Sie sollen ihre Patienten gesund machen und werden dabei selbst krank. Die Belastung durch Stress und lange Dienste ist für Ärzte höher als in den meisten anderen Berufen und fordert ihren Tribut - auf Kosten der Ärzte und deren Patienten.
"Lebensqualität in der Chirurgie? Die gibts doch gar nicht" - "Chirurgie ist ein Traumberuf mit Albtraumbedingungen!" Zwei Aussagen aus einer Befragung von rund 3.600 deutschen Chirurgen zu ihrer Arbeitszufriedenheit. Dass Ärzte nicht unbegrenzt stressresistent sind und genauso wie andere Berufsgruppen auf ständigen Leistungsdruck reagieren, ist bekannt. Untersuchungen in den letzten Jahren haben aber erst das wahre Ausmaß von Mehrtages-Schichten bei gleichzeitiger Verantwortung für das Leben der ihnen Anvertrauten aufgezeigt.
Jeder sechste Arzt ist krank
Eine kanadische Studie bestätigt die Aussagen der Chirurgen. Rund die Hälfte aller befragten Ärzte empfindet ihren Beruf als äußerst stressig, rund 17 Prozent fühlen sich deswegen nicht fit. Judith Rosta kommt in ihrer Untersuchung bei deutschen Ärzten auf ganz ähnliche Ergebnisse. Weibliche Ärzte leiden dabei noch mehr als ihre männlichen Kollegen. Körper und Geist von Heilkundigen reagieren auf die tägliche Arbeit mit Erschöpfung und Bedürfnis nach Schlaf, Rücken- und Nackenschmerzen und vor allem leichter Reizbarkeit.
Deutsche Mediziner arbeiten durchschnittlich rund 50 bis 60 Stunden in der Woche. Zufrieden mit ihrem Dasein sind aber sehr viel weniger Ärzte als in anderen Berufsgruppen mit ähnlichen Arbeitszeiten. Besonders am Anfang der Karriere läuft alles meist ganz anders, als es sich die jungen Mediziner einmal vorgestellt haben: Nur jeder 15. Assistenzarzt ist mit seinem Leben sehr zufrieden.
Zu der Verantwortung für ihre Patienten sind für Ärzte des 21. Jahrhunderts noch zahlreiche andere Aufgaben dazugekommen. Sie müssen sich mit ausgiebiger Dokumentation ihrer Arbeit herumschlagen, mit knapper werdenden Honoraren auskommen und sich als Kostenmanager für das Gesundheitswesen betätigen. Immer strengere Regeln für die Behandlung engen zudem die Entscheidungsfreiheit zunehmend ein. Selbstbestimmung und Entscheidung für die Therapie, die für die Krankheit am besten erscheint? Recht weit hergeholt scheint der Vergleich zum ärztlichen Arbeiter am Patientenfließband nicht mehr zu sein. Auch wenn Chirurgen noch von einem Traumberuf sprechen, breitet sich der Frust über den eigenen Job immer mehr aus.
Patienten leiden mit
Müdigkeit und Burnout führen besonders nach langen Diensten zu mehr Nadelstichverletzungen oder Unfällen auf der Heimfahrt nach der Arbeit. Der überforderte Arzt riskiert aber nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Patienten. Sogar Ärzte selber räumen ein, dass sie ihre Patienten vernachlässigen, wenn sie sich selber eigentlich am liebsten zur Ruhe legen möchten. Bereits vor mehr als 15 Jahren untersuchte Robin DiMatteo aus Kalifornien an knapp 200 Internisten, wie sich Zufriedenheit mit der Arbeit auf die Therapie ihrer rund 20 000 Patienten mit chronischen Krankheiten auswirkte. Das Ergebnis der zweijährigen Longitudinal-Studie: Je glücklicher der Arzt mit seinem Job war, desto zuverlässiger nahmen die Patienten die verschriebenen Medikamente und desto effektiver war die Behandlung. Umgekehrt, so fand ein Team aus dem amerikanischen Wisconsin letztes Jahr heraus, verlängerte sich die Zeit nach der Entlassung bis zur vollständigen Erholung, wenn der behandelnde Arzt unter einem "Burnout-Syndrom" litt.
