Das Immunsystem von Frauen und Männern ist sehr unterschiedlich. Frauen haben bessere Chancen, schwere Infektionen zu überleben. Bei Autoimmunerkrankungen sind sie allerdings eher betroffen: Rund 80 Prozent der Patienten sind weiblich.
Männer sind empfänglicher gegenüber pathogenen Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten. Statistiken zeigen, dass Frauen im Allgemeinen die besseren Chancen haben, schwere Infektionen zu überleben. Die Vermutung liegt nahe, dass somit Sexualhormone einen gewichtigen Einfluss auf das Immunsystem haben und schließlich beim weiblichen Geschlecht für die effektivere Abwehr sorgen. Allem Anschein nach ist das Hormon-Signalling zwar an einer Vielzahl von Effekten beteiligt. Immer deutlicher wird aber auch, dass Gene auf dem X- und Y-Chromosom eine bedeutende Rolle spielen. Das zeigt eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift PNAS vor einigen Wochen.
Dazu züchteten Cory Teuscher und ihre Kollegen von der University of Vermont Mäuse, deren Erbgut in allen Chromosomen außer dem Y-Chromosom übereinstimmte und konfrontierten die Tiere mit pathogenen Influenza A und Coxsackie B3 Viren. Je nach Herkunft des Y-Chromosoms unterschieden sich die Immunantworten gegen Influenza. Bestimmte Varianten förderten Entzündungsvorgänge in der Lunge und die Aktivierung von entsprechenden Zytokinen wie etwa IL-17. Eine ähnliche Segregation im Hinblick auf das männliche Geschlechtschromosom fanden die Forscher bei Antworten auf Coxsackieviren. Frühere Studien zeigen, dass Autoimmunprozesse wie etwa das MS-Modell in der EAE-Maus (experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis) ebenfalls von Genen auf dem Y-Chromosom abhängig sind. Infektionen mit Influenza A-Stämmen sorgten in den letzten hundert Jahren für etwa eine Million Todesopfer. Dabei waren Frauen in diesem Fall wesentlich häufiger und schlimmer betroffen als Männer. Ganz ähnlich sieht es auch bei Infektionen mit dem HI-Virus aus. Nach einer Infektion mit dem Virus haben Frauen zwar rund 40 Prozent weniger RNA im Blut als Männer. Trotzdem ist das Risiko für einen AIDS-Ausbruch bei ihnen 1,6 mal höher. Wenn es sich um schwerwiegende Infektionen bei einer Sepsis dreht, unterscheiden sich die Haupterreger allein schon durch die unterschiedliche Anatomie von Mann und Frau: Beim weiblichen Geschlecht wandern die Keime meist über den Urogenitaltrakt ein und sind eher gram-negativ, während sich die überwiegend gram-positiven Erreger bei Männern eher den Weg über die Atemwege in den Körper suchen.
Aber auch bei Angriffen des Immunsystems auf den eigenen Körper unterscheiden sich die Geschlechter. Rund 80 Prozent der Patienten mit einer Autoimmunkrankheit sind weiblich. Asthma bei Frauen kommt häufiger vor und ist stärker. Das Gleiche gilt auch für systemische anaphylaktische Reaktionen. Wenn das Immunsystem den eigenen Verdauungstrakt bei einem Reizdarmsyndrom angreift, geschieht das bei Frauen zwei bis vier mal häufiger als bei Männern. Schließlich unterscheiden sich die Geschlechter auch bei ihrer Reaktion auf Schutzimpfungen. Bei fast allen gebräuchlichen Vakzinierungen ist die Antikörper-Antwort bei Frauen wesentlich höher als bei Männern. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Mädchen eine geringere Impfstoff-Dosis für den gleichen Titer als Jungen benötigen. Jedoch liegt bei ihnen auch die Gefahr lokaler und systemischer Reaktionen höher. Auf alle Typen pathogener Mikroorganismen bezogen, sind Männer eher das Ziel einer Infektion als Frauen, die jedoch beim weiblichen Geschlecht meist auf eine massive Abwehr stossen und daher zu höheren Überlebensraten führen. Das gilt fast durchgängig für alle höheren Lebewesen. Beim Menschen finden sich beim Mann zwar höhere Titer an NK-Zellen, Neutrophile und Makrophagen sind dafür bei Frauen umso aktiver. Antigen-präsentierende Zellen (wie zum Beispiel dendritische Zellen) erledigen ihre Aufgabe bei Frauen deutlich besser als bei Männern.
