Sie ist die strenge alte Dame der Vorklinik, sie verlangt Disziplin und sie erwartet die meisten Medizinstudenten gleich zu Beginn ihrer Laufbahn: Die makroskopische Anatomie ist der erste echte Härtetest im Medizinstudium. Wie diese Aufgabe erfolgreich zu meistern ist und wie viel Freude der Präpkurs dabei bereiten kann, erzählt uns Fabian Rengier.
Fabian Rengier studiert seit Oktober 2005 Medizin in Heidelberg und absolvierte im September 2007 den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung. Unterstützt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst verbringt er gerade ein Auslandsstudienjahr an der St. George’s University of London.
DocCheck Campus: Wenn Du Dich an die blutigen Anfänge als Ersti erinnerst, wie ging es Dir, als Du zum ersten Mal im Präpsaal vor der Leiche standest?
Fabian: Als erstes empfand ich großen Respekt und eine hohe Achtung vor dem Menschen, der seinen Körper dem Anatomie-Institut gespendet hatte, damit wir Medizinstudenten würden von ihm lernen können. Zugleich erwartete ich mit unglaublicher Spannung den Beginn des Präparierens gemischt mit Ungewissheit, was der Präparierkurs genau mit sich bringen würde.
DocCheck Campus: Hattest Du gleich einen gewissen Durchblick oder hast Du Dich vom Lernstoff erstmal überfordert gefühlt?
Fabian: Zunächst einmal muss gesagt werden, dass der Kurs einen ja Schritt für Schritt durch die Anatomie führt. Ich hatte fünf Prüfungen in der makroskopischen Anatomie verteilt über ein Wintersemester, die Lernpakete waren also vorgegeben. Immer wieder gerne zitiere ich einen Tutor aus meiner Ersti-Woche, der sinngemäß sagte, dass man sich hinsichtlich der Menge an Lernstoff gedanklich darauf einstellen könne, alle drei Wochen Abitur zu schreiben. Ich finde, dass dies durchaus zutrifft. Ich habe über den gesamten Präparierkurs recht regelmäßig und intensiv gelernt und habe damit die Erfahrung gemacht, mich in dem jeweiligen Stoffgebiet sicher zu fühlen. Den vollen Durchblick hat man am Anfang angesichts des limitierten anatomischen Wissens und des Stands im Studium aber nicht. Das Schöne ist, dass sich das Gesamtbild nach und nach vervollständigt, so dass ich bis zum Physikum immer wieder Aha-Erlebnisse hatte.
DocCheck Campus: Was hat Dir eher Schwierigkeiten bereitet?
Fabian: Ich fand solche Themen schwieriger, bei denen man nichts oder nur wenig präparieren konnte und bei denen es viel auswendig zu lernen gab, weil Verständnis und Vorstellung nur bedingt weiterhalfen. Konkret fallen mir spontan Ursprünge und Ansätze von Muskeln, Nervenbahnen im Rückenmark oder die Embryologie ein.
DocCheck Campus: Und was hat Dir besonders Spaß gemacht?
Fabian: Besonders Spaß gemacht haben mir die Präparation und das Lernen von Thorax und Abdomen. Die Organe und großen Leitungsbahnen fand ich besonders anschaulich und spannend. Hier habe ich auch meine Lieblingsorgane Herz und Aorta gefunden.
DocCheck Campus: Gab es etwas, das Dir speziell in Erinnerung geblieben ist?
Fabian: Das obere Mediastinum. Hier kommen so viele zentrale Leitungsbahnen auf engstem Raum zusammen. Die topographischen Verhältnisse sind äußerst faszinierend, und ich habe immer noch das dreidimensionale Bild vom präparierten Mediastinum im Kopf.
DocCheck Campus: Für wie wichtig erachtest Du die Anatomie im späteren Studium und im Beruf?
Fabian: Über den Vergleich zu den anderen großen Grundlagenfächern Physiologie und Biochemie lässt sich streiten, aber ich halte die Anatomie für das wichtigste Grundlagenfach. Insbesondere in chirurgischen Fächern sind fundierte Anatomie-Kenntnisse von großer Bedeutung. Neben den verschiedenen Subdisziplinen der Chirurgie denke ich auch an Fächer wie Gynäkologie, Urologie oder Ophthalmologie. Aber auch in nicht-chirurgischen Fächern wie Kardiologie, Gastroenterologie oder Radiologie sind anatomische Kenntnisse unentbehrlich. Konsequenterweise wird man im klinischen Studienabschnitt immer wieder mit Fragen zur Anatomie konfrontiert. Zutreffend finde ich daher das Zitat des 1781 bis 1861 lebenden Anatomen Friedrich Tiedemann, der sagte: „Ärzte ohne Anatomie sind Maulwürfen gleich: sie arbeiten im Dunkeln, und ihrer Hände Tagewerk sind Erdhügel.“
DocCheck Campus: Worauf sollte man besonders Wert legen?
