Noch immer kommt die Diagnose „Glioblastom“ einem Todesurteil gleich. Forscher haben nun einen Therapieansatz gegen den Hirntumor entwickelt. Versuche zeigen, dass das körpereigene Molekül Alpha-2-Makroglobulin das Wachstum von Tumorzellen hemmt.
Das Glioblastom ist einer der am schwierigsten zu bekämpfenden Tumoren. Bislang ist diese Krebsart unheilbar, die mittlere Überlebensdauer beträgt nach der Diagnose nur ein Jahr. Der Hirntumor macht sich durch epileptische Krampfanfälle, halbseitige Lähmungen, Veränderungen der Persönlichkeit oder Sehstörungen bemerkbar. Die Standardtherapie zielt darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung möglichst zu verzögern: Zuerst wird das Tumorgewebe operativ so weit wie möglich entfernt. Anschließend folgt eine Strahlentherapie, meist in Kombination mit einer Chemotherapie. Dennoch verbleiben fast immer einzelne Krebszellen im umliegenden gesunden Gehirngewebe. Unausweichlich kommt es zu einem erneuten Ausbruch der Erkrankung.
Krebsforscher suchen deshalb seit einigen Jahren nach Wirkstoffen, die die Krebszellen zielgenau angreifen und vernichten. Ein Hoffnungsträger ist das körpereigene Molekül Alpha-2-Makroglobulin (A2M). In einem von der Wilhelm-Sander-Stiftung geförderten Projekt konnte ein Forscherteam der Universität Leipzig, des Fraunhofer-Instituts IZI Leipzig und des Leibnizinstituts für Altersforschung Jena nun zeigen, dass A2M das Wachstum der Hirntumorzellen verlangsamt. Wie die Wissenschaftler um Prof. Gerd Birkenmeier vom Institut für Biochemie in der Fachzeitschrift Cancer Research berichten, blockiert A2M einen Signalweg, der entscheidend dazu beiträgt, dass sich gesunde Zellen in Krebszellen umwandeln.
Blutbestandteil fängt Proteasen
A2M ist ein Protein, das in großen Mengen im Blut zirkuliert. Es hemmt vornehmlich Proteasen – Enyzme, deren Aufgabe es ist, Eiweiße in ihre Bestandteile zu zerlegen. Die Polypeptidkette von A2M mit knapp 1500 Aminosäuren besteht aus vier identischen Untereinheiten. Jeweils zwei dieser Untereinheiten sind so gefaltet, dass sie einen Korb bilden. Auf dessen Boden sitzt eine kurze Peptidschleife, die unter Spannung steht. Sobald eine Protease ins Innere des Korbes gerät und die Schleife berührt, klappt der Korb zusammen und schließt die Protease ein. Durch die Veränderung seiner Gestalt wird A2M aktiviert. Es kann nun an spezielle Rezeptorproteine andocken, die sich auf der Oberfläche von Zellen befinden.
Dass die aktivierte Form von A2M Tumoren hemmen kann, ist seit einigen Jahren bekannt: Wissenschaftler kamen diesem Wirkmechanismus auf die Spur, als sie im Reagenzglas Krebszellen und A2M zusammenbrachten. Nur wenn die Forscher zusätzlich Proteasen hinzufügten, wuchsen die Krebszellen langsamer. Nahrungsmitteln wie Ananas und Papaya, die reich an Proteasen wie Bromelain oder Papain sind, wird deshalb ein günstiger Effekt in der Krebstherapie nachgesagt.
Aktiviertes Molekül bremst Krebszellen aus
Birkenmeier und sein Team untersuchten zuerst die Auswirkungen von aktiviertem A2M auf Astrozytomzellen und wiederholten danach die Experimente mit Glioblastomzellen, die Patienten entstammten. Beide Tumor-Zelltypen haben ihren Ursprung in den Astrozyten, die zum Stützgewebe des Gehirns gehören und die Neuronen mit Nährstoffen versorgen; Astrozytome verhalten sich jedoch weniger aggressiv als Glioblastome. „Es zeigte sich, dass mit zunehmender Menge an aktiviertem A2M die Tumorzellen sich immer langsamer teilten“, sagt Birkenmeier. „Auch ihre Wanderungsgeschwindigkeit durch ein poröses Gewebe ließ deutlich nach.“
Die aktivierte Form von A2M bindet an das Rezeptorprotein LRP1, das in der Membranhülle der Krebszellen steckt. Dieses leitet daraufhin ein Signal ins Innere der Zelle weiter. Dort passiert zweierlei: Zum einen wird der so genannte WNT/beta-Catenin-Signalweg ausgeschaltet, der dafür sorgt, dass Tumorzellen sich besonders schnell vermehren können. Zum anderen wird die Produktion von verschiedenen Proteinen angekurbelt, die dafür sorgen, dass die Zelle ihre invasiven Eigenschaften verliert. Interessanterweise konnte ein Antikörper, der gegen die Bindungsstelle von A2M am Rezeptorprotein LRP1 gerichtet ist, genau die gleichen Effekte auslösen, wenn man ihn anstatt A2M zu den Tumorzellen gibt. „Das könnte einmal in therapeutischer Hinsicht wichtig werden, da Antikörper ihre Wirksamkeit beim Menschen schon vielfach bewiesen haben“, sagt Birkenmeier.
Noch keine klinischen Studien geplant
Ob das aktivierte A2M nicht nur im Reagenzglas, sondern auch bei Glioblastom-Patienten das Wachstum der Tumore verlangsamen kann, will Birkenmeier schon bald untersuchen. Seine Idee ist es, nach der operativen Entfernung des Glioblastoms patienteneigenes A2M in die Operationshöhle zu geben, um die eventuell verbliebenen Tumorzellen daran zu hindern, ihr Wachstum wieder aufzunehmen. Jedoch, so der Forscher, müsse die Wirksamkeit von aktiviertem A2M erst durch Tierversuche bestätigt werden, bevor die ersten Patienten von einer solchen Behandlung profitieren könnten.
Auch andere Experten halten den neuen Ansatz zur Bekämpfung des Glioblastoms für vielversprechend: „Die Ergebnisse von Birkenmeier und seiner Arbeitsgruppe sehen sehr fundiert aus“, sagt Gerhard Stauder, Biochemiker und Ex-Forschungschef des Biotechnologie-Unternehmens Antisense-Pharma, das ebenfalls einen Wirkstoff gegen Glioblastome in Entwicklung hat. Allerdings gibt Stauder zu bedenken, dass eine einzelne Substanz wie aktiviertes A2M wahrscheinlich nicht ausreicht, um das Tumorwachstum endgültig zu bremsen. Ein Tumor, so der Biochemiker, finde fast immer einen Ausweg, einer einzelnen Blockade zu entkommen. Stauder setzt deshalb seine Hoffnung auf die Kombination mehrerer Wirkstoffe, die verschiedene für das Tumorwachstum wichtige Mechanismen gleichzeitig angreifen und es so dem Tumor unmöglich machen, sich weiter zu vermehren.