Jeden Winter locken Schnee und Berge, tausende Flachlandtiroler machen sich auf den Weg, um erst per Gondel hochzufahren und dann per Ski herabzugleiten - oder dabei auf die Nase fallen. Dennoch war Wintersport noch nie so sicher wie heute.
Nach Angaben der „American Academy of Orthopaedic Surgeons“ verletzten sich 2007 in den USA fast 150.000 Menschen beim Snowboarden, beim Skifahren waren es etwas mehr als 131.000. Auch in der Schweiz verletzen sich jährlich 70.000 Menschen auf den Schneepisten. In Österreich mussten in der vergangenen Saison knapp 60.000 Sportler nach Ski- oder Snowboardunfällen ins Krankenhaus.
Unter deutschen Skifahrern gab es in der letzen Saison 49.000 Unfallopfer, 7.000 mussten stationär behandelt werden - immerhin ein Rückgang von drei Prozent im Vergleich zur Saison 2007/2008. Wer jedoch glaubt, nur Skifahren und Snowboarden seien riskant, täuscht sich. Allein in Österreich verletzten sich 2008 rund 4.800 Menschen beim Rodeln und etwa 16.000 bei Stürzen auf Glatteis - und zwar so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. „Besonders gefährlich ist es, mit dem Kopf voran zu rodeln", sagt Dr. Anton Dunzendorfer, Leiter des Bereichs Heim, Freizeit & Sport im Kuratorium für Verkehrssicherheit.
Unfälle mit Todesfolge wie bei der Kollision des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus sind aber die Ausnahme. Doch medizinisch wie ökonomisch ist das Problem weiterhin so groß, dass Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Pisten und sogar Alkoholkontrollen gefordert werden. Sportverletzungen sind ohnehin keine unbedeutende ökonomische Größe: Pro Jahr kommt es in Deutschland zu etwa 1,5–2 Millionen Sportunfällen, was 25–30% der Gesamtunfälle entspricht. Die Kosten für die Behandlung werden auf 1,5 Milliarden Euro beziffert.
Mobilmachung gegen Rasen und Glühwein
Für Alkoholkontrollen auf den Skipisten macht sich zum Beispiel Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, stark. Glühwein, Jagatee oder Bier seien mit verantwortungsbewusstem Sport nicht vereinbar. Und in Großbritannien macht sogar die Regierung mit der Kampagne „Don’t drink and ski“ gegen Alkohol auf der Piste mobil. In der Schweiz versucht man es mit Tempo-30-Zonen. Im Skigebiet First im Berner Oberland gibt es die erste Tempo-30-Piste. Geblitzt wird nicht, aber ein Geschwindigkeitsmesser zeigt dem Skifahrer sein aktuelles Tempo. Patrouille-Fahrer holen die Raser von der Piste.
Nur mit Helm auf die Piste!
Unstreitig ist, dass ein Helm ein notwendiger Schutz ist. Um bis zu 60 Prozent reduzieren Skihelme das Risiko für ein Schädelhirntrauma. Das vermehrte Tragen von Schutzhelmen ist nach Angaben des Deutschen Skiverbands (DSV) einer der Hauptgründe für den Rückgang schwerer Kopfverletzungen. Noch nie wurden etwa in Deutschland so viele Skihelme verkauft wie vor der aktuellen Saison. „Wir schätzen, dass im deutschen Sportartikelfachhandel insgesamt eine Million Helme plus x verkauft werden", sagt Werner Grau, der Geschäftsführer des Wintersportartikelherstellers Uvex. Im Jahr davor seien nur 600 000 Helme verkauft worden. Inzwischen trägt jeder zweite Erwachsene und fast jedes Kind auf der Piste einen Helm. Nach einem aktuellen Bericht der „FAZ“ nahmen es die Deutschen allerdings „bis dahin locker mit der Sicherheitsausrüstung ihres Nachwuchses. Nur jedes zweite Kind, so die Schätzungen, trug in der vergangenen Wintersaison einen Skihelm“. Und anders als in Italien und Österreich gibt es in Deutschland keine Helmpflicht. Für einen guten Schutz beim Skifahren und Snowboarden ist der Preis des Helms übrigens nicht immer eine Garantie. Der ADAC hat 15 Helme getestet. Der Teuerste kam nur auf den vorletzten Platz.
