Vermehrter Appetit und Insulinresistenz als Kennzeichen des Metabolischen Syndroms verbreiten sich in den Industrienationen epidemisch. Nun wiesen US-Forscher nach, dass das Syndrom tatsächlich ansteckend ist. Überträger sind Darmbakterien.
Dass immer mehr Menschen Übergewicht haben und Fettleibigkeit epidemisch zunimmt, schreiben die meisten Bewegungsmangel und einer zu reichhaltigen, falschen Ernährung zu. Die Gier nach Kalorien lässt sich aber möglicherweise nicht allein mit dem undisziplinierten Verhalten von Menschen mit Übergewicht erklären. Denn Darmbakterien beeinflussen Appetit und Gewicht, ergab eine Studie von Matam Vijay-Kumar, Pathologe an der Emory University School of Medicine in Atlanta, USA.
Fehlendes Gen macht Mäuse dick und krank
Der Forscher arbeitet mit Mäusen, deren Immunsystem gentechnisch so verändert ist, dass ihnen der Toll-like Rezeptor 5 (TLR5) fehlt. Der Rezeptor wird überwiegend von Epithelzellen im Darmtrakt exprimiert und hilft beim Erkennen von Bakterien. TLR5 bindet an das Protein Flagellin, aus dem die Geißeln von Bakterien aufgebaut sind. Diese fadenförmigen Gebilde dienen Bakterien zur Fortbewegung.
Unerwartet war zunächst die Beobachtung des Forschers, dass Mäuse mit fehlenden TLR5 etwa 20 Prozent schwerer sind als normale Mäuse. Sie wiesen zudem erhöhte Triglyzerid-, Cholesterin- und Blutdruckwerte auf. Auffällig waren außerdem leicht erhöhte Blutzuckerwerte und Hinweise auf eine Insulinresistenz. Der Nahrungskonsum war gegenüber normalen Mäusen um zehn Prozent erhöht. Nahrungsentzug ließ zwar das Gewicht der Tiere sinken, änderte jedoch nichts an der Insulinresistenz. Bei fetthaltiger hochkalorischer Ernährung nahmen Tiere ohne TLR5 mehr zu, entwickelten eine manifeste Diabeteserkrankung und eine Fettleber. Es folgten weitere Stoffwechselveränderungen im Sinne des Metabolischen Syndroms.
Frühere Untersuchungen hatten bereits ergeben, dass TLR5 bei der Kontrolle von Darmbakterien eine entscheidende Rolle spielt. Unter gewissen Bedingungen entwickeln Tiere ohne dieses Gen eine Kolitis und chronische Entzündungen. „Die Darmflora ist wie eine komplexe Gesellschaft“, so der ebenfalls an der Studie beteiligte Andrew Gewirtz der Emory University School of Medicine. „TLR5 funktioniert wie ein Polizist, der über die Nachbarschaft wacht und zwischen Gesetzestreuen und potenziellen Störenfrieden unterscheidet. Ohne TLR5 ist die Sicherheit der Gesellschaft in Gefahr.“
Antiobiotika gegen Metabolisches Syndrom?
Zwei Umstände belegen, dass Darmbakterien an der Entstehung des Metabolischen Syndroms beteiligt sind: Antibiotika, die die meisten der Darmbakterien von Tieren ohne TRL5 töteten, besserten auch metabolische Parameter. Leider ließen sich keine bestimmten Bakterientypen bei den Tieren verantwortlich machen, wie dies in früheren Untersuchungen vermutet worden war, sodass eine gezielte Antibiotikatherapie nicht möglich ist. Daneben ließen sich die Darmbakterien der Tiere ohne TRL5 auf normale Mäuse übertragen, die dann ebenfalls Charakteristika eines Metabolischen Syndroms entwickelten.
Die Darmflora des Menschen wird vermutlich bei der Geburt von Familienmitgliedern erworben und bleibt relativ stabil, so die Forscher. Ernährung und Antibiotika können die Darmflora allerdings beeinflussen. Möglicherweise spielt bei der Gewichtszunahme und den folgenden metabolischen Veränderungen also doch die Ernährung eine ursächliche Rolle.
Fettleibigkeit schützt vor Metabolischem Syndrom
Dass die Zusammenhänge zwischen Fettleibigkeit und Metabolischem Syndrom anderes sind als bislang vermutet, darauf deuten auch andere Untersuchungen hin. Roger Unger von der Universität Südwesttexas kommt in einem in Trends in Endocrinology and Metabolism im Volltext veröffentlichten Reviewartikel zum Schluss, dass die überschüssigen Pfunde vor dem Metabolischen Syndrom schützen, dieses jedoch nicht verursachen.
Seiner Meinung nach bedeutet Fettleibigkeit für den Körper nichts anderes als die Möglichkeit Lipide dort zu speichern, wo sie hingehören und am wenigsten Schaden anrichten, nämlich im Fettgewebe. Diese Fettspeicherung schützt andere Organe vor der toxischen Wirkung der Lipide. Unger prägte 1994 den Begriff „Lipotoxizität“. Erst wenn die Speicherkapazität des Fettgewebes bei anhaltend hyperkalorischer Ernährung versagt, käme es zum Metabolischen Syndrom. Dies sei insbesondere jenseits des reproduktiven Alters der Fall, wenn Schutzmechanismen von Adipozyten versagen. Demnach ist das Metabolische Syndrom eine Art alterbedingte Kompensation bei anhaltender Überernährung.