Die Diagnose „hochgradiges Gliom“ kam bisher einem Todesurteil gleich. Jetzt weckt eine Arznei einer Regensburger Firma neue Hoffnungen: In einer klinischen Studie blockierte Trabedersen wirkungsvoll das Wachstum der aggressiven Gehirntumoren.
Hochgradige Gliome zählen zu den häufigsten, aber auch am schwierigsten zu bekämpfenden Tumoren des Gehirns. Bislang sind sie unheilbar, die Überlebensdauer der Patienten beträgt nach der Diagnose nur einige Monate bis wenige Jahre. Mediziner unterteilen die hochgradigen Gliome in Glioblastome und anaplastische Astrozytome. Beide haben ihren Ursprung in den Astrozyten, die zum Stützgewebe des Gehirns gehören und die Neuronen mit Nährstoffen versorgen. Das extrem aggressive Glioblastom tritt häufiger auf als sein etwas weniger bösartiger Verwandter.
Machen sich Glioblastome und anaplastische Astrozytome durch epileptische Krampfanfälle, halbseitige Lähmungen, Veränderungen der Persönlichkeit oder Sehstörungen bemerkbar, haben einzelne Krebszellen praktisch immer schon das gesunde Gehirngewebe infiltrativ durchwandert. Da eine vollständige Heilung nicht möglich ist, zielt die Therapie darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung möglichst zu verlangsamen: Zuerst wird das Tumorgewebe operativ so weit wie möglich entfernt. Anschließend folgt eine Strahlentherapie, meist in Kombination mit einer Chemotherapie, um die verbleibenden Krebszellen zu vernichten.
Protein bildet Schutzwall um Krebszellen
Dennoch kommt es bei fast allen Patienten unausweichlich zu einem erneuten Ausbruch der Erkrankung. Onkologen suchen daher händeringend nach neuen Möglichkeiten, wie man die Krebszellen zielgenauer angreifen könnte. Im Blickpunkt steht dabei vor allem das Protein TGF-beta2, das hochgradige Gliome in großen Mengen ausschütten. Es bildet eine Art Schutzwall um die Krebszellen, so dass das Immunsystem die Tumoren nicht mehr erkennen und bekämpfen kann. Mit dem Wirkstoff Trabedersen der Regensburger Biotechnologie-Firma Antisense Pharma könnte es nun gelingen, diesen Schutzwall einzureißen. Trabedersen gehört zur Klasse der Antisense-Therapeutika und besteht aus 18 Nukleotiden. Es wird über einen Katheter direkt in das Tumorgewebe gepumpt. Das kleine Molekül heftet sich im Inneren der Krebszellen an die Boten-RNA, die den Bauplan des Proteins TGF-beta2 enthält. Die Anlagerung von Trabedersen an den Bauplan führt dazu, dass die Krebszellen ihn nicht mehr ablesen und somit kein schädliches Protein mehr produzieren können.
Immunzellen starten Kampf gegen den Tumor
„Die Immunabwehr kommt wieder in Gang und ist in der Lage, die Krebszellen wirkungsvoll zu bekämpfen“, sagt Karl-Hermann Schlingensiepen, Geschäftsführer von Antisense Pharma. Um das zu beweisen, brachten die Forscher von Antisense Pharma Immunzellen und Krebszellen zusammen. Die beiden Zelltypen entstammten jeweils Patienten, die an einem hochgradigen Gliom litten. Schlingensiepen: „Nur wenn wir Trabedersen hinzufügten, wurden die Krebszellen in kurzer Zeit zerstört.“ Dass die neuartige Arznei aber nicht nur im Reagenzglas wirkt, sondern auch die Überlebenszeit von Patienten verlängern kann, zeigte eine internationale Studie unter der Leitung von Professor Ulrich Bogdahn, Direktor der Klinik für Neurologie an der Universität Regensburg. Bogdahn und seine Kollegen behandelten im Rahmen der klinischen Phase-IIb-Studie 39 Probanden mit einem anaplastischen Astrozytom und 95 Probanden mit einem Glioblastom, deren Tumoren entweder wieder aufgetreten waren oder auf die Standardtherapie nicht angesprochen hatten.
Patienten überleben doppelt so lange
Die Studienteilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Versuchsgruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt die momentan gebräuchliche Standardchemotherapie, die anderen beiden Gruppen Trabedersen, entweder in einer höheren oder in einer niedrigen Dosierung. Die Behandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von sechs Monaten. Zwei Jahre nach Studienbeginn lebten noch 83,3 Prozent der Patienten mit einem anaplastischen Astrozytom, die mit niedrig dosiertem Trabedersen und 53,3 Prozent der Patienten, die mit hoch dosiertem Trabedersen behandelt worden waren, aber nur 41,7 Prozent der Patienten in der Chemotherapiegruppe. Bei den Glioblastom-Patienten war der Unterschied weniger ausgeprägt: Hier waren nach zwei Jahren noch 19,2 Prozent der Personen am Leben, die niedrig dosiertes Trabedersen erhalten hatten, im Vergleich zu 15,2 Prozent der Personen, denen das Chemotherapeutikum verabreicht worden war. Bei Glioblastom-Patienten jedoch, die jünger als 55 Jahre waren und zu Studienbeginn noch eine hohe Lebensqualität aufwiesen, war die Wahrscheinlichkeit, zwei Jahre zu überleben, nach der Behandlung mit niedrig dosiertem Trabedersen dreimal so hoch wie nach der Behandlung mit einem Chemotherapeutikum.
Wirkung auch nach Therapieende
Bogdahn sieht in diesen Ergebnissen einen großen Fortschritt gegenüber den bisherigen Therapien: „Trabedersen war vor allem in der Behandlung des anaplastischen Astrozytoms einem Chemotherapeutikum deutlich überlegen“, sagt der Regensburger Neurologe. „Auch die Verträglichkeit ist sehr gut, Trabedersen hat praktisch keine Nebenwirkungen.“ Die Wirkung von Trabedersen setze zwar erst etwas später ein, bleibe aber nach Ende der Behandlung bestehen. Bogdahn: „Das macht es wahrscheinlich, dass durch Trabedersen die Immunabwehr wieder auf die Tumorzellen aufmerksam wird.“ Dass das Immunsystem für die Zerstörung der Tumorzellen verantwortlich ist, unterstreicht auch folgende Beobachtung: „Bei einigen Patienten, bei denen der Tumor an verschiedenen Stellen im Gehirn auftrat, verschwand der Tumor nicht nur dort, wohin Trabedersen gepumpt wurde, sondern auch an den unbehandelten Stellen“, berichtet Schlingensiepen. Angespornt von den positiven Resultaten möchte das Unternehmen mit einer Zulassungsstudie die Wirksamkeit von niedrig dosiertem Trabedersen im Vergleich zur Standardchemotherapie endgültig belegen. Die international angelegte Studie hat vor wenigen Monaten begonnen. Insgesamt können rund 130 Patienten mit einem anaplastischen Astrozytom aufgenommen werden, bei denen die Tumore nach erfolgter Standardtherapie erneut aufgetreten sind oder die nicht auf die Standardtherapie angesprochen haben. Für Glioblastom-Patienten ist eine ähnlich aufgebaute Studie geplant.