Aber selbst gemäßigtes Fahren und Helm bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Crash-Tests mit Dummies haben vor kurzem gezeigt, dass bereits bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von 30 km/h trotz Helms ein erhebliches Verletzungsrisiko vor allem für Kopfverletzungen besteht, wahrscheinlich aber auch für Verletzungen der Halswirbelsäule. Für Experten ist das nicht überraschend, entspricht doch eine Kollision mit 30 km/h einem Sturz aus einer Höhe von etwa 3 1/2 Metern.
„Skifahren so sicher wie nie“
Trotz der steigenden Zahl von Skifahrern und Pisten-Rowdies: Nach den Angaben der Auswertungsstelle für Skiunfälle, ARAG Allgemeine Versicherungs-AG, hielt der Trend zu weniger Verletzungen im alpinen Skisport auch in der Saison 2008/09 an. Im Vergleich zur Basissaison 1979/80 sei die Zahl um rund 50 Prozent gesunken. Auch die Zahl der Kollisionsunfälle sank im letzten Jahr mit 0,85 zum zweiten Mal nach 2006/07 deutlich unter die Marke von 1,0 je 1000 deutsche Skifahrer.
„Skifahren ist sicher wie nie“, sagt auch Dr. Erwin Aschauer vom Landeskrankenhaus Bad Ischl in Österreich, der Daten von 3512 Skifahrern und Snowboardern gesammelt und ausgewertet hat. Ein Ergebnis, das der Unfallchirurg 2008 auf dem Kongress für Wintersportmedizin in Garmisch-Partenkirchen vorgestellt hat: Das Risiko, heute einen Skiunfall zu erleiden, der einen Arztbesuch notwendig macht, liegt bei etwa 0,7 Prozent pro Saison. Das ist etwa halb so viel wie vor zehn Jahren. Verändert hat sich laut Aschauer in den letzten Jahren das Verletzungsmuster - und zwar durch den vermehrten Gebrauch von Carving-Ski. Vor 12 Jahren betrafen noch knapp 55 Prozent aller Verletzungen beim Skifahren die unteren Extremitäten, 2006/2007 waren es nur noch etwa 46 Prozent. Hingegen stieg laut US-amerikanischen Sportmedizinern der relative Anteil von Verletzungen der oberen Extremitäten, etwa der Schulter. Und noch zu wenig würde das Risiko für Wirbelsäulen-Verletzungen beachtet, kritisieren Schweizer Traumatologen. Erfreulich ist laut Aschauer die Entwicklung bei den Schädelhirn-Verletzungen, die von einer Quote von 14 Prozent vor sechs Jahren auf eine Quote von nur noch 6,6 Prozent im Jahre 2007 gesunken sind. Auch für Aschauer ist das mit eine Folge des vermehrten Tragens von Helmen.
Selbsteinschätzung oft falsch
Wovor allerdings weder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Alkoholkontrollen noch Helme und Protektoren schützen, sind Lawinen. Aber auch hier gibt es Positives zu melden. Forscher um Bernhard Budaker vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA haben ein neues Lawinen-Airbagsystem entwickelt. Elektronik sorgt dafür, dass der Skilehrer oder die -kameraden den Airbag, den der Fahrer im Rucksack auf dem Rücken trägt, aus der Ferne starten können. Der Lawinenschutz ist seit Dezember 2009 im Handel. Die Reichweite der Signale liegt derzeit zwischen 350 und 500 Metern und lässt sich, da jedes Gruppenmitglied das Signal weitergibt, noch verlängern. Da jeder einzelne Griff das Signal weitersendet, kann der letzte Fahrer den ersten erreichen. Und außer auf Helm, gemäßigte Geschwindigkeit, Airbag und Alkoholverzicht kommt es noch auf einen weiteren Punkt entscheidend an: Die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. „Oft kommen Kunden, die behaupten, sie seien sehr gute Skiläufer, sie laufen schließlich schon seit 19 Jahren Ski", sagt Thomas Schmidt vom Sportgeschäft und Skiverleih Buri-Sport in Grindelwald. „Die Leute denken nicht daran, dass sie oft nur eine Woche im Jahr Skilaufen."