Die telemedizinische Anbindung von Rettungswägen galt eine Weile als klinisch tot. Jetzt wird sie in diversen Projekten reanimiert. Grund ist nicht nur der Wunsch nach besserer Versorgung, sondern auch der massive Personalengpass im Rettungswesen.
Am 16. Oktober war es soweit: Im Technologiezentrum Europaplatz in Aachen hat das Universitätsklinikum Aachen seine Tele-Notarzt-Zentrale in Betrieb genommen. In diesen Wochen nun startet bei dem Aachener Med-on-@ix-Projekt die Evaluationsphase eines Autos, das nach dem Willen seiner Schöpfer neuen Wind in das Rettungswesen bringen soll, nicht nur im Raum Aachen.
Rucksacktourist in der Patientenwohnung
Die Rede ist von einem Tele-Notarztwagen, oder auch Tele-Rettungswagen, je nachdem. Das Konzept an sich ist nicht neu. Schon vor Jahren gab es hier und da Projekte, in denen untersucht wurde, ob ein über Funk mit der nachbehandelnden Klinik verbundener Notarztwagen die Notfallversorgung messbar verbessert. Die meisten dieser Projekte scheiterten an der praktischen Umsetzung und auch am Geld. Zwischenzeitig galt der Tele-NAW als klinisch tot.
Doch das ändert sich gerade wieder. Im Med-on-@ix-Projekt (hier ein brandneues Video) wird nicht nur zuverlässigere und einfacher zu bedienende Technik eingesetzt, die sich komplett in einem Rucksäckchen befindet, das der Arzt am Buckel trägt. Auch das Konzept ist neu. Im Vordergrund steht nicht so sehr der heiße Draht zur Klinik. Die Kommunikation findet in erster Linie zwischen NAW und einem mit Tele-Notärzten besetzten Kompetenzzentrum statt, eben jener Tele-Notarzt-Zentrale, von der eingangs die Rede war. „Dort sitzen ausgebildete und praktisch erfahrene Notärzte, die den Kollegen im Notfalleinsatz beistehen können“, sagt Dr. Max Skorning von der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum der RWTH Aachen.
Im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts sollen dabei möglichst viele Daten übertragen werden, um zu sehen, was in der Praxis wirklich hilfreich ist und worauf verzichtet werden kann. So befindet sich beispielsweise ein intensivmedizinischer Monitor im Wagen, der die üblichen Monitordaten überträgt. „Es gibt außerdem Sprechkontakt zum Tele-Notarzt sowie die Möglichkeit, eine Kamera zu nutzen, damit der Tele-Notarzt sieht, was los ist oder einen Blick auf eventuell vorliegende Arztbriefe werfen kann“, so Skorning.
„Totaler Blödsinn“
Aachen ist nur ein Beispiel von einer ganzen Reihe neuer Projekte zur telemedizinischen Anbindung von Notarzt- und Rettungswägen. In Bayern beispielsweise gibt es gleich mehrere derartige Projekte. So testete das Rhön-Klinikum Bad Neustadt zweimal einen Tele-Notarztwagen, und zwar unter den Projektnamen StrokeAngel und CardioAngel. Dabei ging es, wie die Namen schon sagen, um eine Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Schlaganfall beziehungsweise Herzinfarkt. Die Projektleiter halten beide Einsatzszenarien für vielversprechend. Im Stroke-Angel-Projekt konnte die Zeit bis zur ersten Bildgebung, im CardioAngel-Projekt die Zeit bis zur Einlieferung des Patienten ins Katheterlabor jeweils deutlich verkürzt werden. Strittig ist freilich, welcher Anteil des Zeitgewinns auf die Telemedizinkomponente zurück geht und ob sich folglich die Investitionen in die Technik lohnen. Nicht alle sind davon überzeigt: Ein langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bezeichnete kürzlich die Telemedizin im NAW als „totalen Blödsinn“ und „Geldverschwendung“.
Big Tele-Oberarzt is watching you!
Die Frage ist freilich, ob das deutsche Gesundheitswesen langfristig überhaupt andere Optionen hat. Denn Notärzte sind knapp, und gute Notärzte sind richtig knapp. Zwar betonen praktisch alle Projektverantwortlichen von Tele-Notarzt-Projekten, dass es nicht darum gehe, den Notarzt zu ersetzen. Unstrittig ist aber auch, dass in vielen dünn besiedelten Gegenden die Notarztabdeckung schon heute grenzwertig bis zu gering ist, und dass die Ausbildung vieler im NAW fahrender Ärzte alles andere als optimal ist. Auch ist die Zahl der NAW-Einsätze, bei denen sich im Nachhinein herausstellt, dass ein RTW ohne Notarzt locker genügt hätte, ziemlich hoch. Zumindest in Aachen wird deswegen als Teil des Evaluationsprojekts untersucht, in wieweit Rettungsassistent plus Tele-Notarzt alleine klarkommen. Der Notarzt ist dann zwar anwesend, hält sich aber im Hintergrund. Denkbar wäre auch, dass eine Art telemedizinischer „Hintergrunddienst“ bei weniger erfahrenen Kollegen „mitfährt“, um das Versorgungsniveau zu erhöhen.