Angst um die Zulassung
Nur wenige Ärzte wagen sich dann aber in die Sprechstunde des Kollegen. Zwar denkt jeder vierte daran, sich behandeln zu lassen, nur jeder fünfzigste tut das aber tatsächlich. Die Angst geht um, dass der Kollege an der Kompetenz zweifelt, wenn man anscheinend nicht mit der Krankheit im eigenen Körper fertig wird. Schlimmstenfalls könnte er das Handicap bei der Patientenbehandlung an die Aufsichtsbehörden melden. Also bleiben die meisten mit ihrem Leiden allein. Und wie werden sie mit dem Stress fertig? "Weniger Zigaretten und illegale Drogen, aber mehr Alkohol und mehr Benzodiazepine", sagt Harald Jurkat, der sich an der Universität Gießen mit dem Thema beschäftigt. Daher finden sich unter Ärzten außerordentlich viele Fälle von Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit. Viele werden auch gar nicht mit dem Druck in der Klinik oder Praxis fertig. Die Selbstmordrate liegt um ein Vielfaches über dem Durchschnitt - leider mit hoher Erfolgsrate, denn der Zugang zu tödlichen Pillen ist für Selbstverschreiber leichter.
Noch immer fehlt es in Deutschland an Daten zur Gesundheit von Ärzten - Voraussetzung für ein effektive Unterstützung der Betroffenen. Nur vereinzelt gibt es entsprechende Angebote, Ärzten aus ihrer Not zu helfen. Seit 2006 bietet etwa die Landesärztekammer Baden-Württemberg ein dreistufiges Behandlungskonzept für abhängige Ärzte, ursprünglich entwickelt von einem selbst Betroffenen, Professor Matthias Gottschaldt. An den Standorten der Oberbergkliniken kümmern sich Spezialisten darum, den Abhängigen von seiner Sucht zu befreien, nicht aber von der Fürsorgepflicht für seine Patienten, die er mit seiner Zulassung eingeht. Ein ähnliches Konzept verfolgt auch die Hamburger Ärztekammer. Dass die Hilfe funktioniert, beweist eine Studie aus Norwegen. Regelmäßige Gespräche mit geschulten Therapeuten reduzierten den ärztlichen Vollzeit-Arbeitsausfall bei Medizinern mit Burnout-Syndrom innerhalb eines Jahres von 35 Prozent auf sechs Prozent, den Grad der Erschöpfung auf das (immer noch hohe) Durchschnittsmaß im Arztberuf.
Lieber Wiederaufbau statt Abschreibung
Die Lebenserwartung von Ärzten liegt unter der anderer Gruppen mit ähnlichem gesellschaftlichen Status - trotz ihres Wissens um Krankheiten und deren Verhütung. Nicht ohne Grund wollen einer kanadischen Umfrage zufolge die Hälfte aller Ärzte die akademische Medizin verlassen. Ein Drittel denkt sogar über einen endgültigen Abschied von der Heilkunst nach. Eine Arztstelle neu zu besetzen, kostet zwischen einhundert- und zweihunderttausend Euro. Die Ausbildungskosten bis zum approbierten Mediziner sind nicht geringer. Eine wirkungsvolle Unterstützung für Ärzte, die ihre Patienten heilen, sich selber aber dabei krank machen, ist ökonomischer.
Wolfgang Hiddemann, ehemaliger Vorsitzender der Gesellschaft für Innere Medizin sagte auf einem Kongress seiner Fachgesellschaft: "Trotz des hohen Anspruchs an den Arzt besteht keine Verpflichtung zur Selbstaufopferung". Lebensqualität sollte es auch für Chirurgen und ihre Kollegen geben.