Störungen des Riechvermögens sind gar nicht selten. Sie können die Lebensqualität mindern und sich negativ auf das Essverhalten auswirken. Nun haben Rhinologen ein Nasenspray entwickelt, das den Geruchssinn zumindest zeitweise wiederherstellen kann.
Nicht riechen zu können, klingt zunächst harmlos. Doch ein verminderter oder vollkommen fehlender Geruchssinn kann zu deutlichen Einschränkungen führen: Die Betroffenen genießen Essen und Getränke weniger – denn ihr Aroma kommt zum großen Teil durch Geruchsstoffe zustande. Störungen des Geruchssinns können dazu führen, dass zu wenig oder zu viel gegessen oder das Essen zu stark gesalzen oder gezuckert wird – mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Folgen. Keine Gerüche wahrzunehmen, kann auch soziale Beziehungen und das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen. So tragen angenehme Gerüche zu positven Gefühlen bei, und ohne Geruchssinn vermissen viele den vertrauten Geruch des Partners oder der Kinder. Nicht zuletzt ist Riechen ein wichtiges Warnsystem des Körpers: Es macht auf Brand- oder Gasgeruch oder verdorbene Lebensmitteln „aufmerksam“ und schützt so vor Gefahren, die lebensbedrohlich sein können. Nun haben britische und deutsche Forscher eine Substanz getestet, die als Nasenspray verwendet werden kann und das Riechvermögen bei Patienten mit vollständigem oder teilweisem Geruchsverlust zumindest vorübergehend wiederherstellen kann. Die Wissenschaftler um Carl Philpott von der University of East Anglia (UEA) in Norfolk (Großbritannien) und Thomas Hummel vom Interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken an der TU Dresden verwendeten in ihrer Studie Natriumcitrat, das bereits für andere medizinische Zwecke, etwa im Bereich des Magens und der Blase, zugelassen ist und als sicheres Medikament gilt.
Natriumcitrat kann Calcium-Moleküle an sich binden, die vermutlich an einer Verminderung des Geruchssinns beteiligt sind. Die Wissenschaftler wollten nun herausfinden, ob eine Reduktion von Calcium im Nasenschleim dazu führt, dass das Geruchsvermögen weniger stark beeinträchtigt ist. „Das Natriumcitrat-Spray wurde entwickelt, um Calcium-Moleküle im Nasenschleim ‚aufzuwischen‘ und so den Geruchssinn zeitweise wiederherzustellen“, erläutert Philpott. So hat bereits eine frühere Studie Hinweise darauf ergeben, dass Natriumcitrat einen solchen Effekt haben kann – allerdings wurde dies nur mit einer kleinen Patientengruppe getestet. An der aktuellen, randomisierten und doppelblinden Studie nahmen 55 Patienten mit nicht-sinunasalen Riechstörungen teil, bei denen der Geruchssinn durch eine Schädigung des Riechapparats beeinträchtigt ist – etwa durch ein Schädel-Hirn-Trauma, Virusinfektionen oder Gift- und Schadstoffe. Bei sinunasalen Riechstörungen liegt dagegen eine Behinderung des Luftstroms auf dem Weg zur Nasenschleimhaut vor – etwa durch Entzündungen der Nase oder der Nasennebenhöhlen, Polypen oder eine Allergie. Die Hälfte der Probanden erhielt einmalig das Natriumcitrat-Spray, die andere Hälfte steriles Wasser. Anschließend nahmen die Patienten an einem Geruchstest teil, bei dem sie vier verschiedene Gerüche – Rosenduft, Birnenduft, Essig und Menthol – in jeweils ansteigenden Konzentrationen einatmen sollten.
„Die Ergebnisse zeigen eine Verbesserung des Riechvermögens bei denjenigen, die mit dem Natriumcitrat-Spray behandelt wurden“ berichtet Philpott. „Der Effekt hielt dabei bis zu zwei Stunden an.“ Am stärksten war die Verbesserung 30 bis 60 Minuten nach der Anwendung. Dabei sprach jedoch nur ein Drittel der Patienten auf Natriumcitrat an. „Das Spray scheint bei Patienten am effektivsten zu sein, deren Riechvermögen durch eine Virusinfektion geschädigt ist“, erläutert Philpott. Die Nebenwirkungen der Behandlung waren gering augeprägt: Die Patienten berichteten von leichten Beschwerden wie einer laufenden Nase, Halsschmerzen oder Juckreiz. Auch eine weitere, ähnlich angelegt Untersuchung von Thomas Hummel und seinem Team an der TU Dresden ergab, dass Natriumcitrat bei Patienten, deren Riechvermögen nach einer Infektion beeinträchtigt war, im Vergleich zu einem Placebo-Spray zu einer verbesserten Geruchserkennung führt.
