin Ute Linz vom Forschungszentrum Jülich. Es geht dabei um die Behandlung von Glioblastomen, schwer behandelbaren Gehirntumoren. Im Jahr 2005 veröffentlichte Roger Stupp aus Lausanne zusammen mit Kollegen im New England Journal of Medicine (NEJM) erste Daten einer große Studie der europäischen (EORTC) und kanadischen Krebsforschungsorganisationen (NCIC). Sein Paper beschrieb den Erfolg einer neuen Behandlungsmethode mit dem Antistatikum Temozolomid in Kombination mit einer Radiotherapie. Unerwähnt ließ Stupp dabei, so schreibt Ute Linz in einem Kommentar im Konkurrenzblatt Cancer, dass eine weitaus kostengünstigere - veröffentlichte - Therapie mit dem Wirkstoff Nimustin genauso gut wirkt. Entsprechende Kommentare von Linz zur Publikation wurden von NEJM abgewiesen, Briefe an die Autoren nicht beantwortet. Auch ein Update der Stupp-Studie, das 2009 in Lancet Oncology erschien, überging die alternative Therapieoption. Einen Diskussionsbeitrag zu diesem Artikel bewertete die Fachzeitschrift laut Linz als „nicht originell genug zur Veröffentlichung“.
In ihrem Kommentar macht Linz auf die Tatsache aufmerksam, dass der Erstautor der beiden Studien, Roger Stupp, im wissenschaftlichen Beirat von Lancet Oncology sitzt. Außerdem, so machte sie im Gespräch mit DocCheck klar, könnten finanzielle Interessen der Temozolomid-Herstellers auch eine Rolle beim Übergehen wichtiger Ergebnisse der Konkurrenz eine Rolle spielen. Einem unparteiischen Gutachter sollten solche Unterlassungen eigentlich auffallen. Dass die öffentliche Diskussion wichtiger Publikationen wie etwa bei Lancet Oncology unterdrückt wird, sei ungewöhnlich, so Linz, aber glücklicherweise nicht die Regel.
Publikation als Freundschaftsdienst
„Im Großen und Ganzen gibt es zum derzeitigen Review-System keine Alternative, man muss sich aber der Gefahren bewusst sein“, sagt die Forscherin, die selbst für einige Fachzeitschriften begutachtet. Aber auch innerhalb der Verlage ist der Prozess umstritten. Eines der altehrwürdigen großen Wissenschaftsjournale, die Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) stellt ab 1. Juli 2010 nach 60-jähriger Praxis ein lange Zeit praktiziertes Verfahren zur Einreichung von Manuskripten ein. Danach konnte ein Wissenschaftler seine Ergebnisse an ein (ihm bekanntes) Akademiemitglied einreichen und sich seine Gutachter selber aussuchen. Die Veröffentlichung geriet daher ab und zu zum „Freundschaftsdienst“. Zukünftig soll es für Nichtmitglieder statt der „Personal Communication“ den Weg der „Direct Submission“ an den Herausgeber und eine verblindete Prüfung des Manuskripts geben.
Auch das EMBO-Journal änderte vor kurzem seine Strategie zur Auswahl wichtiger Einsendungen. Seit letztem Jahr veröffentlicht es die gesamte Korrespondenz zwischen Autor, Gutachter und Herausgeber in einem eigenem zusätzlichen Online-File. Nature hatte ein solches System nach kurzer Probezeit im Jahr 2006 wieder abgeschafft. Beim EMBO-Journal ist man jedoch mit den bisherigen Erfahrungen sehr zufrieden. Weniger als 10 Prozent der Autoren lehnen die bisher freiwillige Initiative ab.
Schwarze Gutachter-Schafe: Voreingenommen und alt
Ein großes Maß an Verantwortung kommt dem Herausgeber bei der Wahl der Gutachter für seine Fachzeitschrift zu. Auf dem Sechsten „International Congress on Peer Review and Biomedical Publication“ in Vancouver im Herbst letzten Jahres stellte Michael Callaham eine Untersuchung vor, die er als Chefredakteur der Annals of Emergency Medicine angestellt hatte. Die Mitarbeiter der Zeitschrift benoten die Gutachter der Zeitschrift entsprechend der Qualität ihrer Kommentare zu eingereichten Manuskripten. Zwischen 1994 und 2008 blieb die durchschnittliche Gesamtnote aller Gutachter in etwa gleich. Für jeden Reviewer für sich betrachtet sank sie aber kontinuierlich im Lauf der Jahre. Seine Leistungen nahmen immer mehr ab und wurden nur durch die hohen Anstrengungen neuer junger Mitglieder ausgeglichen. Weniger als ein Prozent der Gutachter wurden im Lauf der Zeit besser.
Ein anderer Beitrag auf dem Kongress zeigte wiederum, wie leicht es ist, die Prüfer zu beeinflussen. Gwendolyn Emerson aus Seattle und ihre Kollegen legten 200 Gutachtern zweier orthopädischer Zeitschriften eine erfunden Studie in zwei Versionen vor. Allein das Endergebnis war unterschiedlich, ansonsten war der experimentelle Ansatz und dessen Darlegung identisch. Nur 2 Prozent der Gutachter wiesen die Studie mit positivem Resultat zurück, dagegen 29 Prozent das Manuskript des vermeintlich erfolglosen Versuchs. Dort fanden die Gutachter auch deutlich mehr der eingearbeiteten Schwächen der Untersuchung.
Dass Gutachter auf den Druck der Konkurrenz oder von wirtschaftlichen Zwängen reagieren und so wichtige Entwicklungen in der medizinischen Forschung behindern, ist sicherlich die Ausnahme. Wer sein Manuskript bei Nature oder Cell einreicht, muss wohl nicht von vornherein mit einer „Peer Review Mafia“ verbündeter, übelwollender Reviewer rechnen. Und dennoch muss eine offene Diskussion zwischen Forschung und Medien immer wieder die Unabhängigkeit beim Prüfen wissenschaftlicher Manuskripte erstreiten.