Fabian: Ich möchte hier ein paar allgemeine Dinge, kein bestimmtes anatomisches Thema in den Vordergrund stellen. Ich kann nur empfehlen, die Zeit im Präparierkurs auszunutzen. Zum einen heißt das, so viel wie möglich zu präparieren, am besten besonders intensiv in einer ausgewählten Region. Die wird man dann nicht mehr vergessen. Zum anderen heißt das, sich mit der präparierten Leiche zu beschäftigen, um die Topographie, also die räumlichen Beziehungen, gesehen, verstanden und verinnerlicht zu haben. Dieses Verständnis ist dauerhaft und hilft einem im gesamten Studium enorm weiter. Unterliegt man der Versuchung, nur das Buch aufzuschlagen und auswendig zu lernen, gerät das Anatomie-Wissen schnell wieder in Vergessenheit, was man spätestens vor dem Physikum und dann im restlichen Studium immer wieder bereuen wird. Nicht in den Vordergrund, aber auch nicht vernachlässigen sollte man die Embryologie. Denn die Gefahr besteht, dass sie zu kurz kommt. Ein Grundverständnis der Embryologie ist jedoch für die gesamte makroskopische Anatomie hilfreich, da sich so vieles eben durch die Embryologie ergibt und erklärt.
DocCheck Campus: Wie hast Du den Lernstoff bewältigt?
Fabian: Ich habe mir in einem Schnelldurchgang immer erst die Grundlagen angeeignet. Dann habe ich parallel zum Präparierkurs mehr und mehr Details gelernt. Geholfen hat mir stets, systematisch vorzugehen.
DocCheck Campus: Welche Lehrbücher kannst Du loben?
Fabian: Im Moment tut sich einiges im Bereich der Anatomie-Lehrbücher, so dass ich heute nicht mehr die Bücher verwenden würde, die mir damals zur Verfügung standen. Ein gutes, nicht zu ausführliches Lehrbuch zur makroskopischen Anatomie ist der „Intensivkurs Anatomie“. Insbesondere zur Wiederholung und als hervorragendes Nachschlagewerk für die Uni und unterwegs eignet sich das „Benninghoff Taschenbuch Anatomie“. In den gängigen Lehrbüchern oder Lernatlanten werden die Leitungsbahnen, also Arterien, Venen, Nerven und Lymphbahnen, oft unsystematisch oder unzureichend dargestellt. Mit dem Verfassen des „Basics Anatomie – Leitungsbahnen“ wollte ich diese Lücke schließen. Dieses Buch erleichtert insbesondere begleitend zum Präparierkurs das Lernen der Leitungsbahnen.
DocCheck Campus: Wovon würdest Du eher abraten?
Fabian: Lehrbücher, die nach Topographie, nicht nach Systematik geordnet sind, würde ich mir persönlich nicht anschaffen. Ultra-Kurzlehrbücher sollte man zum erstmaligen Lernen auf keinen Fall verwenden; Sie können aber zur Wiederholung und vor dem Physikum wertvolle Dienste leisten.
DocCheck Campus: Welche zusätzlichen Lernhilfen kannst Du empfehlen?
Fabian: Ich empfehle, einen Blick auf die anatomischen E-Learning-Videos zu werfen, die DocCheck erstellt hat. Diese können kostenlos auf den DocCheck-Seiten angeschaut werden. Vorgefertigte Lernkarten, etwa von Sobotta, werden von einigen Kommilitonen empfohlen. Ich persönlich habe damit keine Erfahrung. Repetitorien sind sinnvoll zur Wiederholung vor Testaten oder dem Physikum. Aktuelle Termine finden sich etwa auf dem Internet-Auftritt meines Repetitorien-Projekts (www.stark-anatomie.de).
DocCheck Campus: Und noch ein Tipp zum Schluss?
Fabian: Spaß haben, am Ball bleiben sowie verstehen, nicht nur auswendig lernen. Um möglichst viel vom Präparierkurs zu profitieren, sollte man mit dem Lernen immer mindestens auf dem Stand des Präparierkurses sein. Langfristig mehr hat man davon, wenn man die Anatomie, insbesondere die Topographie, durchdenkt und versucht, ein dreidimensionales Verständnis des menschlichen Körpers zu entwickeln. Nur auswendig Gelerntes vergisst man schneller. Außerdem macht die Anatomie mit dem gewonnenen Verständnis und den Aha-Erlebnissen viel mehr Spaß!