In den vier Wänden körperlich aktiv: Geht das? Forscher eines Labors an der TU Berlin sagen: Ja. Wer zu faul oder zu immobil ist, das Haus zu verlassen, kann auf einem Cyber-Ergometer Platz nehmen und bei Google Earth das größte Laufrad der Erde bewegen.
Klar, Sie kennen Google Earth. Dieses nicht ganz kleine Programm erlaubt den simulierten Tiefflug über mittlerweile so ziemlich jedes Eckchen der Erde. Das ist nicht schlecht, wenn man sich nicht sicher ist, ob ein Urlaubshotel zwar mit der im Katalog abgelichteten Seite an einem Traumstrand, mit der Rückseite aber vielleicht doch eher an einer Albtraumautobahn liegt. Google Earth lässt sich aber auch für ein paar andere Dinge einsetzen. Höchst innovativ geht es beispielsweise im Fitnessraum des im DAI-Labor der Technischen Universität angesiedelten Innovationszentrums Vernetztes Leben, kurz IZ Connected, zu. Wer dort auf dem Ergometer Platz nimmt, kann eintauchen in eine Welt, die der Alltag von morgen sein will und das vielleicht auch ist.
Die ganze Welt ist unser Nürburgring!
Stellen Sie sich eine ältere Dame vor, die gerne ein bisschen Sport machen möchte, das aber nur gelegentlich tun kann, weil sie ungünstig wohnt. Klar, sie könnte sich ein normales Fahrradergometer kaufen. Das ist aber stinklangweilig. In Gesellschaft wäre diese Art der Gesundheitsübungen um einiges unterhaltsamer. Aber woher nehmen? Die Berliner Techniker geben auf diese Frage eine clevere Antwort. Die Dame setzt sich nicht auf ein herkömmliches Fahrradergometer, sondern auf eine Art Cyber-Bike, das via Internet mit Google Earth verbunden ist. Vor Beginn der Radtour sucht sie sich eine Rennstrecke aus, den Mullholland Drive in Los Angeles beispielsweise, oder irgendeine Passstraße in den Anden. Sie drückt auf Start und radelt los, während sich vor ihr, an einer weißen Wand, die Google Earth-Projektion auftut. Sie radelt also auf ihrer Wunschroute irgendwo in der Welt, ohne dafür auch nur ihr Wohnzimmer verlassen zu müssen.
Dank Kopplung an das Ergometer ist die Sache auch halbwegs realistisch: Wer schneller strampelt, bei dem zieht die Landschaft oder Straße auch schneller vorbei. Das Ganze ist zwar nicht die reale Fahrradperspektive, sondern ein Blick von halbschrägoben, weil Google Earth nicht mehr hergibt. Amüsanter als Hobbykellertapete ist das aber allemal. Der Witz an der Sache ist jetzt, dass die Forscher das ganze System auch noch an eine Art Web 2.0-Plattform gekoppelt haben. Soll heißen: Wenn unsere Seniorin den Anden-Pass nicht alleine bewältigen möchte, telefoniert sie kurz mit ihrer Freundin am anderen Ende der Stadt. Die beiden verabreden sich auf halber Höhe in Peru und strampeln die Höhenmeter dann gemeinsam ab, inklusive kleiner Zwischensprints, um der ganzen Sache noch eine Wettkampfkomponente zu geben. Dass sie sich dabei über Voice over IP unterhalten, sofern sie nicht gerade ganz reales Seitenstechen haben, versteht sich von selbst.
Ist das jetzt gesund, Herr Butler?
Professor Sahin Albayrak, der wissenschaftliche Leiter des Berliner DAI-Labors, ist überzeugt davon, dass die Kombination aus Sport, Cyberspace und Web 2.0 die gesundheitliche Prävention auf Dauer einen Riesenschritt voran bringen wird: „Die soziale Komponente beim Training ist unheimlich wichtig, um die Motivation zu halten. Herkömmliche Fitnessgeräte stehen über kurz oder lang fast immer ungenutzt in der Ecke. Gemeinsames Training ist viel nachhaltiger.“ Die internetgestützte Prävention der Zukunft hört freilich nicht beim Fahrradergometer auf. Wer genug gestrampelt hat und auch im Cyberspace keine realen Menschen mehr treffen möchte, kann in dem Berliner Zukunftslabor auch mit seinen persönlichen digitalen Butler kommunizieren. Ob beim Kochen, Einkaufen, Kühlschrankinspizieren oder an anderer Stelle im ganz normalen Alltag: Der Butler weiß, was gesund und richtig ist und hält damit nicht hinterm Berg. Ob die Interaktion zwischen Mensch und Maschine dabei über ein Mobiltelefon oder über einen in die Kühlschranktür eingelassenen Bildschirm erfolgt, ist fast sekundär.
Die Herausforderung: Kostengünstig und zielgruppengerecht
Hinter dem IZ Connected stecken ausser der TU Berlin auch diverse Unternehmen, darunter die Deutsche Telekom, Loewe, EnBW und Vattenfall. Mit der AOK ist sogar eine Krankenkasse Gründungsmitglied. Ziel sind daher nicht so sehr hochfliegende und teure technische Spielereien, wie sie teilweise unter dem Label „Ambient Assisted Living“ diskutiert werden. Es geht eher um Low Budget-Lösungen, die motivieren, ohne übertrieben viel Geld zu kosten. Der Einsatz von Web 2.0-Technologien und Google Earth speist sich (auch) aus diesem Bedürfnis. Von technischer Seite wird außerdem mit Lösungen experimentiert, die ohne teure Heimnetzwerke auskommen. Drahtlose Datenübertragung ist hier natürlich ein Stichwort. Interessant sind aber auch Digitalstromchips, mit denen beliebige Endgeräte zentral bedient werden können – über den ganz normalen Stromkreis.
Neben der Technik geht es auch um Anwendungsszenarien und Geschäftsmodelle. Für übergewichtige Kinder und Jugendliche beispielsweise wird ein Konzept diskutiert, bei dem virtuelle Bewegungspunkte gesammelt werden können, wenn Sie sich mit anderen Jugendlichen im Cyberspace zum Sportnachmittag verabreden. Das kann am Ergometer geschehen, aber auch an einer entsprechend ausgestatteten Spielkonsole nach dem Vorbild von Nintendos Wii. Für chronisch kranke Menschen könnten außerdem diverse Messwerte in das intelligente Heim integriert werden. Und beim Geschäftsmodell? Nichts Genaues weiß man noch nicht. Aber irgendwie sollen Handel und Industrie mit ins Boot geholt werden, sei es per Werbung oder auch über intelligente Vertragsmodelle von Mobilfunkkonzernen, die ihre Handys durch zusätzliche Präventionsassistenten interessanter machen könnten.