Die Untersuchungen legten nahe, dass Natriumcitrat als Nasenspray einen geschädigten Geruchssinn zeitweise verbessern könnte, so die Autoren. Demnach habe die Substanz ein gewisses Potential zur Behandlung nicht-sinunasaler Riechstörungen. „Allerdings sollten die Ergebnisse durch weitere, größere klinische Studien überprüft werden, in denen die Auswirkungen eines längerfristigen, regelmäßigen Gebrauchs des Sprays untersucht werden“, betont Philpott. Die Forscher planen bereits, dies in weiteren Studien zu untersuchen, in denen die Probanden das Natriumcitrat-Spray über einen längeren Zeitraum mehrmals täglich einsetzen. Gleichzeitig sollte auch beachtet werden, dass bei verschiedenen Arten von Riechstörungen verschiedene Regionen des Riechapparats betroffen sein können, so die Autoren. „Daher sollte überprüft werden, bei welchen Arten von Riechstörungen das Natriumcitrat-Spray besonders wirksam ist.“ Erst nach solchen Untersuchungen könne entschieden werden, ob das Spray von Ärzten routinemäßig verordnet werden sollte. In diesem Fall könnte es eine leicht anwendbare, sichere Behandlungsmethode sein, die den Geruchssinn zumindest zeitweise wiederherstellen und so die Lebensqualität der Patienten verbessern könnte. „Natriumcitrat könnte einerseits zur kurzfristigen Verbesserung des Geruchssinns eingesetzt werden, so dass die Betroffenen Mahlzeiten wieder mehr genießen können und dadurch auch die Nahrungsaufnahme verbessert wird“, schreiben die Autoren. „Es könnte aber auch regelmäßig angewendet werden und so das Riechvermögen auf Dauer verbessern.“
Insgesamt sind Störungen des Riechvermögens gar nicht selten: So können fünf Prozent der Bevölkerung quasi gar nichts riechen, weitere 15 Prozent haben ein eingeschränktes oder verändertes Geruchsvermögen. Je älter jemand ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen eingeschränkten Geruchssinn: Bei Menschen über 52 Jahren hat jeder Vierte eine Riechminderung, bei über 70-Jährigen bereits jeder Dritte ein ausgeprägtes Riechproblem. Bisher gibt es nur eingeschränkte Möglichkeiten, Riechstörungen zu behandeln. „Bei sinunasalen Riechstörungen können neben Nasenspülungen antientzündliche und abschwellende Mittel, die beispielsweise Cortison enthalten, eingesetzt werden – zunächst für kurze Zeit in Form von Tabletten und anschließend als Nasenspray“, erläutert Hummel. „Auch Antibiotika können hier angebracht sein. Sollte diese Therapie nicht erfolgreich sein, kann auch über eine Operation nachgedacht werden.“ Bei nicht-sinunasalen Riechstörungen hat sich bisher ein Riechtraining als wirksam erwiesen, bei dem die Betroffenen über mehrere Monate regelmäßig an vier verschiedenen Düften schnüffeln sollen. „Eine Meta-Analyse unserer Arbeitsgruppe hat gezeigt, dass die Patienten so eine deutliche Besserung erleben. Eine vollständige Heilung der Riechstörung ist aber selten möglich“, berichtet Hummel.
Traditionell werde Riechen als ein weniger wichtiger Sinn angesehen, weil Beeinträchtigungen des Sehens oder Hörens zu deutlich stärkeren Einschränkungen führten, so der Forscher. „In den letzten Jahren werden Riechstörungen aber zunehmend von Ärzten und HNO-Kliniken aufgegriffen und bei der Diagnostik und Behandlung verstärkt berücksichtigt“, sagt Hummel. So gibt es inzwischen einen international standardisierten Riechtest, der von HNO-Ärzten und -kliniken für die Diagnostik eingesetzt werden kann.