Neben den Unterschieden im menschlichen Körperbau - wie etwa der größeren Schleimhautoberfläche im Genitaltrakt - spielen eine ganze Reihe von geschlechtsspezifischen Faktoren bei der Induktion der Immunantwort mit. Ein ganzes Arsenal an Genen auf dem X-Chromosom beeinflusst die Abwehr. Vor den rund 1100 Genen sind viele nicht von der Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms betroffen. Bei Mäusen sind es rund sieben Prozent, beim Menschen fünfzehn. Unter den X-chromsomal kodierten Proteinen finden sich wichtige Zytokine wie IL-13, IL-4 IL-10, aber auch TLR (Toll-like Rezeptor 7, wichtig für die angeborene Immunabwehr) oder FoxP3, ein Transkriptionsfaktor für regulatorische T-Zellen. Bisher wenig untersucht, aber anscheinend nicht weniger wichtig sind Gene auf dem Y-Chromosom, die von den Wissenschaftlern um Teuscher in Vermont genauer unter die Lupe genommen werden. Sexualhormone regulieren eine ganze Reihe von Stoffwechselwegen, unter anderem auch die Expression zahlreicher Gene auf B- und T-Zellen, Mastzellen, dendritischen Zellen, Makrophagen und NK-Zellen. Studien zeigten auch, dass Östrogene die Methylierungsmuster von Genen in Immunzellen beeinflussen. Dementsprechend sind diese Gene in Abhängigkeit vom Hormonspiegel aktiv. Testosteron schwächt die Aktivität von NK-Zellen und sorgt wie andere Androgene für antiinflammatorische Antworten. Auf der anderen Seite steht eine hormonunabhängige Regulation dieser epigenetischen Modifikationen durch Faktoren, die auf den Geschlechtschromosomen X und Y kodiert sind.
Adam Moeser und seine Kollegen von der Michigan State University fragten sich ebenso, warum Frauen stärker auf Stress und Allergene reagieren als Männer. Dazu nahmen sie sich einen der Hauptakteure bei diesen Reaktionen vor: Mastzellen. Im Vergleich zwischen den Geschlechtern fanden sie mehr als 8000 unterschiedlich exprimierte Gene. Am Mausmodell simulierten sie sowohl psychischen Stress als auch einen IgE-vermittelten anaphylaktischen Schock. Bei den weiblichen Nagern lag der Serum-Histamin-Spiegel höher und die intestinale Permeabilität erhöhte sich mehr als bei den männlichen. In den untersuchten Mastzellen speicherten die Mäusefrauen auch weit mehr Entzündungsmediatoren und setzten diese Faktoren auch frei. In den weiblichen Mastzellen sind die Granula dichter gepackt und enthalten mehr Immun-Mediatoren. © A. Moeser, Michigan State University Der genaue Mechanismus, der hinter der geschlechtsspezifischen Regulation der Immunabwehr steckt, ist immer noch weitgehend unverstanden. Lange Zeit galt das umstrittene Immunokompetenz-Handkap Modell. Es statuierte, dass unter anderem Testosteron die Ausbildung sekundärer männlicher Geschlechtsorgane stark fördere, das aber zu Lasten des Immunsystems, das dann eine höhere pathogene Last zulasse. Viele sehen diese Hypothese inzwischen als überholt an. Es scheint jedoch festzustehen, dass die effektive Immunantwort die Frau gegen schwerwiegende Infektionen schützt, aber entzündliche und Autoimmun-Krankheiten fördert.
Mehr Wissen über die genauen Mechanismen der unterschiedlichen Steuerung der Abwehr von Mann und Frau könnte vielleicht zu besseren Eingriffmöglichkeiten nicht nur bei Störungen oder Überreaktionen beim Kampf Mikrobe gegen Mensch führen. In Patienten mit Multipler Sklerose verlangsamt etwa eine topische Behandlung mit Testosteron die Gehirnatrophie. Aber auch bei der Planung und Interpretation von Studien verlangen die Kontrollbehörden in den USA und Europa immer öfter ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern - auch schon bei Tierversuchen im präklinischen Bereich. Wenn wir unsere Therapien immer weiter personalisieren wollen, kommen wir an einer Gender-Medizin nicht vorbei. Den Einfluss von Hormonen, Genen der Geschlechtschromosomen und nicht zuletzt unserer Umgebung aufzudröseln und einzeln zu studieren, ist dabei nur der erste Schritt.