Arzneimittel aus Goethes Lieblingsbaum gehören im Land der Dichter und Denker traditionell zu den lokalen Blockbustern. Doch Goethe hin oder her: Vor geistigem Verfall schützt Ginkgo nicht, sagen US-Forscher, die tausende Ginkgo-Nutzer viele Jahre lang beobachtet haben.
Seit Johann Wolfgang von Goethe in seinem Westöstlichen Diwan dem Ginkgo-Baum ein eigenes Gedicht – hier im gescannten Original bei Wikipedia – gewidmet hat, ist die an sich komplett undeutsche Pflanze quasi ein germanisches Kulturgut geworden. Und als solches wurde der Ginkgo mit Symbolik überladen, zuletzt vom urdeutschen Kuratorium Baum des Jahres, das den Ginkgo anlässlich der letzten Jahrhundertwende zum Baum des Jahrtausends und zu einem Mahnmal für Umweltschutz und Frieden ernannte.
GKV goes Goethe
Bei so viel Pathos wundert es nicht, dass die Deutschen den Ginkgo auch als Heilpflanze lieb gewonnen haben – aufbauend auf fernöstlichen Traditionen, die dem Baum ebenfalls und schon sehr lange eine heilende Wirkung zusprechen. Während allerdings im fernen Osten die klassische Ginkgo-Medikation darin besteht, täglich zwölf der etwas merkwürdig schmeckenden Ginkgo-Samen mit der ebenfalls merkwürdigen Konsistenz eines halb eingetrockneten Hubba-Bubba zu schlucken, fand der Ginkgo in unseren Breiten den Weg in standardisierte medizinische Präparate. Die kommen in erster Linie als Mittel zur Prävention und Therapie von Gedächtnisstörungen beziehungsweise Demenzsymptomen zum Einsatz. Längst gehört der deutsche Markt zu den wichtigsten Ginkgo-Märkten weltweit. Und weil Goethe im Spiel ist, kann auch die Gesetzliche Krankenversicherung nicht „Nein“ sagen. Zur Therapie der Demenz fand das OTC-Präparat Ginkgo seinen Weg in die berühmte Anlage 1 der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss. Das ist die Liste jener Medikamente, die die GKV bei entsprechender Indikation trotz OTC-Status erstattet.
Großstudie findet auch in neuerlicher Auswertung keinen Effekt
Zweifel an der Wirksamkeit von Ginkgo gibt es allerdings zu Hauf. Aktuell machen US-amerikanische Wissenschaftler mit der der Neuauswertung einer Großstudie auf sich aufmerksam, die dem Ginkgo bereits im Jahr 2008 einen deutlichen Dämpfer versetzt hatte. In dieser damals im Journal oft he American Medical Association publizierten, placebokontrollierten Studie hatten über 3000 Probanden täglich zweimal 120mg Ginkgo-Extrakt oder Placebo eingenommen. Die Behandlungsdauer lag im Median bei bemerkenswerten sechs Jahren. Die Probanden hatten vorher im Wesentlichen keine Gedächtnisstörungen. Nur bei einigen hundert lag eine milde kognitive Beeinträchtigung (MCI) vor. Primärer Endpunkt war die Demenz-Inzidenz. Sie lag bei 3,3 pro hundert Personenjahre in der Ginkgo-Gruppe und bei 2,9 in der Placebo-Gruppe. Nichts zu holen also.
So weit, so bekannt. Nachdem Ginkgo-Fans verständlicherweise etwas unglücklich über diese Ergebnisse waren, haben die Autoren der Studie jetzt an selber Stelle eine Nachuntersuchung publiziert, bei der es darum ging, ob Ginkgo nicht zumindest die Geschwindigkeit des geistigen Abbaus bremst. Die These dabei war, dass die Demenz-Inzidenz in der Studienkohorte zu gering beziehungsweise die Studiendauer nicht lang genug war, um vorhandene protektive Effekte zu zeigen. Doch Ginkgo zog erneut eine Niete: Auch wenn die Studienautoren die Veränderungen im modifizierten Mini Mental-State ausgewertet haben und nicht die Demenz-Inzidenz per se, gab es keinen Hinweis auf eine Überlegenheit von Ginkgo gegenüber Placebo.
Auch das IQWiG ist anfällig für das Ginkgo-Pathos
Dass Ginkgo nach diesen neuerlich negativen Daten in Deutschlands Apotheken nicht mehr über den HV-Tisch wandert, darf allerdings als unwahrscheinlich gelten. Der Grund ist unter anderem oben genannte Anlage 1 der G-BA-Arzneimittel-Richtlinie, bei der Ginkgo zwar nicht zur Prävention aber zumindest zur Therapie der Demenz als erstattungsfähig angesehen wird. Dass Ginkgo in diesem Kontext wirkt, ist zwar genauso umstritten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat die Studienlage zu Ginkgo als Demenztherapeutikum in einem im November 2008 erschienen Bericht als unklar bezeichnet. In einer ziemlich verquast formulierten Meldung wurde damals allerdings der an sich negative Gesamtbefund mit Verweis auf zwei öffentlich nur teilweise zugängliche ukrainische Studien etwas sehr bemüht ins leicht positive gedreht, was dem Institut einiges an Kritik eingebracht hat. Dennoch bleibt damit jene Möglichkeit einer Wirksamkeit im Raum, die bei einem Präparat wie Ginkgo ausreicht, um weiterhin geliebt zu werden. Denn mal ehrlich, es geht ja nicht nur um die Demenz, sondern um etwas viel Höheres:
Dieses Baumes Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Gibt geheimen Sinn zu kosten Wie’s den Wissenden erbaut.
Sagt Goethe. Und der muss es wissen.