Die Einigung zur Honorierung parenteraler Rezepturen hat nicht für die erhoffte Ruhe an der Front gesorgt. In Berlin hat die AOK jetzt parenterale Rezepturen für Krebspatienten ausgeschrieben. Es droht ein ruinöser Preiskampf.
Eigentlich war alles schick gewesen. Zum Jahresende hatten sich der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Deutsche Apothekerverband doch noch über eine neue Anlage 3 zur Hilfstaxe geeinigt. Das Papier war von den Krankenkassen zuvor einseitig aufgekündigt worden. Die neuen Eckpunkte zur Ermittlung der Apothekenabgabepreise bei parenteralen Rezepturen wurden nach der Einigung von beiden Seiten gelobt.
Europäer, schaut auf diese Stadt!
Die Vereinbarung enthält unter anderem die Regelung, dass die verbrauchten Mengen bei parenteralen Rezepturen aus Fertigarzneimitteln anteilsmäßig abgerechnet werden. Sie präzisiert außerdem die Apothekenabschläge. Endlich Klarheit und vor allem Einheitlichkeit also? Negativ. Denn die zum 1. Januar 2010 frisch fusionierte AOK Berlin-Brandenburg ist gewissermaßen in den Flitterwochen prompt mal mit einer Meldung vorgeprescht, in der sie bekannt gibt, dass sie für parenterale Rezepturen aus Fertigarzneimitteln bei onkologischen Patienten Einzelverträge abschließen möchte.
Das Ganze geschieht zunächst in Berlin, soll aber bei Erfolg auf Brandenburg ausgedehnt werden. Konkret läuft die Ausschreibung berlinweit in insgesamt 13 Gebieten. Dabei kann ein Apotheker jeweils nur ein Gebiet versorgen, übernimmt dort dann aber bei einem Zuschlag sämtliche parenteralen Rezepturen aus Fertigarzneimitteln für onkologische AOK-Patienten. Einzige Ausnahme sind Fälle, in denen die Versorgung durch eine von drei Krankenhausapotheken erfolgt, mit denen die AOK Berlin-Brandenburg ebenfalls Verträge unterhält. Das sind derzeit die Apotheken der Charité Berlin, der Helios-Kliniken in Berlin-Buch und des Paritätischen Krankenhauses Lichtenberg. Die Ausschreibung umfasst sowohl Chemotherapeutika als auch Biologicals, deren Bedeutung in der Onkologie und damit in der parenteralen Arzneimittelversorgung ständig zunimmt. Vertragsbeginn ist nach dem Willen der AOK der 1. April. Die Laufzeit der Verträge liegt vorerst bei einem Jahr. Den Zuschlag erhält, wer den günstigsten Preis bietet. Interessanterweise handelt es sich bei der Ausschreibung um ein EU-weites, offenes Verfahren. Es ist demnach nicht zwangsläufig, dass sich die 13 künftigen „AOK-Apotheker“ ausschließlich aus jenen knapp 30 Apotheken rekrutieren, die in Berlin derzeit parenterale onkologische Rezepturen herstellen.
Das Kartellamt soll schuld sein…
Die Reaktionen aus den Reihen der Apothekerschaft ließen nicht lange auf sich warten. Berliner Apotheker-Verein und Deutscher Apothekerverband zeigten sich angesichts der Tatsache, dass die Verhandlungen zur Anlage 3 der Hilfstaxe gerade erst abgeschlossen worden waren, in höchstem Maße verwundert. Interessant ist vor diesem Hintergrund vor allem die Begründung der AOK für ihren Schritt: Sie habe einen vergaberechtlich sicheren Weg wählen wollen, so die Krankenkasse. Das klingt nach einer Ohrfeige für die Verhandlungsführer.
Der eigentliche Grund dürften freilich finanzielle Erwägungen gewesen sein. Einsparungen sollen laut AOK vor allem bei den Einkaufspreisen der Rezepturbestandteile realisiert werden. Die Apotheker treibt jetzt die Sorge um, dass jene Apotheken, die parenterale Rezepturen herstellen und im Vergabeverfahren nicht zum Zug kommen, aus dem Parenteral-Geschäft mangels Rentabilität ganz aussteigen könnten. Ob das passiert, ist allerdings zweifelhaft: Die AOK Berlin-Brandenburg ist in der Region keine übermäßig dominante AOK. Sie gibt nach der Fusion 1,3 Millionen Versicherte an. Das ist etwa ein Fünftel der Bevölkerung Berlins und Brandenburgs.