Einsamkeit ist ansteckend, wie Psychologen entdeckten. Sie untersuchten anhand der Framingham Heart Study soziale Kontakte. Dabei zeigte sich, dass einsame Menschen ihr Befinden auf ihr Umfeld übertragen, wo es sich wie eine Kaskade ausbreitet.
Was haben ein grippaler Infekt und Einsamkeit gemeinsam? Sie sind beide ansteckend. Das hat der Psychologe Dr. John Cacioppo von der Universität Chicago nun gezeigt. Ebenso wie ein Grippevirus übertragen wird, kann sich auch Einsamkeit innerhalb einer Gemeinschaft ausbreiten. Der US-Wissenschaftler hat herausgefunden, dass einsame Menschen ihr direktes Umfeld tatsächlich mit dem Gefühl, allein und ausgeschlossen zu sein, infizieren können. »Es überträgt sich ebenso wie eine ansteckende Krankheit«, so Dr. Cacioppo.
Spurensuche über Generationen
Dr. Cacioppo und sein Team, die Psychologen Dr. Nicholas Christakis, Harvard Universität, und Dr. James Fowler, Universität von Kalifornien, nutzten für ihre Untersuchung den umfassenden Datenpool aus der Framingham Heart Study. Jener inzwischen geradezu legendären US-Studie, die seit 1948 kontinuierlich in dem Ort Framingham inmitten des US-Staates Massachusetts läuft. Was kardiovaskuläre Risiken aufdeckt, ermöglicht auch wertvolle Einblicke in soziale Netzwerke – ebenfalls über Generationen hinweg. An Hand dessen hatten Dr. Fowler und Dr. Christakis auch bereits die Epidemiologe von Glück untersucht.
Für das Phänomen Einsamkeit analysierten die US-Psychologen nun in ihrer Studie die zweite Framingham-Generation, die Kinder der »Veteranen« von 1948: In dieser ersten Kohorte waren über 5.200 Einwohner von Framingham, Männer und Frauen mittleren Alters, eingeschlossen. Beginnend mit dem Jahr 1984 werteten sie die Angaben von knapp über 4.500 Probanden aus. Diese hatten in Fragebögen vermerkt, wie viele Tage sie sich in der vorangegangenen Woche einsam gefühlt hatten – die Befragungen erfolgten regelmäßig alle zwei Jahre und über einen Zeitraum von zehn Jahren. An den jeweiligen Terminen fand zudem eine umfassende Anamnese der Probanden statt. Da die meisten Freunde und Familienangehörige der Befragten ebenfalls in der Studie erfasst waren, ließ sich gut überprüfen, »ob und wie Einsamkeit das soziale Netzwerk des Betreffenden beeinflusst«, so Dr. Cacioppo.
Die Ergebnisse der Auswertungen waren verblüffend: Das Gefühl der Isolation erwies sich als tatsächlich übertragbar. Hatte ein Proband in einer Befragung angegeben, sich einsam zu fühlen, wirkte sich das direkt auf seine nächste Umgebung aus. Von den nächsten Kontaktpersonen, Freunden oder Familienangehörigen des Betreffenden, fühlten sich laut Dr. Cacioppo »über 52 Prozent in der nächsten Befragung ebenfalls isoliert und einsam«. Dieser Effekt zeigte sich interessanterweise vermehrt unter Freunden als unter Familienangehörigen. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass Frauen anfälliger für die »Infektion« mit Einsamkeit sind und dass diese nicht nur das direkte Umfeld gefährdet: »Die Einsamkeit überträgt sich auch auf Personen, die mit Freunden oder Familienangehörigen von einsamen Menschen in Kontakt stehen«, so Dr. Fowler. Von diesen gaben 25 Prozent nach zwei Jahren in der Befragung an, ebenso ein Gefühl der Einsamkeit zu haben. Es gibt laut Dr. Fowler sogar »einen dritten Grad der Übertragung, denn zehn Prozent der Kontakte dieser Gruppe hatten beim nächsten Test selbst Einsamkeitsgefühle«.
Ansteckend isoliert...
Einsamkeit ist nicht Alleinsein – man kann sich bekanntlich in einer großen Menschenmenge sehr einsam fühlen. Nach den Worten von Dr. Cacioppo handelt es sich beim Gefühl des Einsamseins vielmehr um ein »fundamentales Empfinden, ebenso wie Hunger, Durst oder Schmerz«. Mit anderen Worten, so der Chicagoer Wissenschaftler, »ist Einsamkeit nicht das Symptom von sozialer Isolation, sondern die treibende Kraft dahinter«.
Wie jedoch wird der Einsamkeitsvirus übertragen? Durch negative Grundeinstellung, Misstrauen und Feindseligkeit: Neueste Untersuchungen zeigen, dass einsame Menschen verstärkt diese und andere nachteilige Verhaltensweisen an den Tag legen. Laut Dr. Cacioppo reagieren sie abweisend und oftmals aggressiv, sind schwierig im Umgang sowie übermäßig scheu und ängstlich ihrer Umwelt gegenüber. »Einsame sehen ihr soziales Umfeld vielfach als Bedrohung, denken schlecht über andere und misstrauen ihnen«. Ebenso fehl interpretieren sie Reaktionen anderer häufig als Ablehnung oder Angriff. Dieses Verhaltensmuster drängt die Betreffenden, nur verständlich, an den Rand ihres sozialen Netzwerkes und kostet sie nach und nach ihre Kontakte. Doch nicht nur das – die nächste Umgebung wird mit in den Strudel der Negativität und Ablehnung, kurz mit in die Einsamkeit gezogen.
Was umso brisanter ist, als dieser Zustand sowohl für die psychische als auch für die körperliche Gesundheit enormen Sprengstoff birgt. Inzwischen ist hineichend belegt, dass Einsamkeit zu Depressionen und Bluthochdruck führen kann, das Risiko für Demenzen erhöht und das Immunsystem schwächt, Schlafstörungen verursacht und die Freisetzung von Stresshormonen eskalieren lässt. Zudem, so Dr. Christakis, ernähren sich einsame Menschen ungesünder, vor allem fettreicher, konsumieren mehr Alkohol und Nikotin, und bewegen sich weniger als Zufriedene. Umso wichtiger ist es mithin, die Kaskade der Einsamkeit zu stoppen. Unter anderem empfehlen Dr. Cacioppo und seine Kollegen gewissermaßen als »Impfung« gegen den Einsamkeitsvirus, verlorene Bindungen so bald wie möglich zu ergänzen und Einsame vom Rand der Gesellschaft wieder in die Mitte zu holen: »Hier sind auch die Gemeinden und öffentliche Einrichtungen gefordert«.