Vor rund 3 Monaten hoppelte Philipp Rösler ins Amt. Und dort angekommen, ist er bisher eher blass geblieben. Zwar setzte er Akzente mit Personalien. Das war es dann aber auch schon.
Nach hundert Tagen im Amt kann man im gesundheitspolitischen Berlin in Sachen Rösler eine gewisse Ratlosigkeit feststellen. Bringt er es nun, oder bringt er es nicht? Fundamentale Fehler, das steht fest, hat er bisher nicht gemacht. Wem das und die Tatsache, dass endlich mal ein Arzt in der Friedrichstraße residiert, genügt, der kann mit Rösler sicher vollauf zufrieden sein. Wer sich etwas mehr erhofft hatte, wurde eher enttäuscht. Andererseits: Was sind schon 100 Tage? Eröffnen musste Rösler seine Ministerlaufbahn in Berlin mehr oder weniger mit der Schweinegrippe. Die hat er sich nicht ausgesucht, aber er hat sie angemessen gemeistert. Die für die Bundesländer erfreuliche Vereinbarung mit GlaxoSmithKline über eine Rücknahme eines Teils der Impfstoffdosen geht auf sein Konto und darf dort eindeutig auf der Haben-Seite verbucht werden. Er hat das nicht öffentlich ausgeschlachtet, aber diese Vereinbarung wetzt eindeutig eine Scharte seiner Vorgängerregierung aus, die ganz offensichtlich keinen besonders intelligenten Vertrag geschlossen hatte.
Der zweite Pluspunkt, den Philipp Rösler neben der Schweinegrippe sammeln konnte, betrifft seine Personalpolitik. Schon richtig, die Berufung des bisherigen Vizedirektors des PKV-Verbands, Christian Weber, zum Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im BMG hat Rösler vielfältige Vorwürfe von Klientelpolitik eingehandelt. Die Entscheidung, an dieser wichtigen Schaltstelle für frischen Wind zu sorgen, war aber trotzdem richtig. Und den Nörglern flog ihre Nörgelei dann auch gehörig um die Ohren: Ehemalige AOK-Mitarbeiter gehörten jahrelang zu den Leistungsträgern des BMG, sodass nicht wirklich einzusehen ist, warum nicht auch einmal ein Ex-PKVler ran darf. Weber gilt als fähig und vergleichsweise wenig arrogant. Er ließ den Lobbyisten nie so sehr heraushängen wie einige seiner PKV-Kollegen. So gesehen geht die Personalie Weber völlig in Ordnung.
Pragmatismus statt reine Lehre
Die zweite wegweisende Personalie in Röslers ersten 100 Tagen ist die Entscheidung, den Vertrag von Peter Sawicki als IQWiG-Chef nicht zu verlängern. Auch hier waren die Megafon-Träger schnell zur Stelle und witterten ein Einknicken vor der Industrie. Die ganz Bösen behaupten sogar, das sei der Preis für den Impfstoff-Deal gewesen. Aber das ist paranoid. Relevanter dürfte gewesen sein, dass Sawicki zu sehr polarisiert hat, was nicht nur am Amt, sondern auch an seinem Auftreten lag. Wenn bei Philipp Rösler nach 100 Tagen ein Anliegen spürbar ist, dann jenes, die aggressiv-fatalistische Stimmung, die sich im deutschen Gesundheitswesen in den letzten Jahren breit gemacht hat, irgendwie in den Griff zu kriegen. Peter Sawicki war ihm da im Weg, und so ließ er den sich selbst gerne als Vertreter einer reinen Lehre gebenden IQWiG-Leiter durch seinen im IQWiG-Vorstand vertretenen Staatssekretär Stefan Kapferer im Verbund mit der Leistungserbringer-Seite ausmustern. Die Nachfolgeregelung ist bekanntlich noch offen. Aber Rösler wird sich mit einiger Sicherheit einen Pragmatiker an der IQWiG-Spitze wünschen. Er dürfte ihn bekommen.
Priorisierung? Kenne ich nicht.
Inhaltlich dürften sich nicht zuletzt die Ärzte mehr erhofft haben von ihrem „Kollegen Rösler“. Jüngstes Beispiel war ein „Gedankenaustausch“ zwischen dem Minister und der Opposition im Bundestag, bei dem der vermutlich privat versicherte Minister sich weigerte, eine unter anderem von der Bundesärztekammer immer wieder geforderte Debatte über die Priorisierung von Leistungen zu führen. Begründung: Er wolle ein System, in dem diese Diskussion gar nicht nötig sei. Sprich: Auch Rösler will sich die Finger nicht am heißen Eisen der Rationierung von Gesundheitsleistungen verbrennen. Da setzt er nahtlos die Tradition von Ulla Schmidt fort.
Wenig Grund zur Begeisterung lieferte bisher auch Röslers Agieren in Sachen Telematik und Gesundheitskarte. Er hängt sich zwar ans Revers, dass er dem Projekt mit der jetzt angestrebten Fokussierung auf Online-Versichertendatenabgleich, Notfalldaten und elektronischen Arztbrief eine neue Richtung gegeben habe. Hier schmückt er sich aber eindeutig mit fremden Lorbeeren. Die Entscheidung, das elektronische Rezept zurück zu stellen, wurde noch unter seiner Vorgängerin getroffen. Und die aktuelle Bestandsaufnahme hat bisher jedenfalls kein greifbares Ergebnis erbracht. Ziemlich frech war in diesem Zusammenhang auch ein Statement, das der Minister kurz vor Weihnachten in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen gegeben hat. Elektronische Patientenakten würden erst dann eingeführt, wenn die Industrie nachgewiesen habe, dass die Lösungen sicher seien. Wer die bisherige Geschichte der eGK auch nur von Ferne verfolgt hat, kann diese Aussage nur komplett daneben finden.
Gesundheit à la Rösler könnte teuer werden.
Fazit: Rösler weiß mit Personalien Akzente zu setzen. Und er beherrscht die beiden wichtigsten Techniken eines Bundesministers: Das Wegducken und die Ballabgabe. Das zeigt sich in seiner Ablehnung der Priorisierung genauso wie in seinen Sticheleien in Richtung Krankenkassen bei den Zusatzbeiträgen. Ob er aber in der Lage ist, das Gesundheitswesen auch inhaltlich weiter zu bringen, ist 100 Tage nach Amtsantritt noch offen. Zu den Kernproblemen, namentlich zur überbordenden Bürokratie, zum demographischen Wandel und zur ungebremsten Ausweitung der Leistungen - zu all dem hat er bisher nichts Substanzielles gesagt.