Ein kleines Molekül spielt beim septischen Schock eine fatale Rolle: Stickstoffmonoxid (NO) weitet die Blutgefäße der Schock-Patienten und lässt ihren Blutdruck rapide absinken. Eine neue Arznei aus Münchener Biotechschmieden soll nun NO effizient abfangen.
Der Blutdruck fällt rasant ab, das Herz schlägt wie verrückt. Die kleinen Blutgefäße werden porös, und es dringt Wasser ins Gewebe. Schließlich kollabiert der Kreislauf und es gelangt immer weniger Blut zu den Organen. Häufig stellen zuerst die Nieren ihren Dienst ein, dann der Darm, die Leber und die Lunge. Der septische Schock ist in Kliniken ein alltägliches Szenario: Jeden Tag sterben in Deutschland rund 165 Menschen an dieser schweren Form der Blutvergiftung.
Trotz modernster Apparate müssen Ärzte auf Intensivstationen häufig hilflos zusehen, wie viele ihrer Patienten oftmals binnen weniger Stunden dem septischen Schock erliegen. Fast alle neuen Arzneien, von denen sich die Mediziner in den vergangenen Jahren einen Ausweg aus dieser Misere erhofften, konnten die Erwartungen nicht erfüllen.
Anlass zu vorsichtigem Optimismus gibt nun eine neue Substanz, die das Biotechnologie-Unternehmen Curacyte aus München entwickelt hat. Hemoximer (PHP) befindet sich im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Erprobung und könnte in vier Jahren auf den Markt kommen. Das Molekül bekämpft den niedrigen Blutdruck, eine der Hauptursachen des septischen Schocks, der Jahr für Jahr vergleichbar viele Opfer wie der Herzinfarkt fordert.
Feindliche Keime machen sich breit
Am Anfang der Erkrankung steht eine meist relativ harmlose Infektion. Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten dringen in den Körper ein und setzen sich dort fest. Wenn es den körpereigenen Abwehrtruppen nicht gelingt, die feindlichen Keime zu vernichten, breiten sich deren Giftstoffe über den ganzen Körper aus - eine Sepsis entsteht. Meist geschieht dies, wenn die Abwehrkräfte ohnehin geschwächt sind: oft bei älteren Menschen oder nach einer schweren Operation.
Weil eine Sepsis mit relativ unspezifischen Symptomen wie zum Beispiel Fieber, niedrigem Blutdruck oder beschleunigtem Herzschlag beginnt, wird sie oft spät erkannt. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium sinken die Überlebenschancen der Patienten jedoch rapide. Denn dann sorgen Signalstoffe des Immunsystems dafür, dass die Endothelzellen, die das Innere der Blutgefäße auskleiden, immer mehr Stickstoffmonoxid (NO) herstellen. Das kleine Molekül bewirkt, dass sich Blutgefäße ausdehnen können.
In kleinem Maßstab ist das durchaus sinnvoll, weil dann die von der Infektion betroffenen Gewebe besser durchblutet werden. Bei einer schweren Sepsis jedoch fängt dieser Prozess an, alle Gefäße zu erfassen - sie weiten sich aus und werden schließlich löchrig. Die Folge: Der Blutdruck sackt ab, enorme Flüssigkeitsmengen sickern von den Gefäßen ins Gewebe und lassen es anschwellen.
NO zerstört Bindungsstellen
Um den Blutdruck wieder zu erhöhen, pumpen die Mediziner den Patienten viel Flüssigkeit in die Blutbahn. Zusätzlich geben sie ihnen Katecholamine, wie Adrenalin oder Noradrenalin, die bewirken sollen, dass sich die Gefäße wieder zusammenziehen. Doch weil das NO die Bindungsstellen für die Arzneien zerstören kann, sind die Ärzte oft machtlos. „Fast die Hälfte der Patienten spricht im Laufe der Behandlung nicht mehr auf Noradrenalin an“, sagt Erwin Böhm, Medizinischer Direktor von Curacyte.
Hemoximer soll nun das giftige NO unschädlich machen. Die Substanz ist eine chemisch veränderte Variante des Farbstoffs Hämoglobin, dem zentralen Bestandteil der roten Blutkörperchen. Beide Moleküle verbinden sich nicht nur mit lebenswichtigem Sauerstoff, sondern ebenso wirkungsvoll mit NO, das dadurch oxidiert wird und so seine Wirkung verliert. „Weil rote Blutkörperchen jedoch relativ groß sind, passen sie nicht zwischen die Endothelzellen, um dort das überschüssige NO abzufangen“, sagt Böhm. Hemoximer hingegen ist so klein, dass es auch zwischen die Zellen dringt.
Hemoximer stabilisiert den Kreislauf
In einer klinischen Studie konnten US-amerikanische Mediziner zeigen, dass Hemoximer den Blutdruck binnen einer halben Stunde über die kritische Schwelle anhebt und das Herz-Kreislauf-System stabilisiert. Insgesamt nahmen 62 Schock-Patienten an dieser Studie teil, deren Ergebnisse vergangenes Jahr in der Fachzeitschrift Critical Care Medicine veröffentlicht wurden.
Alle Probanden erhielten die Standardtherapie mit Katecholaminen, 33 wurden zusätzlich mit dem NO-Fänger behandelt. In der Hemoximer-Gruppe konnten die Mediziner sowohl die Katecholamine schneller absetzen als auch die künstliche Beatmung früher beenden. Zehn Tage nach Behandlungsbeginn lebten noch rund 70 Prozent der Testpersonen, die Hemoximer erhielten – im Gegensatz zur Kontrollgruppe, in der nur 52 Prozent der Patienten dieses Ziel erreichten.
Allerdings verfehlten die Mediziner das Hauptziel der Studie: Nach 28 Tagen waren in beiden Gruppen annähernd gleich viel Patienten (58% bzw. 59%) verstorben. „Mit Hemoximer können wir nur den Kreislauf von Schock-Patienten stabilisieren, die Infektion bekommen wir damit nicht in Griff“, begründet Böhm das enttäuschende Ergebnis. „Wir gewinnen aber Zeit, um die eigentliche Ursache besser bekämpfen zu können.“
Alternative zur Standardtherapie
Auch Intensivmediziner wie Prof. Martin Westphal von der Universität Münster wünschen sich eine Alternative zu den Katecholaminen: „Hemoximer könnte uns dabei helfen, den Kreislauf solange zu stabilisieren, bis die kausale Therapie greift – vor allem bei den Patienten, bei denen die Katecholamine nicht mehr wirken“, so Westphal. Diese haben momentan eine Mortalitätsrate von mehr als 75 Prozent.
Curacyte hat diesen Juni begonnen, die klinische Wirksamkeit und Sicherheit des Mittels nochmals an 454 weiteren Schock-Patienten zu testen. Im Rahmen einer placebokontrollierten Studie werden diesmal jedoch nur Personen aufgenommen, bei denen die Wirkung der Katecholamine schon nachgelassen hat. Böhm rechnet in zwei Jahren mit ersten Ergebnissen. Verläuft die Studie erfolgreich, könnte Hemoximer 2013 zugelassen werden.